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Frage aus dem Reiterleben

Was ist das Sekundenglück der Reiter?

Diese Frage stellte sich Redakteurin Kirsten Ahrling. Sie kennt Muskelkater und Frust, aber auch die Euphorie des perfekten Moments. Wie viel jeder Reiter bereit ist dafür zu geben, ist eine Frage der Leidenschaft.

Das Sekundenglück eines Reiters kann sowohl in einem gestreckten Galopp liegen, als auch in einem perfekten Übergang, einer gelungenen Traversale oder einem harmonischen Parcours.

An dieser Stelle beschäftigen wir uns mit Themen, die uns Reiter bewegen. Manche Fragen stellen wir uns bewusst, andere durchkreuzen hin und wieder unsere Gedanken, bleiben aber oft unbeantwortet. Wir sprechen sie an.

Als Reiter hat man Probleme. Nicht eins, gleich mehrere. Schlackernde Schenkel, unruhige Hände, ein verlagerter Schwerpunkt und sowieso ist man immer mit allem zu langsam. Man weiß genau, wo die Ursache liegt. Wer nach einem Schuldigen für den verpatzten Wechsel oder den Springfehler sucht, findet ihn immer im Sattel. Das lernt man schon in den ersten Reitstunden.

Beim Reiten sind die Erfolgserlebnisse rar gesät. Jeder Profi berichtet vielmehr von den Durststrecken, die er mit einem Pferd durchmachen musste, bevor sich irgendwann der Erfolg einstellte.

Die Hoffnung stirbt zuletzt. Auch bei Freizeitreitern. Irgendwann kommt er schon noch, der Erfolg. Man muss nur hart genug dafür arbeiten, sich dafür quälen wollen. Fleiß und Disziplin sind Tugenden. Die meisten Hobbyeiter messen ihren Erfolg nicht anhand von Turnierschleifen und Ranglistenpunkten. Sie arbeiten für das gute Gefühl. Für den Moment, in dem alles stimmt.

Der Moment, in dem das Aussitzen im Trab plötzlich bequem ist, man diesen positiven, gleichmäßigen Druck in beiden Händen spürt, das Pferd einem sein Ohr zuwendet, bereit, die nächste Hilfe anzunehmen und in Bewegung umzusetzen.

Diese Momente sind wie Juwelen – in erster Linie sind sie selten. Manchmal halten sie eine Aufgabe lang, meist jedoch nur Sekunden. Sekunden, die beflügeln. Der Lohn für monate-, jahrelange Arbeit, hunderte Euro für Reitstunden, literweise Schweiß und Tränen. Wir Reiter sind bescheiden.

Meine Kollegin lieferte mir in einem unserer Feierabend-Gespräche das passende Bild dazu: Reiten ist, wie wenn man mit dem Fahrrad einen steilen Berg hinauffährt. Man strampelt sich ab, verausgabt sich – immer mit dem Ziel vor Augen, irgendwann oben anzukommen. Man schafft es schließlich, erhascht für den Bruchteil einer Sekunde einen Blick über die Kuppe des Hügels, ist überwältigt, mächtig stolz, schaut mit großen Augen auf die schöne Welt auf der anderen Seite, auf das, was nun alles möglich sein kann – und rollt rückwärts wieder hinunter.

Das muss doch demotivierend sein, mag manch einer denken. Ganz ehrlich: Das ist es auch oft genug. Gestern noch dachte man, der Knoten sei endlich geplatzt und es würde ab jetzt nur noch bergauf gehen. Morgen schon hat man das Gefühl, im Training um Monate zurückgefallen zu sein. Man löst ein Problem und bekommt zehn neue.

Statt den Kopf in den Sand zu stecken, strampelt man wieder drauflos. Wissend, dass es möglich ist. Wer dieses Gefühl im Sattel kennt, ist süchtig danach und tut alles, um wieder an seinen Stoff zu kommen.

Reiten ist kein Hobby. Reiten ist Leidenschaft. Zumindest für die, die bereit sind, sich zu quälen und – ja, die bereit sind zu leiden. Für das, was für uns Reiter Sekundenglück ist – wenn alles stimmt. Davon zehren wir, wenn's wieder mal bergab geht. Schließlich haben wir ein Ziel vor Augen.

Dieser Artikel ist erschienen in Reiter Revue 8/2020. Die August-Ausgabe mit dem Fokusthema "Körperspannung" und vielen weiteren spannenden Artikeln rund um Ausbildung, Gesundheit, Pflege und Fütterung Ihres Pferdes können Sie hier versandkostenfrei bestellen.