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Zu Besuch bei Cornet Obolensky

Lange stand er in der Ukraine. Als dort der Krieg begann, kam er zurück nach Westfalen. Er ist einer der bedeutendsten Vererber in der Springpferdezucht. Willkommen bei einer Legende, die nun auch ihren Platz in der Filmreihe „Alte Helden” bekommen hat.

Auch mit 24 Jahren voller Energie: Cornet Obolensky.

Herbern – Wer in die Einfahrt zu Familie Ligges abbiegt, sieht ihn oftmals bereits von Weitem leuchten: Makellos weiß blickt Cornet Obolensky dann aus seinem Fenster zum Hof. Von dort entgeht ihm nichts. Gleich die erste Box im Hengststall ist seine. Besucher empfängt er freundlich-distanziert. „Er genießt schon die Aufmerksamkeit“, schmunzelt Kai Ligges, der den Hengst seit seiner Körung kennt. Auf dessen Hof in Ascheberg in Nordrhein-Westfalen ist Cornet, wie er meistens genannt wird, nach seinem Sportlerleben und seinem Aufenthalt bei seinen Besitzern in der Ukraine vergangenen März zurückgekehrt. Mit seinen 24 Jahren hat der Hengst viel gesehen und erlebt, und das strahlt er heute aus: Lebenserfahrung. An der Seite von Deckstellenleiter Sebastian Dammann schreitet Cornet Obolensky gen Reitplatz. Nur mit Halfter und Longe ausgerüstet dreht er dort seine Kreise. Galopp? Hält er nicht für nötig, ein entspannter Trab tut‘s auch und später, auf dem Paddock, nimmt Cornet erst einmal ein ausgiebiges Schlammbad. Danach ist er wieder ganz Grandseigneur, nur nicht mehr so makellos weiß.

Dieser Artikel erschien in der Mai-Ausgabe 2023 der Reiter Revue International.

Etwas länger als ein Jahr ist es her, dass Cornet Obolensky nach Westfalen zurückkehrte. Vorausgegangen war dem eine dramatische Evakuierung aus dem Gestüt Zhashkov in der Ukraine, aufgrund des grausamen Krieges. Tagelang waren Cornet Obolensky und sein Sohn Comme il faut in einem Lkw als Teil eines Trecks in der Ukraine unterwegs, bis sie die polnische Grenze erreichten. Dort übernahm Sebastian Dammann im März 2022 den Transporter mit Cornet und Comme il faut von den Fahrern des Gestüts Zhashkov, die die Ukraine nicht verlassen durften. Dann dauerte es noch einmal Tage, bis die beiden Hengste in Westfalen eintrafen. „Cornet war stark mitgenommen“, erinnert sich Kai Ligges. Davon ist zum Glück nichts geblieben, der Hengst steht wieder in Saft und Kraft.

Willkommen zurück

In Zhashkov residierte Cornet in einem königlich anmutenden Stall, Liebling seiner Besitzer und 24/7 umsorgt von seinem Personal. Etwas weniger pompös, aber dafür nicht weniger professionell, gestaltet sich das Dasein des Hengstes im Stall Ligges. Morgens geht Cornet in die Führmaschine, dann folgt ein Paddockgang am Mittag und etwas Bewegung an der Longe am Nachmittag. Geritten wird Cornet nicht mehr. Montags, mittwochs, freitags und samstags geht er aufs Phantom. Sebastian Dammann kümmert sich um die Besamung, Pia Reckling ist sein „personal groom“.

„Cornet hat schon eine besondere Persönlichkeit. Er wusste sofort, wo er war, als er zurückkam“, berichtet Kai Ligges. „Es scheint, als wüsste er um seinen besonderen Status und findet es toll, wenn er bewundert wird. Auf unserer Hengstschau letztes Jahr hat er sich richtig wohlgefühlt mit der vielen Aufmerksamkeit.“ Fünf Cornet-Fohlen erwartet der Chef des Gestüts Ligges in diesem Jahr von seinen eigenen Stuten. 2022 wurden insgesamt wieder gut 200 Stuten mit Cornet Obolensky besamt. Zu seiner Zeit in Zhashkov hatte es nur Tiefgefriersperma gegeben.

Ein bisschen locker im Trab an der Longe, das gehört zu Cornets Programm.

Gefunden in Belgien

Doch wie konnte es passieren, dass der belgische Warmbluthengst Cornet Obolensky von Clinton-Heartbreaker aus der Zucht des Belgiers Thierry Degraeve überhaupt nach Westfalen kam? Alles begann in Belgien. Dorthin war der Pferdekenner und Visionär Heinrich Ramsbrock im Jahr 2001 gefahren, um sich beim Fohlenchampionat umzusehen. Unter den zahlreichen Jungspunden befand sich auch der BWP-registrierte Cornet Obolensky, damals noch unter dem Namen Windows van het Costersveld. Vom Fleck weg war Ramsbrock begeistert und schaffte es, sich den Schimmel zu sichern.

Wieder in Deutschland, rief er den damaligen Vermarktungschef des Westfälischen Pferdestammbuchs, Bernd Richter an, er solle ein Pferd bei ihm begutachten. „Heinrich ließ den Hengst freispringen und das war schon etwas ganz, ganz Besonderes“, erinnert sich Richter. Kein Wunder, dass die „Westfalen“ ihn unbedingt bei sich auf der Körung sehen wollten. Die verließ Cornet Obolensky 2001 als zweiter Reservesieger.

Schwieriger gestaltete sich das Unterfangen, den Hengst für Westfalen zu sichern. „Wir hatten Angst, dass irgendwer ihn teuer einkauft und er dann für immer in eine unerreichbare Ecke der Welt verschwinden würde“, erzählt Richter. Käufer waren am Ende die beiden Ukrainer Viktor Timoschenko und sein stiller Teilhaber Valentyn Nychyporenko, als „Club Westfalia Ukraine Ltd“ firmierend und Besitzer des Gestüts Zhashkov nahe Kiew. Beide hatten ein Interesse daran, dass der Hengst in Deutschland verfügbar bleibt. So landete Cornet Obolensky durch die Vermittlung von Heinrich Ramsbrock auf der Hengststation Ligges in Ascheberg nahe Münster, wo er bis sechsjährig blieb und die seitdem den Samen von Cornet vertreibt.

Besonders als Vererber hat sich Cornet Obolensky ein Denkmal gesetzt. Derzeit sind alleine in Deutschland 1.472 seiner Kinder als Turnierpferde bei der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) registriert, Horsetelex weist aktuell 4.266 Nachkommen aus vielen Zuchtgebieten weltweit aus, von denen die meisten als Turnierpferde erfolgreich sind. Die FN kennt 338 bis zur Klasse S erfolgreiche Sportpferde und 115 in das Hengstbuch I eingetragene Söhne. Neben der inländischen Nachfrage erhält das Gestüt Ligges nach wie vor Anfragen für Cornets Samen zum Beispiel aus den Niederlanden, Frankreich, Belgien, Australien, Südamerika oder Kanada.

„Ramsbrock und Timoschenko waren von Anfang an besessen von dem Pferd“, erzählt Bernd Richter. Timoschenko sorgte dafür, dass Cornet unter den Sattel von Marco Kutscher kam, und – abgesehen von seinen allerersten Springpferdeprüfungen unter Kai Ligges – auch niemals wieder von jemand anderem auf Turnieren vorgestellt wurde.

Mit Kutscher wurde Cornet 2011 Mannschafts-Europameister in Madrid. 2012 gewann das Paar das Weltcup-Springen in Zürich und die Nationenpreise von Rom und Rotterdam. Die beiden waren unter anderem zweimal beim Super League Finale, 2008 Bronzemedaillengewinner der Deutschen Meisterschaften in Balve und im selben Jahr gehörten sie zum Olympia- Team von Hongkong. Cornets Lebensgewinnsumme beläuft sich auf knapp 800.000 Euro, die Lebensgewinnsumme seiner Nachkommen bisher auf über 12,1 Millionen Euro.

Top-Team mit Marco Kutscher. Gemeinsam wurden sie Mannschafts- Europameister.

Kein einfaches Pferd

Marco Kutscher erinnert sich an die Jahre mit dem Hengst: „Es war vor allem zu Beginn nicht einfach mit ihm. Zu Hause war Cornet immer etwas faul, woanders hat er sich dann, sagen wir mal, ,jugendlich‘ benommen. Unser erster Start ist schon legendär: Bereits beim Versuch aufzusteigen fielen wir beide: er hin und ich runter. Dann rannte er
los, sprang über die 1,50 Meter hohe Absperrung auf einen Acker und lief bis zu einer Weide mit ein paar Stuten, wo er dann endlich anhielt. Am Ende dieses Abenteuers starteten sie doch noch und schafften sogar die Qualifikation zum Bundeschampionat. „Es war aber lange so, dass der erste Tag auf einem fremden Platz Cornet zu eigenen Ideen inspirierte. Am zweiten Tag ging es meistens schon besser. Auf jeden Fall hatte Cornet seinen eigenen Kopf und Charakter. Manchmal war ich nur Beifahrer. Was ihn aber letztendlich ausmachte: Er war ein genialer Springer und grundsätzlich können die meisten Nachkommen springen und es gibt viele toll zu reitende Cornet-Kinder.“

Ludger Beerbaum antwortete bei einer Züchterversammlung 2011 auf die Frage, ob es genügend passende Reiter für Cornet-Nachwuchs gäbe, schlicht mit „nein“. Er ergänzte allerdings die Prophezeiung, man werde Cornet im westfälischen Handorf einmal „ein Denkmal setzen, das größer ist als alle Denkmäler – von Pilot oder Paradox.“

Heute betont Marco Kutscher, dass die Zeit mit Cornet etwas Besonderes für ihn gewesen sei: „Ich bin stolz, dass ich ihn reiten durfte.“ Auf Wunsch der Besitzer wurde Cornet 13-jährig aus dem Sport verabschiedet und zog in sein Domizil nach Kiew. „Sicher hätte Cornet noch eine Perspektive im Sport gehabt, doch seine Besitzer hatten andere Pläne“, bedauert Marco Kutscher.

Der Titelgewinn mit der Mannschaft bei der Europameisterschaft 2011 in Madrid, an dem Kutscher und Cornet maßgeblichen Anteil hatten, bleibt dem Reiter als eines der Highlights in Erinnerung. „Ich hätte mir noch mehr mit ihm gewünscht. Der Auftritt bei Olympia in Hongkong 2008 war sicher unglücklichen Umständen geschuldet“, wie Kutscher nachträglich feststellt: Die deutschen Pferde reisten wegen der dortigen klimatischen Bedingungen sechs Wochen vor den Spielen an, also ging der Schimmel insgesamt zwei Monate kein Turnier und dann sofort in die olympischen Kurse. „Leider konnte unser Team dort seine Leistung nicht abrufen, und für den damals erst neunjährigen Cornet war es besonders schwer.“ Madrid, drei Jahre später, war dann fast wie eine Wiedergutmachung des Paares.

Der Sport war das eine, die Pläne, die Besitzer Timoschenko mit Cornet für die Zucht hatte, das andere. Denn er hielt seinen Hengst schon damals für den besten der Welt. Daher sollte Cornet auch die besten Stuten der Welt bekommen, erinnert sich Bernd Richter. Dazu zählte für Timoschenko etwa Ratina Z von Ludger Beerbaum. Sie brachte den Hengst Comme il faut zur Welt, der seinerseits auf unglaubliche Erfolge als Sportler und Vererber blickt.

Ein Vorreiter

Die Öffnung des westfälischen Zuchtbuchs für verbandsfremde Pferde hatten Mitte der 90er Jahre übrigens Fritz Ligges, Heinz Dieckhoff-Holsen und Dr. Friedrich Marahrens durchgesetzt. Vorsehung? Vielleicht. Heute ist es normal, sich bei den Besten der Besten aus allen Zuchtgebieten zu bedienen. Und der Belgier Cornet Obolensky, der mit 24 Jahren noch immer frisch und munter Bocksprünge auf dem Paddock vollführt, hat gezeigt, wohin dies führen kann.