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EUROPAMEISTERSCHAFTEN VIELSEITIGKEIT

Ingrid Klimke und die Mission Titelverteidigung: Noch ist der Traum zum Greifen nah

Die Spannung war zum Greifen, Tausende Zuschauer hielten den Atem an: Michael Jung war der Schnellste im EM-Gelände, Ingrid Klimke verfehlte die Idealzeit nur knapp. Das deutsche Team liegt auf Silberkurs. Michaela Weber-Herrmann aus Avenches.

Ingrid Klimke und SAP Hale Bob OLD kamen nur knapp über der Idealzeit ins Ziel und liegen momentan auf dem Silberrang.

Avenches/SUI – „Die Anfangstour war super, noch am siebten Minutenpunkt waren wir vor der Zeit“, analysierte Ingrid Klimke nach ihrem heutigen Geländeritt. Dann aber machte SAP Hale Bob OLD mal einen Galoppsprung mehr, die Reiterin ritt der zwar noch guten, an manchen Stellen aber nicht mehr besten Bodenverhältnisse wegen – sie war 61. von 67 Startern – nicht ganz die Ideallinie… Am Ende galoppierte sie auf „Bobby“ nach 10:10 Minuten über die Ziellinie und somit drei Sekunden über der Idealzeit. 1,2 Zeitstrafpunkte summierten sich mit dem Dressurergebnis zu 21,4 Minuspunkten, aktuell der Silberrang. „Ich dachte, ich hätte die Zeit genau getroffen. Und klar ärgere ich mich“, räumte sie ein. Aber Ingrid Klimke wäre nicht Ingrid Klimke, wenn sie nicht sofort hinzugefügt hätte „aber das Schöne überwiegt.“

Ingrid Klimke und SAP Hale Bob OLD kamen knapp über der Idealzeit ins Ziel.

Ein einziges Sekündchen

Vom Spitzenduo trennen die Reitmeisterin aus Münster und ihren 17-jährigen Oldenburger auch gerade mal 0,5 Strafpunkte. Die 44-jährige britische Mannschaftsreiterin Nicola Wilson, Team-Europameisterin 2009 und 2017, und JL Dublin, nach der Dressur auf Platz drei liegend, haben also gerade mal eine Sekunde für Zeitüberschreitung im Parcours „gut“. Vorausgesetzt natürlich, Ingrid Klimke und ihr Brauner bleiben fehlerfrei. Bobby jedenfalls kann springen, „zuletzt in Arville ging er Null“, erklärte Ingrid Klimke guter Dinge. Nicola Wilson und zehnjähriger Holsteiner waren übrigens eines von sieben Paaren, die keine Strafpunkte für Zeitüberschreitung sammelten.

Momentan auf Goldkurs: Die Britin Nicola Wilson und JL Dublin.

Weniger glücklich lief’s für Wilsons Teamkollegin Rosalind Canter, die Ingrid Klimke vor dem Gelände am dichtesten auf den Fersen war. Sie sammelte mit ihrem 16-jährigen, in den Niederlanden gezogenen Allstar B 56,4 Strafpunkte im Gelände – 40 für zwei Verweigerungen, 16,4 für Zeitüberschreitung. Bitter für das Paar, das schon bei der EM 2017 im polnischen Strzegom gewann und Doppel-Gold bei den Weltreiterspielen 2018 in Tryon/USA feierte. Aus dem Silberkurs gestern wurde aktuell Rang 55.

Aktuell auf dem Bronzerang liegt der Franzose Maxime Livio mit Api du Libaire. Der Mannschafts-Bronzemedaillengewinner der Weltreiterspiele von 2018 und sein elfjähriger Schimmelwallach verpassten wie Ingrid Klimke und Bobby die Idealzeit um drei Sekunden.

Spannend bleibt’s allemal. Die sechs Reiter an der Spitze liegen weniger als einen Springfehler auseinander. Nicola Wilsons Punktestand ist 20,9, Ingrid Klimke folgt mit 21,4, Maxime Livio hat 22,5 Punkte gesammelt. Dahinter reihen sich Piggy March, eine weitere Teamreiterin der Briten, und Brookfield Innocent mit 23,3, die britische Einzelreiterin Sarah Bullimore und der zehnjährige Oldenburger Balou du Rouet-Sohn Corouet mit 23,6 Punkten ein.

Derzeit auf Platz sechs folgen Michael Jung und fischerWildWave. Die beiden waren die Schnellsten im Gelände, elf Sekunden mehr hätten sie sich Zeit lassen können. Und das, obwohl der Reiter an zwei Hindernissen den längeren Weg wählte. „Ich habe am Anfang schon Gas gegeben, weil mir klar war, dass man am Ende der Strecke kaum Zeit gutmachen kann. Und dann hatte er seinen Rhythmus gefunden und in dem wollte ich ihn nicht mehr stören“ erklärte er die Bestzeitunterschreitung. Verständlicherweise war er „sehr sehr glücklich“ auf seinen erst neunjährigen Holsteiner. „Er hat alles gezeigt, was er kann. Und er kann galoppieren und ist geschickt. Ich bin begeistert. Er hätte noch drei, vier Minuten weitergaloppieren können“, erklärte er strahlend. Gut springen kann der Holsteiner übrigens auch.

Aus deutscher Sicht folgt Einzelreiter Christoph Wahler auf Platz acht. Der Chef des Klosterhofs Medingen, den alle nur „Chrischi“ nennen, und sein Schimmel Carjatan S galoppierten ebenfalls ohne Hindernisfehler und nur zwei Sekunden über der Bestmarke ins Ziel. Eigentlich toll, doch der Reiter haderte mit sich: „Die zwei Sekunden ärgern mich, weil mein Pferd dieses Ergebnis nicht verdient hat. Da hab‘ ich am Schluss zwei Mal zuviel gezogen,“ erklärte er. Der Clearway-Sohn habe ihm zwar „von Anfang an ein super Gefühl gegeben“. Dennoch sei es „richtig harte Arbeit von Anfang bis Ende“ gewesen. „Für einen kompakten Vollblüter ist das vielleicht ein super Kurs, für Pferde wie meinen, mit großem Galoppsprung, kosten die ständigen Wendungen richtig Kraft.“

Mit vollem Einsatz zu einem Spitzenergebnis: Christoph Wahler und Carjatan S.

Annas Aufholjagd

Den gefragten Blütertyp hatte Anna Siemer mit der Hannoveranerin Butts Avondale, einer Tochter des Vollblüters Nobre xx aus einer Mutter vom Vollblüter Heraldik xx unterm Sattel. Die beiden gingen als erstes Paar der deutschen Mannschaft auf die Strecke. Nur 1,6 Punkte für Zeitüberschreitung fügten die „Pathfinder“ des Teams ihrem Dressurergebnis hinzu. Eine fulminante Aufholjagd – nach der Dressur lagen sie auf Rang 38, vor dem Springen ist’s Platz 15. „Ich denke, um in der Zeit ins Ziel zu kommen, habe ich an zwei Stellen die Ideallinie nicht erwischt“, so die Pferdewirtschaftsmeisterin aus der Heide, die im Interesse des Teams ebenfalls an zwei Hindernissen den längeren Weg einschlug.

Anna Siemer und FRH Butts Avondale zeigten eine tolle Aufholjagd im Gelände.

Ebenfalls eine Hannoveraner Stute, allerdings mit deutlich weniger Vollblutanteil, ist Andreas Dibowskis FRH Corrida. Die zwölfjährige Contendro I-Tochter machte sich heute ein wenig selbst das Leben schwer. Zwar blieb sie ohne Hindernisfehler, am Ende aber war sie zu langsam, 15,2 Punkte für Zeitüberschreitung ihr Geländeergebnis. „Sie war sehr stark und dann hört sie nicht mehr zu“, so ihr routinierter Reiter. „Dann ist sie nicht rationell genug und ich muss sie zu sehr auf die einzelnen Sprünge vorbereiten. Da läuft dir dann die Zeit weg.“

Machte sich ein klein wenig selbst das Leben schwer: FRH Corrida unter Andreas Dibowski.

Das einzige deutsche Paar, das nicht ohne Hindernisfehler ins Ziel kam, waren Einzelreiter Dirk Schrade und sein Schimmel Casino. Der Reiter suchte die Schuld für den Vorbeiläufer an Hindernis 4c, Aussprung aus dem Coffin, bei sich: „Ich habe vielleicht zu frech angefangen, an den ersten drei Hindernissen immer einen Galoppsprung weniger gemacht. Er ist dann zu groß ins Coffin gesprungen,“ erklärte er. Am Ende hat’s dann einfach nicht mehr gepasst. Zufrieden war er trotzdem: „Natürlich ist man da enttäuscht, aber ansonsten spielte er mit den Aufgaben. Das wird mal ein ganz Großer.“ 23,6 Punkte für Überschreiten der Zeit kamen zu den 20 Hindernisstrafpunkten hinzu. „Ich reite nicht fürs Ziel und nach solch einem Fehler ist für mich als Einzelreiter die Zeit absolut zweitrangig. Da geht’s dann nur noch darum, eine schöne Runde zu reiten, auf der das Pferd Erfahrung sammeln kann“. Faire Einstellung.

Zahlen, Zahlen, Zahlen

Die deutsche Mannschaft liegt mit jetzt 78,4 Punkten weiter auf Silberkurs, während das britische Damen-Team seinen Vorsprung etwas ausgebaut und aktuell 69,1 Punkte auf dem Konto hat. Es folgen Frankreich mit 96,8 Punkten und die Teams aus der Schweiz (106,5 Punkte), Irland (109,4), Schweden (109,9), Österreich (129,5), Italien (143,8), Spanien, (157,5) Belgien (165,2), den Niederlanden (176,1), der Tschechischen Republik (221,5) und Russland (227,7).

Noch etwas Statistik: 5765 Meter war die vom Briten Mike Etherington-Smith konzipierte Strecke lang, 32 Hindernisse waren zu absolvieren., die Idealzeit betrug 10:07 Minuten. 67 Paare starteten ins Gelände, 46 blieben ohne Hindernisfehler, sieben davon auch innerhalb des Zeitlimits. Insgesamt wurden 18 Verweigerungen gezählt, vier Mal brach ein Pin, drei Reiter stürzten, zwei davon auf der Strecke zwischen den Hindernissen, und zwei Reiter ließen einen Sprung aus. Von den 67 Paaren galoppierten 57 ins Ziel.

Das Ergebnis können Sie ganz ausführlich hier nachlesen.