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Europameisterschaften Vielseitigkeit 2023

Das Beste zum Schluss

Vor wunderschöner Kulisse gingen heute in Frankreichs ältestem Staatsgestüt die Europameisterschaften zu Ende. Gleich zweimal wurde „God save the King“ gespielt, das deutsche Team gewann Silber, Sandra Auffarth die Bronzemedaille in der Einzelwertung.

Die britische Equipe galoppierte von der Dressur, durch das Gelände über den Parcours zu Gold.

Le Pin au Haras/FRA – Der Tag hat gut begonnen, hier auf dem Gelände des ältesten französischen Staatsgestüts. Wie gemeldet, bekamen alle präsentierten Pferde bei der Verfassungsprüfung am Morgen problemlos das „accepted“ der Jury. Und alleine für den Auftritt von Viamant du Matz hat sich das frühe Aufstehen gelohnt. An der Hand von Sandra Auffarth zeigte „Mat“, wie ein echter Kerl auch noch so kräftezehrendes Gelände wegsteckt. Der 14-jährige Fuchs aus französischer Zucht – auch in dieser Hinsicht ein echter Nachfolger von Auffarths „Wolle“, dem unvergessenen Opgun Louvo, mit dem die Reiterin hier in der Normandie 2014 bei den Weltreiterspielen Doppel-Gold gewann – trabte los und buckelte vergnügt wie man das eher von Junghengsten bei Körungen kennt.

Mats gute Laune ließ hoffen fürs abschließende Springen, in dem für die 36-jährige Frau mit den zwei abgeschlossenen Ausbildungen – zur Pferdewirtin und zur Sport- und Fitnesskauffrau – eine Einzelmedaille zum Greifen nah war. Dass Sandra Auffarth springen kann, weiß man. Immerhin erreichte sie schon zweimal das Stechen des Hamburger Derbys und dieser Parcours gilt bekanntlich als schwierigster der Welt. Und Mat ist ein Sohn des Diamant de Semilly, Frankreichs legendärer Springvererber.

Stimmung vor dem Schloss

Das „Versailles der Pferde“, das altehrwürdige, von „Sonnenkönig“ Ludwig XIV. geplante Schloss der Gestütsanlage, bot die stimmungsvolle Kulisse im Hintergrund des großen Sandplatzes. Und was Stimmung angeht, da macht den französischen Fans, die schon im Gelände jeden Ritt mit frenetischem Applaus begleitet hatten, keiner was vor. Das war heute nicht anders. Jeder Ritt, nicht nur die der französischen Reiter, über die zwölf Hindernisse – davon eine drei- und eine zweifache Kombination, also 15 Sprünge – wurde auf der gut gefüllten Tribüne gefeiert. Verantwortlich für den Parcours zeichnete übrigens Quentin Perney. Und der Mann, der auch für Springparcours bei Fünf-Sterne-Turnieren wie zum Bespiel in La Baule verantwortlich zeichnet, weiß, wie man die Spreu vom Weizen trennt.

56 Paare waren in diese Europameisterschaften gestartet, 37 standen heute noch auf der Starterliste Springen. Gestartet wird in der Vielseitigkeit im Springparcours bekanntlich in umgekehrter Reihenfolge nach dem Motto „Die Ersten werden die Letzten sein“, soll heißen, die nach Gelände Besten kommen zum Schluss. Was die Spannung zusätzlich steigen ließ: Die Prüfung wurde geteilt. Das erste Dutzend Pferde war am Vormittag dran, die restlichen nach der in Frankreich unverzichtbaren Mittagspause.

„Ein phantastischer Abschluss“

Doch der Reihe nach. Die verbliebenen vier deutschen Reiter starteten erst am Nachmittag, zunächst Malin Hansen-Hotopp mit Carlitos Quidditch K. Eine Stange ließ der elfjährige Holsteiner Wallach von Quiwi Dream in den Sand fallen, dazu kamen 1,2 Zeitfehler – 55,1 Punkte das Endergebnis, Platz 19. Da jubelten nicht nur ihre drei Jungs, die die Ritte ihrer Mutter hier live miterlebten und zu recht stolz wie Bolle auf sie sind. Die deutsche Mannschaft rutschte zwischenzeitlich auf den Bronzeplatz.

Malin Hansen-Hotopp und Disziplintrainer Springen Marcus Döring im Freudentaumel.

Nächster deutscher Starter war Jérôme Robiné, der mit dem 13-jährigen Iren Black Ice – natürlich ein Rappe, auch wenn er auf den offiziellen Listen als „bay“, also braun, geführt wird. Konzentriert und ohne Hektik gingen die beiden die Aufgabe an und waren lediglich etwas langsam – 1,6 Zeitstrafpunkte, am Ende war’s der hervorragende siebte Platz für den 25-jährigen Sportsoldaten. Ein toller Start in die Championatskarriere!

Weiter ging’s mit Christoph Wahler und seinem 14-jährigen Holsteiner Clearway-Sohn Carjatan S. Der Chef des Klosterhofs Medingen und sein Schimmel trugen die erste „Doppelnull“ zum deutschen Teamergebnis bei und belegten in der Endabrechnung den vierten Platz. „Ein phantastischer Abschluss“ sei das, so der Reiter. „Wie spielerisch leicht er so einen Springparcours geht, das ist einfach cool, das macht Riesenspaß. Das Zeichnet ihn auch uns.“

Und dann galoppierten Sandra und Mat in die Arena! Und nicht nur die deutschen Fans hielten den Atem an. Ein Springfehler und die Equipe tricolore wäre Vize-Europameister gewesen. Doch die beiden hielten, was man sich von ihnen versprochen hatte: die Runde war fehlerfrei, noch dazu die mit Abstand schnellste des gesamten Teilnehmerfeldes. Es blieb bei 34,6 Punkten. Damit sicherte sie nicht nur sich selbst Einzel-Bronze, sondern auch dem deutschen Team die Silbermedaille (131,2 Punkte)! Für die französische Mannschaft blieb’s bei Bronze (134,2 Punkte).

Sandra Auffarth mit zwei verdienten Medaillen.

„Unter Druck reite ich eher besser“, so die Reiterin. „Und Mat ist ein guter Springer, er hat es mir leicht gemacht.“ Aufgeregt sei er schon gewesen, aber er habe wohl gewusst, dass es wichtig sei, es hier gut zu machen, sagte sie. Und er hat’s wahrlich gut gemacht! „Es ist ein Traum in Erfüllung gegangen, neben Wolle noch einen Einzelmedaillengewinner im Stall zu haben. Voll cool!“ Dem ist nichts hinzuzufügen. Außer vielleicht das schöne Fazit aus deutscher Sicht: Drei Paare unter den Top Ten, Team-Silber und die Bronzemedaille in der Einzelwertung!

Die deutsche Equipe mit Michael Jung, Christoph Wahler, Sandra Auffarth und Malin Hansen-Hotopp.

Mat, Froggy und Walter

Dass die Briten uneinholbar sein würden, war schon vor dem Springen klar. 27,3 Punkte Vorsprung, da hätten sie im Parcours schon kollektiv vom Pferd purzeln müssen … Aber natürlich taten sie das nicht. Im Gegenteil.

Kitty King, die hier in Frankreich ihre achten (!) Europameisterschaften reitet – ihr erstes Championat bestritt sie 2002 in der Altersklasse Junge Reiter – und vier EM-Medaillen, davon zwei goldene, ihr eigen nennt, nahm 1,2 Zeitfehler in Kauf, dabei blieb es. Sie wurde vom Publikum – wie zuvor schon Sandra Auffarth, deren Mat ja auch ein Pferd aus französischer Zucht ist – nahezu wie eine Französin gefeiert, schließlich ist ihr 14-jähriger Vendredi Biats, genannt „Froggy“, Franzose. „Vendredi“ heißt übrigens Freitag, „Biats“ steht für die Zuchtstätte hier in der Normandie. „Sonntagskind“ hätte vielleicht besser gepasst. Klar, dass die Reiterin glücklich war: „Mit einer Medaille, welcher Farbe auch immer, nach Hause zu kommen, ist eine Ehre“, erklärte sie.

Kitty Kings Zeitfehler ließen den Vorsprung von Rosalind Canter und Lordships Graffalo – Stallname „Walter“ – auf 10,7 Punkte „schrumpfen“, wenn man das überhaupt so nennen mag. Aber davon nahmen die Badminton-Sieger gerade mal 4 in Kauf – der Sieg! Mit 103,9 Gesamtpunkten Gold für Großbritannien und Rosland Canter! Die zierliche Frau weiß, wem sie das in erster Linie zu verdanken hat: „Ich bin sehr glücklich, ein Pferd wie Walter in meinem Leben zu haben“, erklärte sie.

Die weiteren Mannschaftsergebnisse

Der Vollständigkeit halber die weitere Mannschaftsplatzierung: Irland auf Platz vier (149,2 Punkte), die Schweiz Fünfte (162,7), Scheden auf Rang sechs (207,2), Belgien an achter Stelle (209,6), gefolgt von dem Team der Niederlande (219,8) und den Mannschaften aus Italien (1113,5) und Österreich (3000,0). Für zwei der Nationen, die das Olympia-Ticket für Paris noch nicht in der Tasche hatten, bestand bei diesen Europameisterschaften die Chance, sich zu qualifizieren. Genutzt wurde sie von Belgien und den Niederlanden.