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Fragen aus dem Reiterleben

Wie fühlt es sich an, das eigene Kinderpony altern zu sehen?

Seit 30 Jahren wird Reiter Revue-Redakteurin Katherina Hütter von einer Shetty-Stute begleitet. Die Tatsache, dass dieses Pony nicht unsterblich ist, sorgt für emotionales Chaos.

Frau Flausch auf der Koppel.

An dieser Stelle beschäftigen wir uns mit Themen, die uns Reiter bewegen. Manche Fragen stellen wir uns bewusst, andere durchkreuzen hin und wieder unsere Gedanken, bleiben aber oft unbeantwortet. Wir sprechen sie an.

Als ich fünf Jahre alt war, kam mein Vater auf die Idee aus unserer Shetlandponystute ein Fohlen zu ziehen. Am Gründonnerstag 1994 kam Frau Flausch zur Welt. Eine kleine Fuchsstute mit Stern. Jetzt ist Frau Flausch 30 Jahre alt. Sie hat große Knopfaugen, kleine, flauschige Ohren und eine dichte, wuschelige Mähne. Ein Shetlandpony wie gemalt. Hinter dem unglaublich süßen Aussehen verbirgt sich ein ponytypischer Dickkopf. Etwas frecher und eigensinniger vielleicht, als das durchschnittliche Shetty.

Wir sind zusammen groß geworden. Frau Flausch ganze 1,08 Meter. Eine bequeme Fallhöhe – und gefallen bin ich oft. Meistens, wenn wir ohne Sattel über das Stoppelfeld neben der Koppel galoppiert sind und wir in verschiedene Richtungen wollten oder ich mich in der Kurve nicht mehr halten konnte.

Seitdem ich zu groß für Frau Flausch bin, genießt sie die Zeit mit ihren Pferdefreunden auf der Weide oder dem Paddock. Sie wird getüdelt und geputzt. Ein paar weiße Haare an der Stirn kommen jedes Jahr dazu. Die sieht man unter dem dichten Schopf aber nicht. Sie steht noch äußerst gut da und gibt sich jugendlich. Ich sehe ihr gerne zu, wenn sie ein Wettrennen anzettelt. Dann zieht sie quietschend im gestreckten Shettygalopp ihre Runden, bis einer mitmacht. Bei dem Anblick glaubt niemand, dass Frau Flausch schon zu den älteren Semestern gehört – ich auch nicht.

Diese Frage aus dem Reiterleben ist in unserer April-Ausgabe erschienen. Die Ausgabe ist als Print-Magazin oder ePaper verfügbar.

Doch der Zahn der Zeit nagt – auch an Frau Flausch. Das wurde mir jetzt schmerzlich bewusst. Im Grunde ist Frau Flausch ein kerngesundes Shetty. Die außerplanmäßigen Tierarztrechnungen für sie, lassen sich an einer Hand abzählen – in den gesamten 30 Jahren. Doch jetzt kam es Schlag auf Schlag. Es fing mit einer Kolik an, die schnell behandelt war. Bei der routinemäßigen Zahnkontrolle knapp zwei Wochen später entdeckten wir den mutmaßlichen Auslöser. Zwischen einem altersbedingt wackeligen Zahn hier und einem anderen wackeligen Zahn dort stach einer besonders hervor: Ein entzündeter Backenzahn, der gezogen werden musste. Heucobs sollen die Raufutterration nun komplett ersetzen – für immer. Ich bekomme ein mulmiges Gefühl. Wenn der Speiseplan so aussieht, ist ein Pferd alt. Und die Zeit begrenzt.

Trotzdem hielt ich einen weiteren runden Geburtstag für Frau Flausch für realistisch. Doch am Sonntag nach dem Eingriff stand sie mit einem dicken Auge da. Wie es dazu kam, lässt sich nicht sicher rekonstruieren. Als die Tierärztin wenig später eintraf, waren die Schleimhäute rund um das Auge auch geschwollen – ein dramatischer Anblick. Am nächsten Tag war alles noch dicker. Ich war besorgt. Zusammen mit meinem Vater unterhielt ich mich mit der Tierärztin über Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten. Von einer einfachen Beule, die absackt über Fremdkörper im Auge bis hin zu einer Schädelfraktur stand alles im Raum. Wir wägten objektiv die Optionen ab. Frau Flausch hatte Schmerzen und mir war elend zumute. Wir versuchten es weiter mit einem bunten Medikamentenmix. Der wirkte. Bei der Nachkontrolle standen die Prognosen gut. Erleichtert schiebe ich seitdem die Gedanken an das Ende von Frau Flausch beiseite.

Die Zeit mag laufen und Frau Flausch älter werden. Aber wir haben eine Fristverlängerung bekommen. Und ich freue mich über jeden Tag, an dem Frau Flausch munter ist.