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Fragen aus dem Reiterleben

Wie schüttele ich den Alltag ab, wenn es zum Stall geht?

Diese Frage stellte sich Redakteurin Sylvia Sánchez. Sie kennt das Jonglieren zwischen Arbeitsalltag, Haushalt, Terminen und der wertvollen Zeit im Stall zu gut und hat sich gefragt, wie sie die Zeit mit ihren Pferden wieder mehr genießen kann. Die Antwort: ein Rucksack.

In den Sattel zu steigen und sich voll und ganz auf das Reiten zu konzentrieren, ist manchmal einfacher gesagt als getan.

Der Arbeitstag war hektisch, zu Hause wartet die Bügelwäsche und das Badezimmer müsste auch dringend mal geputzt werden. Außerdem verdrehen Partner, Hund und Katze die Augen, wenn man sich mit den Worten „Ich muss jetzt echt zum Stall“ aus der Tür drückt. Vielleicht liegt sogar Ärger in der Luft. Oder die Abgabe der nächsten Ausgabe der Reiter Revue rückt immer näher und dieser eine Artikel will mir einfach nicht aus der Feder fallen.

Vieles davon begleitet mich fast täglich auf den Pferderücken. Manchmal nur der Alltag, aber auch oft genug Alltagssorgen – das kennt jeder, der nach Feierabend einem Hobby nachgeht. Doch während Jogger sich den Ärger aus der Lunge rennen, Tennisspieler diesen auf die Bälle dreschen und Fußballer vor den Ball treten, will ich definitiv nicht den Druck im Kessel auf meine Vierbeiner übertragen. Oder sagen wir besser: Ich will es nicht mehr!

Denn dass eine schlechte Trainingseinheit, eine versemmelte Springstunde und ein verkorkstes Aufgabentraining regelmäßig an meiner mehr oder weniger unterschwellig schlechten Laune lagen, ist mir erst im Laufe der Zeit wirklich bewusst geworden. Tatsache ist aber, wenn ich mit Ärger im Bauch zum Stall fahre, werde ich schon beim Halfter-Anziehen von meinen Pferden skeptisch beäugt. Und immer öfter habe ich mich dabei ertappt, dass der Begrüßungsapfel nicht mit einer freundlichen „Guck‘ mal, was ich Leckeres für dich habe“-Haltung angeboten wurde, sondern eher signalisierte: „Friss‘ endlich, ich hab‘ keine Zeit!“

Das Tageskonto des Ärgers war nach dem Stallbesuch an solchen Tagen eher noch voller. Erst war es der Frust über eine miserable Reitstunde. Dann wurde es immer mehr der Ärger über die eigene Unfähigkeit, den Stress abzuschütteln und unvoreingenommen in den Stall zu fahren. Dem folgte irgendwann einfach nur tiefe Traurigkeit darüber, dass ich es zuließ, mir mein Hobby, meine Leidenschaft derart trüb werden zu lassen. Aber wie kann ich den Alltag abschütteln, wenn es zum Stall geht?

Ich besuchte einen Workshop mit Sportpsychologe Prof. Dr. Michael Gutmann. Es ging eigentlich um Themen wie Motivation, Umgang mit Lampenfieber, Konzentration. Aber zwei Dinge habe ich absolut in den Alltag integriert. Erstens: Gutmann gab für eine bessere Konzentration den Tipp, seinen Alltag und seine Sorgen für den Moment im Geiste bewusst in einen Rucksack zu packen, den man dann sorgsam am Ort seiner Wahl zurücklässt. Man verdrängt den Alltag also nicht, aber schafft sich für einen selbstbestimmten Zeitraum Platz für etwas, was einem sehr wichtig ist.

Und: Gutmann fragte jeden der Teilnehmer im Workshop, warum er denn überhaupt mit dem Reiten angefangen hatte und es als Erwachsener noch immer tue. Die einhellige Antwort: Weil es Spaß macht. Weil es ohne nicht geht. Weil ohne Pferd etwas sehr Wichtiges, etwas Elementares fehlen würde.

Ich nehme seitdem nur selten das Handy mit in den Stall, ich lege es gedanklich gleich neben den Rucksack. Der Laptop wird täglich mit einem Lächeln im Gesicht und den Worten zugeklappt: „Mir reicht’s, ich geh reiten“… übrigens inzwischen die Standardantwort zur Verabschiedung an Partner, Hund, Katze … und wer mich sonst noch auf dem Weg zum Stall aufhalten möchte. Aber vor allem lass‘ ich dieses Gefühl zu, das Pferdegeruch schon als Kind in mir ausgelöst hat: Glückseligkeit!

Reitzeit ist meine Zeit! Quality-Time. Ich gebe zu, das klappt nicht immer – aber immer öfter!

Die Rubrik "Fragen aus dem Reiterleben" beschäftigt sich mit Themen, die uns Reiter bewegen. Manche Fragen stellen wir uns bewusst, andere durchkreuzen hin und wieder unsere Gedanken, bleiben aber schlicht unbeantwortet. Ab sofort sprechen wir sie in jedem Heft der Reiter Revue an. Diesen Text finden Sie in der Juni-Ausgabe, die Sie hier versandkostenfrei bestellen können.