Zum Inhalt springen

Drücken Sie Öffnen / Eingabe / Enter / Return um die Suche zu starten

Interview

„Wie grün ist der Reitsport, Emily Thümmel?“

Emily Thümmel ist so etwas wie die Greta Thunberg des Reitsports. Sie hat 2019 die Initiative Riders for future gegründet, eine Plattform, auf der sie Wissen und Ideen rund um Nachhaltigkeit im Reitsport mit ihrer Community teilt, um unseren ökologischen Hufabdruck ein wenig schrumpfen zu lassen.

Emily Thümmel teilt seit 2019 Wissen und Ideen, um Pferdesport nachhaltiger zu machen.

Was hat sich seit der Gründung von Riders for future für dich persönlich verändert?

Es hat sich einiges bei mir verändert, jetzt wo ich mich näher mit den Themen auseinandergesetzt habe. Sicher war mir vorher schon bewusst, dass vieles verbesserungswürdig ist beim Thema Nachhaltigkeit und Reitsport. Aber ich bin immer wieder erstaunt, wieviel Potential tatsächlich in der Thematik steckt. Ich gehe sicherlich wacher, aufmerksamer durch die Welt, immer auf der Suche nach Möglichkeiten, die Pferdewelt etwas grüner zu machen.

Du bietest mit deiner Nachhaltigkeitsplattform einen Fundus an Wissen – welches Recherche-Ergebnis der vergangenen Jahre hat dich besonders überrascht?

Besonders erstaunt hat mich wirklich die Recherche zum ökologischen Hufabdruck des Pferdes. Ich wusste, dass dieser hoch ist, aber die Dimensionen haben mich dann doch erstaunt. Wenn man bedenkt, dass ein 550 Kilogramm schweres Pferd 2,4 Tonnen CO2 im Jahr produziert ist das ganz schön viel. Das entspricht in etwa einer 21.500 Kilometer langen Autofahrt. Zum Vergleich, ein Einwohner Deutschlands produziert im Durchschnitt 11 Tonnen CO2 pro Jahr. Das beinhaltet natürlich, wie auch beim Pferd, die Unterbringung, Strom, Mobilität, Ernährung und sonstiger Konsum. Um eine Tonne CO2 aufnehmen zu können, muss eine Buche etwa 80 Jahre wachsen. Das heißt pro Jahr bindet eine Buche 12,5 Kilogramm CO2. Man müsste also 80 Bäume pflanzen um nur eine Tonne CO2 durch Bäume zu kompensieren. Diese Zahlen fand ich enorm.

Du bist selbst Reiterin, fährst auf Turniere. Wie beobachtest du den Reitsport – wie „grün“ ist er?

Was sind für dich die größten Sünden im Pferdesport?

Wie in anderen Bereichen unseres Lebens, dürfte das Konsumverhalten hier und da überdacht werden. Häufig ist auch im Pferdesport zu beobachten, dass es immer die neuste Kollektion, oder die zehnte Schabracke sein muss. Dieser Trend wird durch die Sozialen Medien natürlich sehr angefeuert. Ich möchte nicht missverstanden werden. Es sei jedem gegönnt, der sich farblich mit seinem Pferd abstimmen möchte. Wenn ich auf einem Turnier bin, habe ich meine Sets auch gerne passend. Aber die Dosis macht das Gift, wie es so schön heißt.

Erkennst du, dass die Menschen im Reitsport umdenken?

Das Thema Nachhaltigkeit kommt immer mehr in den Köpfen der Menschen an. Das lässt sich natürlich auch im Reitsport beobachten. Immer mehr Hersteller setzen auf nachhaltige Materialien und ökologische Herstellung. Das freut mich sehr. Mit einigen Herstellern stehen ich auch in Kontakt. Doch auch an Turnierveranstaltern geht die Entwicklung nicht spurlos vorbei und sie nutzen vielfältige Möglichkeiten: Die Umstellung auf Digitales spart Unmengen an Papier. To-Go-Becher werden durch Pfandsysteme ersetzt und ökologischer Strom genutzt. Es gibt ein Turnier, das sich auf die Fahne geschrieben hat, das nachhaltigste der Welt zu sein: die Helsinki Horseshow. Neben unzähligen, ökologischen Maßnahmen wurde die gesamte Energie für dieses Turnier aus Pferdemist gewonnen, der durch die Pferde vor Ort anfiel.

Wissen, Meinungen, Praxis-Tipps stecken in jeder Ausgabe der Reiter Revue. Mit unserem Jahresabo verpassen Sie nichts mehr. Pssst: Reiter Revue macht sich auch gut unterm Weihnachtsbaum...

Wo siehst du die größten Chancen bei Reitern und Pferdeleuten, dass sie etwas verändern können?

Die vielen kleinen Dinge ergeben ein großes Ganzes. Es gibt so viele Stellschrauben an denen man drehen kann, da möchte ich mich gar nicht festlegen. Darum geht es ja bei Riders For Future. Wir bieten eine Ideensammlung an, in der jede und jeder fündig wird. Egal ob Reitanlagenbesitzerin oder Ponyreiter. Wenn jeder nur täglich eine Sache umsetzt, sind wir unserem Ziel wieder ein großes Stück näher gekommen.

Du hast einen Wunsch frei: Was wünscht du dir hinsichtlich Nachhaltigkeit im Pferdesport?

Das ist eine schwierige Frage, vor allem, weil ich mit der momentanen Entwicklung im Bereich Nachhaltigkeit und Reitsport sehr zufrieden bin. Natürlich kann man immer noch mehr machen, noch weitere Ideen entwickeln, nicht auf der Stelle stehen. Ich denke, dass genau das mein Wunsch ist. Dass die Entwicklung zu mehr Nachhaltigkeit und Klimaschutz nicht an Dynamik verliert, sondern weiter an Fahrt aufnimmt. Ich wünsche mir, dass unsere Community wächst und somit mehr Menschen neue Ideen entwickeln und mit uns teilen, so dass alle davon profitieren können.

Im Moment sind viele Menschen unglaublich gestresst durch das, was in den täglichen Nachrichten auf uns einströmt, durch Krieg und Krisen – hast du das Gefühl, dass das Thema Nachhaltigkeit womöglich in den Hintergrund rückt?

Es ist richtig, dass die momentanen Krisen die Menschen sehr beschäftigen. Anzunehmen, dass das Thema Umwelt und Nachhaltigkeit dadurch in den Hintergrund rückt, liegt auf der Hand. Doch es lohnt sich ein genauerer Blick. Auf der einen Seite müssen viele Menschen den Gürtel enger schnallen. Die Not kann hier auch zur Tugend werden: Es besteht die Chance, das eigene Konsumverhalten zu überdenken. Stichwort „Reparieren statt neu kaufen“, oder „Second Hand-Kauf“. Vielen Menschen ist durch die Energiekrise erst bewusst geworden, wie wichtig die erneuerbaren Energien sind. Erkundigt man sich heute bei einem entsprechenden Handwerksbetrieb nach einer Photovoltaik-Anlage, wird man weit bis ins nächste Jahr vertröstet. Die Branche erlebt momentan einen richtigen Boom. Der ein oder andere mag bei der Qualität von Reitsportprodukten momentan aus Kostengründen Abstriche machen müssen, an anderer Stelle kommen Einsparungen jedoch der Umwelt zu Gute. Das Thema Nachhaltigkeit und Klimaschutz ist mittlerweile so stark in der Gesellschaft angekommen, dass eine Verschiebung des Fokus in eine andere Richtung allenfalls eine Momentaufnahme ist, aber keine Trendwende.

Welche deiner Aktionen hat dich zuletzt so sehr gepusht, dass du dir gedacht hast: Jawoll, dafür mach‘ ich das Ganze?

Auf eine Aktion bin ich besonders stolz: Das ist mein Wiederaufforstungsprojekt, das wir gemeinsam mit Plant for the planet gestartet haben. Es heißt: „Riders For Future start planting“. Dort sind bereits 3.428 Baumspenden zusammengekommen. Ein erheblichen Teil dieser Spenden konnte in diesem Jahr durch unsere „Tausche Schleife gegen Baum-Aktion“ für Turnierveranstalter zusammengetragen werden.