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Leseprobe: Statement von Katrina Wüst

KI im Dressursport? „Die Nachteile überwiegen“

Katrina Wüst ist international geschätzte Dressurrichterin. Der mögliche Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Richterhäuschen beschäftigt sie. Ein klares Statement zum aktuellen Trend-Thema.

Katrina Wüst ist internationale Dressurrichterin.

KI, die Künstliche Intelligenz – derzeit in aller Munde! Für den Reitsport sehe ich Besonderheiten: Die Bewegungsabläufe unterschiedlichster Pferdetypen müssten in eine Datenbasis eingepflegt werden, um die KI zu programmieren. Dabei muss sie allen gerecht werden: dem Lusitano ebenso wie dem Oldenburger, dem Vollblut wie dem Pony. Dazu die drei Grundgangarten und die Lektionen – eine schwer vorstellbare Aufgabe hinsichtlich Manpower und Kosten.

Und darüber hinaus: Wer gibt vor, was richtig und falsch ist? Zieht man zudem noch in Betracht, dass und wie sich unser Sport und gerade auch die Zucht permanent weiterentwickeln, so sind die ursprünglichen Daten irgendwann überholt. Es bleibt ungewiss, ob die KI diese Evolution durch selbstlernende Prozesse aus sich heraus erkennen und so einordnen kann, dass sie für eine vollumfängliche, selbstständige Beurteilung eines Ritts infrage kommt, oder ob sie in der Vergangenheit verhaftet bleibt.

Dieses Statement konnten Reiter Revue-Abonennten bereits vor einigen Wochen im Magazin lesen. Wenn auch Sie jeden Monat bestens informiert werden wollen, klicken Sie doch mal in unseren Shop.

Hinsichtlich rein optischer Kriterien wie der Position der Stirn-Nasenlinie, einer präzisen Linienführung, der Größe einer Pirouette oder dem Messen und Zählen einer Wechselserie in Bezug auf Geraderichtung und Sprungzahl kann die Unterstützung durch eine KI sicher erfolgreich sein. Aber Vorsicht: In vielen Fällen kann nur der geschulte Beobachter erkennen, ob ein optisch enger Hals anatomisch bedingt ist oder durch eine zu harte Handeinwirkung des Reiters hervorgerufen wurde. Vermutlich ist alles, was sich über Stellung, Winkelung und Bewegungsraster von Gelenken und Gliedmaßen darstellen lässt, recht gut auswertbar – damit könnte eine KI bei quantifizierbaren „Messungen“ vermutlich besser als ein Mensch „funktionieren“, dessen Sicht immer mal wieder momentweise eingeschränkt ist. Menschen können auch abgelenkt sein oder auch voreingenommen, wie es in der Natur – nicht nur von Dressurrichtern – sondern eines jeden Menschen liegt.

Aber machen nur die quantifizierbaren Teile einer Lektion eine korrekte Bewertung möglich? Eine fehlerlose, gerade und korrekt auf der Linie gezeigte Wechselserie ist sicher erst einmal ihre Sieben in der Benotung wert. Aber sind es nicht die „Soft Skills“, die anderen, weniger schematisch bestimmbaren Kriterien, die letztendlich zu einer Acht oder höher führen? Kriterien, wie wir sie in unserem Sport sehen wollen, nämlich das korrekt ausgebildete, losgelassen über den Rücken schwingende Pferd in voller Harmonie mit seinem Reiter. Besonders beim beurteilenden Richten wollen und müssen wir davon wegkommen, dass wir nur eine Silhouette sehen oder auch nur eine technisch messbar richtig ausgeführte Lektion. Wir müssen immer die Gesamtzusammenhänge der klassischen Ausbildung von Reiter und Pferd während der Bewegung analysieren und dies mit allen unseren Sinnen. Das kann KI derzeit noch nicht leisten.

Zudem drängen sich andere Fragen auf: Wann wird dem Richter während einer laufenden Prüfung die Bewertung der Lektion angezeigt? Wird er dadurch kurzfristig abgelenkt? Was sind die Kosten? Ist es eine sinnvolle Investition? Was passiert bei einem Ausfall des Systems? Und – ganz wesentlich – welcher Veranstalter kann sich dies alles leisten?

Trotz der aufgezählten Positiva überwiegen aus meiner Sicht die Nachteile, die ein Einsatz von KI im Turniersport bringen würde. Insbesondere die Kosten und die durch die KI gestärkte Tendenz zu „mechanischer“ Beurteilung. Möglicherweise kann eine KI zukünftig auch Harmonie bewerten. Dazu muss sie aber auch Emotionen von Pferden in Sekundenbruchteilen verstehen. Bis das soweit ist, sollte etwas Lebendiges von jemand Lebendigem beurteilt werden!