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Frage aus dem Reiterleben

Wer entscheidet, ob mein Pferd ein gutes Pferd ist?

Diese Frage stellte sich Redakteurin Sylvia Sánchez. Sie hat wie so viele Reiter Zeit gebraucht, um zu verstehen, was ihrem Pferd gut tut. Aber sie hat dadurch generell gelernt, Pferde besser zu verstehen. Und dass Reiten nur so wirklich Spaß macht.

Wer hat eigentlich zu sagen, ob ein Pferd ein gutes Pferd ist? Die Richter auf dem Turnier? Nein - nur der Reiter selbst!

An dieser Stelle beschäftigen wir uns mit Themen, die uns Reiter bewegen. Manche Fragen stellen wir uns bewusst, andere durchkreuzen hin und wieder unsere Gedanken, bleiben aber oft unbeantwortet. Wir sprechen sie an.

Diese Geschichte würde auch gut in unsere wunderbare neue Rubrik „Herzenspferde“ passen: Rubi ist nämlich ein Herzenspferd durch und durch. Es gibt kaum jemanden, der sich ihrer freundlichen, zurückhaltenden und lieben Art entziehen kann – außer mir. Zumindest eine Zeitlang war ich dafür blind. Aber genau deshalb hat Rubi maßgeblich mein Reiterleben beeinflusst, mich geprägt und die Pferde, denen ich danach begegnet bin, haben extrem davon profitiert.

Rubi und ich hatten eine Zeit, in der es in der Ausbildung gar nicht weitergehen wollte. Der Sprung von der Klasse L zur Klasse M wollte nicht gelingen. Auf Turnieren war sie sehr guckig und erstarrte zur Salzsäule. Trainer nach Trainer wurde probiert und alle sagten: „Da muss sie durch, pack' sie mal an.“ Ich will hier gar nicht leugnen, dass es im Zuge der Ausbildung eines Pferdes auch Momente gibt, die schwierig sind, in denen Pferde sich widersetzen und ein ratloser Reiter grob wird. Aber das ist nicht die Lösung!

Nach Wochen der Kämpfe mit Rubi, in denen es mir elend ging, weil mein Gewissen mich plagte, traf ich die Entscheidung, keine Turniere mehr mit ihr zu reiten, keinem Ausbildungsstand mehr hinterherzulaufen, sondern alles auf Null zu setzen und so lange nach Hilfe zu suchen, bis ich die Art von Unterstützung fand, die wir wirklich brauchten.

Ich fragte Jan Nivelle, ob ich mit Rubi zum Training kommen dürfe und war überrascht, als der gestandene Grand Prix-Trainer mich empfing. Ich sagte ihm gleich: „Da ist aber nicht viel mit Lektionen. Im Moment wäre ich froh, eine Runde zu traben, ohne die Gerte einsetzen zu müssen.“ – „Ich guck' mal“, war die kurze Antwort. Und direkt berührte und beruhigte mich die Zuversicht in seiner Stimme. Ich fuhr zu ihm, er half mir, Rubi fertig zu machen und als er die zu beiden Seiten fallende Mähne bürstete, fragte er mich, auf welcher Seite die Mähne normalerweise liege: „Die liegt zu beiden Seiten“, antwortete ich und klugscheißerte noch: „Man sagt ja, auf der Seite, zu der die Mähne liegt, sind die Pferde besser.“ In diesem Moment sagten Jan Nivelle und ich unisono: „Na, dann ist Rubi ja zu beiden Seiten …“, ich beendete den Satz mit „schlecht“ und Jan mit „gut“. Das traf mich wie ein Blitz. Wie kam ich nur darauf, so eine schlechte Meinung von meinem Pferd zu haben? Noch heute schießen mir die Tränen in die Augen, wenn ich mich an diesen Moment erinnere. Ich liebte mein Pferd doch und dachte so schlecht von ihm. Das musste ich ändern.

So trat auch Claudia Mielke auf den Plan, Physiotherapeutin für Mensch und Pferd, und nahm Rubi unter ihre Fittiche – eine inzwischen völlig feste, verkrampfte Muskulatur mit mehreren Blockaden, die immer wieder gelöst werden musste. Der Prozess dauerte über ein Jahr.

Am Ende war es aber einzig und allein meine Entscheidung, mein Pferd gut zu finden. Es lag in meiner Verantwortung, ihre Berufung zu finden und dafür zu sorgen, das Management um sie herum so zu gestalten, dass sie ihre Talente entfalten konnte.

Ich arbeitete mit Jan nur wenige Male, aber die paar Stunden, die ich bei ihm hatte, haben mein Reiterleben verändert. Und vor allem habe ich grundsätzlich meine Einstellung zu Rubi und allen anderen Pferden verändert. Sie ist ein gutes Pferd, sogar ein sehr gutes! Ich habe es nur nicht erkannt

Rubi ist kein Turnierpferd, aber ein Verlasspferd. Ein Therapiepferd. Eine Lebensversicherung. Ein Seelenpferd. Ein Herzenspferd.

Dieser Text ist in unserer Oktober-Ausgabe erschienen. Darin erklärt unter aderem Grand Prix-Trainer Jan Nivelle den Weg von Wendungen über Kurzkehrt bis hin zu gesetzten Pirouetten. Unser Fokusthema beschäftigt sich mit Ausbildungshürden und, wie Profis sie gelöst haben und was wir von ihnen lernen können. Die Oktober-Ausgabe können Sie hier versandkostenfrei bestellen.