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Fragen aus dem Reiterleben

Zu viel Kopf, zu wenig Flow?

Chefredakteurin Sarah Schnieder hat sowohl im Stall als auch in ihrem Job festgestellt, dass es die Reiter gibt, die alles im Detail erklären können, weil sie Kopfmenschen sind, und diejenigen, die viel mehr aus dem Gefühl heraus agieren und dafür häufig keine Worte finden.

Manchmal muss man sich im Sattel einfach auf sein Gefühl verlassen. Gar nicht so einfach, wenn man ein Kopfmensch ist.

An dieser Stelle beschäftigen wir uns mit Themen, die uns Reiter bewegen. Manche Fragen stellen wir uns bewusst, andere durchkreuzen hin und wieder unsere Gedanken, bleiben aber oft unbeantwortet. Wir sprechen sie an.

„Reiten ist kein Denksport.“ Spring-Ausbilder und Buchautor Michael Fischer sagte diesen Satz in einem unserer Online-Workshops mit einem Augenzwinkern. Aber man kann sagen: Damit hat er den Nagel auf den Kopf getroffen. Denn allzu oft denke ich nach einer Reitstunde, warum ich denn bloß während des Reitens so viel denke, anstatt einfach zu reiten. Wenn ich doch nur meinem Gefühl vertrauen und nicht ständig darüber nachdenken würde, was ich alles anders machen muss, würden sich vermutlich viele Probleme in Luft auflösen.

Das Problem beim Mitschwingen zum Beispiel. Das Pferd im Leichttraben fluffig vor mich bringen, dann den Takt fühlen, geschmeidig einsitzen, mich einfach mitnehmen lassen, sodass das Pferd sich die treibende Hilfe quasi abholt. Das klingt zu leicht um wahr zu sein. Wenn Punkt eins so einigermaßen stimmt, wage ich einen Versuch, verpasse den Moment, mein Kopf sagt mir „versuch es trotzdem“, also los und zack drückt das Pferd den Rücken weg, ich halte die Luft an, klemme mit dem Schenkel, alles fühlt sich holprig an. Game over – versuchen Sie es noch mal! Hätte ich mich doch einfach auf mein Gefühl verlassen.

Doch je häufiger sich mein Kopf zwischen mich und mein Reitgefühl drängt, desto schlimmer wird es. Beim nächsten Versuch weiß auch mein Kopf schon vor dem Aussitzen, dass es nur wieder schief gehen kann. Trotzdem sagt er wahlweise „Das muss doch gehen“ und „Ich kann das nicht“. Dann folgt ein „Nun mach‘ endlich“. Und prompt zeigt mir mein Reitgefühl den Mittelfinger.

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Sollte ich vielleicht besser komplett aufhören zu reiten? Mit dieser Frage bin ich schließlich in der nächsten Stufe des Verkopftseins angekommen. Es ist so zermürbend, mittlerweile vergeht mir die Lust und ich verstehe nicht, was passiert ist. Denn es gab Zeiten, in denen ich sogar dachte, auf einem ganz ordentlichen Weg zu sein. Und jetzt kann ich nicht einmal mehr aussitzen? Mein reiterliches Selbstwertgefühl hat soeben den Minusbereich erreicht.

Und dann traf ich bei einem Pressegespräch bei den U25-Meisterschaften der Dressurreiter in Balve auf Nachwuchsreiterin Hannah Erbe. Sie hatte soeben die Bronzemedaille gewonnen und plauderte gut gelaunt drauflos. Wie lange sie gebraucht habe, in der Grand Prix-Klasse anzukommen, denn ihr Kopf habe ihr in der Prüfung im Weg gestanden. Der Plan, den sie sich schon vorab zurechtgelegt hatte, harmonierte oftmals nicht mit der Situation, die sich im Viereck ergab. „Da muss ich viel mehr nach Gefühl reiten“, sagte sie und meinte, mittlerweile immer besser darin zu werden. Okay, es geht also doch. Den Kampf zwischen Kopf und Gefühl kann das Gefühl gewinnen.

Das ändert natürlich nicht sofort etwas an meiner Situation. Ich bin noch immer am Tiefpunkt. Aber nicht aufgeben. Krone richten. Weitermachen. Am besten erst mal nicht mehr aussitzen. Auf einem Lehrgang sage ich dem Trainer schlicht von vornherein, dass das ein Schwachpunkt ist und ich es meide. „Versuch es einfach“, sagt er. „Und zwar spontan. Einfach in dem Moment, in dem es sich gut anfühlt. Zwei bis drei Tritte und dann wieder leichttraben.“ Ich versuche es. Die ersten Male kommt der Impuls aus dem Kopf. Es misslingt. War ja zu erwarten. Mein innerer Impuls ist, am liebsten sofort aufzuhören. Aber der Trainer motiviert mich, es einfach immer und immer wieder zu probieren. Irgendwann ist der Wechsel zwischen Leichtraben und Aussitzen regelrecht verschwommen. Es fühlt sich an, als müsste es so sein, denn plötzlich ist es leicht. Ich sitze einfach ein, wie es sich gerade ergibt. Willkommen zurück, liebes Reitgefühl!