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Kissing Spines: Schluss mit Schmerzen

Wenn es im Rücken zwickt, geht nichts mehr. Viele Pferde mit Kissing Spines kämpfen mit wiederkehrenden Schmerzen. Die Spitzen ihrer Dornfortsätze berühren sich. Knochen auf Knochen – das tut weh. Mit einem Schnitt kann der Entzündungsprozess gestoppt werden, sagt unser Experte.

Krankhafte Veränderungen der Wirbelsäule können beim Pferd zu Schmerzen führen.

Wenn Knochen auf Knochen stößt, schmerzt es – besonders mit zusätzlichem Gewicht. So kann es Pferden mit Kissing Spines ergehen. Die Betonung liegt hier auf „kann“. Denn per se müssen Kissing Spines keine Schmerzen auslösen. „Erst einmal sind sie nur ein Röntgenbefund“, betont Florian Hörmann, Fachtierarzt für Pferde aus Weilheim in Bayern. Etwa 20 bis 30 Prozent aller Pferde haben Kissing Spines. „Davon sind wiederum vielleicht fünf Prozent nicht reitbar“, fährt der Veterinär fort. Festzuhalten ist allerdings, dass Kissing Spines die Hauptursache für Rückenschmerzen beim Pferd sind. Florian Hörmann ist aber wichtig, herauszustellen, dass der Befund nicht mit Schmerzen gleichzusetzen ist: „Wenn ich bei einem Dreijährigen Kissing Spines auf dem Röntgenbild sehe, kann ich nicht vorhersagen, wie das Pferd sich entwickeln wird. Es hängt auch davon ab, wie das Pferd reiterlich gearbeitet wird.“

Der Artikel stammt aus unserem Archiv. Wir haben ihn erstmals im August 2023 veröffentlicht. Wenn er Ihnen gefällt, könnte unser Abo für Sie interessant sein. Dann lesen Sie Beiträge wie diesen nämlich als Erstes. Auch als E-Paper.

Denn gutes Reiten kräftigt die Rückenmuskulatur. Falsches Reiten kann das Problem hingegen verschärfen. Was genau damit gemeint ist? „Das Reiten mit weggedrücktem Rücken, in zu hoher Aufrichtung, nicht vorwärts-abwärts zu reiten – das sind alles Dinge, die dem Rücken schaden. Wenn alle Reiter sich an die Skala der Ausbildung halten würden, hätten wir sicherlich weniger Probleme“, meint Hörmann. In guten Unterricht zu investieren, lohnt sich daher auch zur Gesunderhaltung des Pferdes. Doch bei welchen Alarmzeichen sollte der Reiter überhaupt an Kissing Spines denken? „Wenn das Pferd beim Putzen den Rücken wegdrückt und es als unangenehm empfindet, am Rücken angefasst zu werden, muss der Reiter Kissing Spines in Erwägung ziehen“, betont Florian Hörmann. Als Reiter sollte man sensibel für die kleinsten Abwehrreaktionen des Pferdes sein. Schweifschlagen, Schnappen oder auch ein kurzes Zucken gehören da definitiv dazu.

Anzeichen für Kissing Spines

Auch Pferde mit Gurtzwang, mit schwachen Rückenmuskeln, Pferde die den Galopp nicht halten können, den Rücken festhalten oder wegdrücken, zeigen typische Signale für Kissing Spines. „Gerade bei nicht vorhandener Rückenmuskulatur müssen Alarmglocken schrillen. Denn auch junge Pferde, die aus einer normalen Haltung kommen, haben ausreichend Rückenmuskeln“, versichert der Tierarzt.

Um festzustellen, ob das Pferd wirklich Kissing Spines hat, ist ein Röntgenbefund erforderlich. Eine gründliche Anamnese ist vorab aber Pflicht. Sprich: der Tierarzt sollte sich das Problem schildern lassen, das Pferd anschauen, es sich vorführen, longieren oder reiten lassen, um ausschließen zu können, dass Sattel oder Reiter für die Schmerzen verantwortlich sind. Beim Verdacht auf Kissing Spines kann man das Pferd für die weitere Untersuchung lokal anästhesieren. „Bei einer lokalen Betäubung hat man in der Regel eine deutliche Verbesserung, weil dem Pferd der Schmerz genommen wird. So kann man sich sicher sein, dass es am Rücken liegt“, erläutert Florian Hörmann.

Unbekannte Ursache

Kissing Spines, die sich küssenden Dornfortsätze, können einzeln, aber auch gehäuft auftreten. Besonders oft in der Sattellage, also zwischen dem zwölften und 18. Brustwirbel. Wie sie entstehen, ist selbst Medizinern nach wie vor ein Rätsel. Sicher ist nur, dass Pferde auch schon vor Jahrtausenden an Kissing Spines litten. „Die Theorie, dass sie nur durch das Reiten entstehen, ist damit widerlegt“, betont Florian Hörmann. Jedoch nicht ohne ein Aber: „Ich habe mal einen Vollblüter operiert, der als Jährling eine halbe Millionen Euro gekostet hat. Der ist vor dem Verkauf geröntgt worden, damals war der Rücken in Ordnung. Mit dreieinhalb Jahren habe ich ihn als Rückenpatienten bekommen und er hatte an 14 Stellen Kissing Spines“, erzählt der Tierarzt und weiter: „Er ist früh trainiert worden. Für mich stand in dem Moment fest, dass das Reiten die Problematik verschlechtern kann. Aber die einzige Ursache ist es nicht.“

Was auch immer der Auslöser für Kissing Spines ist, sicher ist, dass das Pferd behandelt werden muss. Zunächst vielleicht von einem Physiotherapeuten oder vom Tierarzt, der dem Pferd Entzündungshemmer spritzen kann. Kehren die Schmerzen aber immer wieder zurück, kann eine OP ratsam sein. „Sie ist der letzte Schritt. Gutes Training, Akupunktur und Physiotherapie sind einer Operation stets vorzuziehen“, betont der Fachtierarzt.

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Für den Eingriff gibt es zwei Methoden. Florian Hörmann setzt auf eine minimalinvasive OP-Technik, die der Brite Richard Coomer entwickelt hat. Der Eingriff erfolgt am stehenden Pferd mit entsprechender Sedierung. Unter Ultraschall und Röntgenkontrolle wird das Pferd am Rücken operiert. An der entsprechenden Stelle macht der Tierarzt einen Hautschnitt, um mit einer Schere das Ligamentum interspinale zu durchtrennen. Die Ligamenta interspinalia sind kurze, kräftige Bänder der Wirbelsäule, die zwischen den Dornfortsätzen verlaufen. „Durch den Schnitt wird der chronische Entzündungsprozess, der viele Pferde mit Kissing Spines plagt, unterbrochen. Man nimmt durch den Schnitt den Schmerz und der Teufelskreis aus Rückenschmerzen, Trainingspause, Wiederaufbau der Muskulatur und erneutem Schmerz endet“, erläutert Hörmann. Seiner Erfahrung nach liegt die Erfolgsrate bei 80 bis 90 Prozent.

Viele Reiter fürchten, dass das durchtrennte Band Einfluss auf die Biomechanik des Pferdes hat, ein Irrtum. Denn „das Band ist sehr fein und hat keine stabilisierende Wirkung“, erklärt Hörmann. Auch die Hautsensibilität und das generelle Schmerzempfinden der Pferde werde durch den Schnitt nicht verändert. Das durchschnittene Band beende nur den schmerzhaften Entzündungsprozess.

Ein Zentimeter Schnitt

Pro Kissing Spine muss der Tierarzt einen etwa ein Zentimeter langen Schnitt machen, um eine Schere einführen und das Band zwischen den Dornfortsätzen durchtrennen zu können. Die Wunden werden genäht, das Pferd bleibt einen Tag zur Kontrolle in der Klinik und nach 14 Tagen können die Fäden gezogen werden. So lange sollte das Pferd Boxenruhe haben, kontrollierte Bewegung wie Spaziergänge gehören dazu. Sobald die Fäden gezogen sind, können die Pferde auf die Weide. „Die aufbauende Arbeit kann an der Longe oder im Idealfall an der Doppellonge beginnen. Die Pferde sollen vorwärts-abwärts gehen und so ein neues, schmerzfreies Körpergefühl bekommen. Das ist besonders bei Pferden, die lange unter Kissing Spines bedingten Schmerzen gelitten haben, spannend zu sehen. Pferde, die sich jahrelang nicht gedehnt haben, laufen plötzlich anders“, berichtet Hörmann.

Er erläutert die weitere Genesung: „Bei den leichteren Fällen gibt es nach fünf Wochen eine Röntgenkontrolle. Ist alles gut verheilt, können die Reiter nach sechs bis acht Wochen wieder in den Sattel steigen. Bei den schwereren Fällen kann dies drei bis vier Monate dauern.“ Dies liege zum einen an den schwachen Rückenmuskeln der Pferde, zum anderen am Schmerzgedächtnis. Die Pferde müssen neu lernen, mit dem Sattel keine Schmerzen zu verbinden.

Bei der altbewährten Methode werden hingegen die Spitzen der Dornfortsätze herausgesägt. Dafür wird das Pferd in Vollnarkose gelegt. „Diese OP ist drastischer und die Pferde können ein halbes Jahr bis ein Jahr nicht geritten werden. Auf der anderen Seite liegt die Erfolgsquote auch bei 75 Prozent.“ Ein richtig oder falsch gibt es seines Erachtens daher nicht. Das Schlimmste sei, gar nichs zu tun, wenn das Pferd Schmerzen habe.

Unser Experte: Florian Hörmann

ist Fachtierarzt für Pferde und leitet im bayerischen Weilheim eine Praxis mit 20 Angestellten. Seit 2012 operiert er Pferde mit Kissing Spines mit einer minimalinvasiven Methode. Die Erfolgsaussichten liegen laut seinen Angaben bei 80 bis 90 Prozent. www.fachtierarzt-pferde.com