Zum Inhalt springen

Drücken Sie Öffnen / Eingabe / Enter / Return um die Suche zu starten

Europameisterschaften der Vielseitigkeitsreiter

Blog 1 aus Avenches: brennende Herzen, Annas Helden und die Familie, die’s möglich macht

Der Donnerstag bei den Europameisterschaften der Vielseitigkeitsreiter stand ganz im Zeichen der Dressur. Im ersten Blog aus Avenches wirft "Dibo" einen ersten Blick auf das Gelände und Anna Siemer musste feststellen, dass die Dressur buchstäblich kein Wunschkonzert ist.

Zwei, die sich schon zu Ponyzeiten kannten: Bundestrainer Hans Melzer und Anna Siemer, die heute als erste deutsche Starterin ins Viereck einritt.

Nein, ich fühle mich nicht berufen, meine Meinung zum Thema Schlagermusik zum Besten zu geben. Davon habe ich nämlich so gar keine Ahnung, ist schlicht nicht mein Ding. Aber was zu viel ist, ist zu viel. Und dass zu Anna Siemers Dressurvorstellung ausgerechnet und das auch noch ziemlich laut „Mein Herz es brennt, wenn ich dich seh' / Auch wenn ich heut' durch die Hölle geh“ über den Platz schallte, das war denn doch des Schlechten zu viel. „Deinen türkis blauen Augen / Werd' ich heut' Nacht kein Kuss weit trauen“ wiederholte sich auch, wenn ich das richtig verstanden habe. Fragwürdig. Nicht nur in Sachen Grammatik. Aber das darf man hier vermutlich nicht laut sagen. Ich hab‘ recherchiert – die Dame, die da trällerte, ist Beatrice Egli, eine Art Helene Fischer der Schweiz und vor Jahren hat man sie mal in Deutschland als Superstar gesucht und gefunden.

Der Reiterin hat’s auch nicht gefallen, hat sie mir verraten, aber auf ihren Ritt – 31,5 Punkte bedeuteten einen Platz im Mittelfeld des ersten Dressur-Blocks – hatte das selbstverständlich keinen Einfluss. Schließlich gibt’s Wichtigeres im EM-Viereck. Erst recht, wenn man fürs Team startet. Und darauf ist Anna Siemer richtig stolz. „Ich und die Heroes“, strahlte sie nach ihrem Ritt. Ihre Helden, das sind Andreas Dibowski, Michael Jung und Ingrid Klimke. Der erste Auftritt von Anna Siemer als deutsche Mannschaftsreiterin war das übrigens nicht, den hatte sie 1997 bei der Pony-EM in Hartpury. Damals war Hans Melzer Bundestrainer der Ponyreiter. Und so schließt sich der Kreis. Denn diese EM hier in der Schweiz ist Melzers letztes großes Championat als Bundestrainer. Wohlgemerkt, nur das letzte „große“. Die WM der jungen Vielseitigkeitspferde steht noch aus, außerdem einige internationale Turniere, auf denen er seine Schützlinge betreuen wird. Bis Jahresende ist er noch im Amt. Dann soll Peter Thomsen übernehmen. Das ist zwar noch nicht offiziell, aber die Spatzen pfeifen’s schon lange von den Dächern. Hat ja auch noch etwas Zeit.

Apropos Anna Siemers Pony-EM-Debut 1997. Damals saß sie im Sattel von Vilano, den acht Jahre später dann Christoph Wahler unter anderem beim Nachwuchschampionat in Warendorf geritten hat. Und Wahler, der Chef des Klosterhofs Medingen, war der zweite deutsche Reiter, der heute am Start war. Irgendwie alles doch eine große Familie. „Ich bin schlecht zum ersten Wechsel geritten, das war teuer“, erklärte der Einzelreiter selbstkritisch nach seinem Ritt. Am Ende aber konnte er mit dem Ergebnis zufrieden sein: Mit 26 Punkten im Gepäck startet er ins Gelände. Vor dem er ganz schön Respekt hat. „Sehr anspruchsvoll mit vielen Richtungswechseln und unterschiedlichen Bodenverhältnissen“, sagte er nach dem ersten Abgehen. Aber, auch daran ließ er keinen Zweifel, „ich freu mich drauf“.

Auf den Geländekurs fokussiert ist jetzt auch Andreas Dibowski, letzter deutscher und zweiter Teamreiter des heutigen Tages. Von Freude hat er allerdings nichts gesagt. „Zu viele enge Wendungen“, so seine Einschätzung. Aber er nehme sich den Rat von Chris Bartle zu Herzen, erklärte er. Der habe ihm gestern nach dem Abgehen der Geländestrecke gesagt: „Achte nicht darauf, was Dir an der Strecke nicht gefällt. Schau‘ Dir die Aufgaben an und löse sie – das ist Dein Job als Reiter. Diskutieren können wir hinterher.“ Im Viereck lief’s schon mal gut – 25,6 Punkte, eine gute Ausgangsposition. Laut „Dibo“ auch dank der intensiven Arbeit mit Dressurtrainer Jürgen Koschel. „Ich war auch öfter schon mal zufrieden und hatte schlechte Noten. Heute bin ich zufrieden und habe gute Noten. Ist mir lieber.“ Glaubt man ihm unbesehen. Corrida hat die Tokio-Reise gut weggesteckt, so ihr Reiter. Die ist seit Wochen entspannt und gut drauf.“ Schöne Aussichten fürs Gelände am Samstag.

An der Geländestrecke wurde übrigens bis quasi zur letzten Sekunde gefeilt. Eigentlich wollte man am Sonntagabend fertig sein, sagte mir Christian Vogg. Zwei Tage länger hat’s dann doch gedauert, auch weil Gelände-Parcourschef Michael Etherington-Smith erst am Sonntag vom internationalen Vielseitigkeitsturnier im britischen Blenheim anreisen konnte. Christian Vogg, seit Ende 2020 Inhaber und Chef von Gestüt Tasdorf in Schleswig-Holstein, ist wie seine ganze Familie hier in Avenches im Einsatz. Die Voggs sind quasi das Bindeglied zwischen der deutschen Vielseitigkeitsszene und der der Eidgenossen. Und sie wissen, was Championate ausmacht. Auf ihrem Gut Weiherhof in Radolfzell auf der deutschen Seite des Bodensees finden seit Jahren zu Saisonbeginn internationale Vielseitigkeitsturniere statt. Danièle Vogg ist die Tochter von Roland Perret, der die Eidgenossen 1956 bei den Olympischen Spielen in Stockholm vertrat, feierte selbst auf internationalem Parkett Erfolge und ist hier als Sportchefin des Organisationskomitees im Einsatz. Christian und Ben, der WM-, EM- und Olympiateilnehmer, gehören zum Bauteam und Felix, mit 31 Jahren der „mittlere“ der drei Vogg-Brüder und Profireiter vertrat die Schweiz ebenfalls bereits bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften. Die Championate im Ponysattel, als Junior und Junger Reiter mitgerechnet, ist er in diesen Tagen hier in Avenches bei seinen elften Europameisterschaften am Start. Mehr Vielseitigkeit geht nicht. Oder, um es mit Frau Egli zu sagen, „Ihre Herzen brennen“.