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Pferdewohl ​

Zehn Ideen für mehr Pferdewohl in der Zukunft​

Gemeckert wird oft schnell und viel. Lassen Sie uns konstruktiv an die Sachen rangehen. Ideen und Denkanstöße unserer Experten dieses Artikels für eine Pferdewelt mit mehr Pferdewohl.​

Pferdesport im Spiegel der Zeit. Wie können wir in Zukunft gestalten?

Dr. Margit Zeitler-Feicht, Expertin für Pferdehaltung und -verhalten

BETRIEBSLEITER IN DIE PFLICHT

„So wie unsere Tierärzte Fortbildungen machen müssen, so sollten auch Stallbetreiber zu Schulungen verpflichtet sein. Die Betriebsleiter dürfen mit ihrem Wissen nicht stehen bleiben! Sie haben ein hohes Maß an Verantwortung für das Tierwohl. Und wenn es die Einsteller sind, die nicht mitziehen, müssen sie eben entsprechende Einstellerverträge machen. Wenn Stallbetreiber wirklich das Pferdewohl zum Ziel haben, dann müssen sie es auch für jedes einzelne Pferd umsetzen.“ Weniger Umzüge „Einsteller wollen oft mehr fürs Pferdewohl tun, aber ihnen sind in Pensionsställen oft die Hände gebunden. Dann werden sie zu Stallnomaden und wissen gar nicht, was sie ihren Pferden damit antun. Laut einer Studie macht ein Pferd etwa vier Stallwechsel durch. Aber das Pferd ist ein Gewohnheitstier. Es möchte im Einklang mit seinem Umfeld leben. Heute hier, morgen dort, ist schlimm für die Pferde – ein Umzug will wirklich sehr gut durchdacht sein.“

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Anja Beran, Dressurausbilderin

RICHTER SCHICKEN, NICHT EINLADEN LASSEN

„Ich wäre dafür, dass Richter nicht mehr vom Veranstalter eingeladen werden, sondern vom Verband aus entsendet werden müssen. Die Richter könnten ihr Urteil abgeben, ihre freie Meinung, ohne die Sorge, nicht mehr eingeladen zu werden.“

KEINE FESTEN TURNIERPRÜFUNGEN MEHR

„Ich würde die festgeschriebenen Aufgaben streichen. Stattdessen fährt man auf den Turnierplatz, dort kriegt man einen Zettel in die Hand und dort steht drauf, welche Aufgabe an diesem Tag geritten wird. Jeder auf seinem Niveau. Denn dann müssten die Reiter ihr Pferd an den Hilfen haben, wirklich reiten und den Wechsel überall machen können. Die Pferde müssten die Prüfung nicht mehr wie Automaten abspulen. Ich hatte schon Pferde in Beritt, da konnte man immer erst die Dreier, die Zweier und dann die Einer reiten, aber nicht andersherum. Das ist Zirkusdressur und nicht Aus-bildung.“

KEIN KASCHIEREN MEHR

„Das Schwedische Reithalfter gehört abgeschafft. Die Mäuler sind teils so zugeschnürt, dass kein Blatt mehr dazwischen passt. Die Pferde haben eine Delle in der Nase, den Pferden verschiebt es dadurch das Gaumensegel. Wenn die Pferde das Maul ein bisschen aufmachen dürften, wäre die Sache ja geregelt. Dann könnten sie auch mal sperren und dann sieht man, dass etwas noch nicht stimmt. Das ist doch ok – man muss doch den Fehler nicht kaschieren. Da sagt man einfach: Das Pferd ist noch nicht durchlässig und arbeitet weiter daran.“

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Dr. Kathrin Kienapfel, Biologin und Pferdewissenschaftlerin

VIER-AUGEN-PRINZIP AUF DEM ABREITEPLATZ

„Als Steward hat man das Problem, keine Beweise zu haben. Der Steward ist alleine, er urteilt über die berühmtesten Reiter oder den Lokalmatador oder man kennt sich seit vielen Jahren. Die Szene ist klein, jeder kennt jeden. Jetzt steht der da alleine und muss Menschen ermahnen, die aber der Meinung sind, dass sie nichts falsch machen. Das heißt, sie werden das unter Umständen nicht klaglos hinnehmen. Der Steward trägt das auf seinen Schultern und kann nachher nur sagen: Ich habe das mit meinen eigenen Augen gesehen. Das ist schwierig. Es wäre besser, wenn zwei Leute dastünden, um wenigstens das Vier-Augen-Prinzip zu haben. Sonst steht es Aussage gegen Aussage. Richter brauchen mehr Rückendeckung – und sie brauchen mehr Mut, um auch Exempel zu statuieren.“

MEHR FOKUS AUF DAS ABREITEN

„Das Abreiten muss einen höheren Stellenwert bekommen, denn das zeigt die Wahrheit. Harmonisches Vorbereiten auf eine Prüfung muss belohnt werden“, fordert Kathrin Kienapfel.

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Martin Plewa, Reitmeister

HARMONIE AUFWERTEN

„Ich vermisse, dass in Protokollen so gut wie nie etwas zur Harmonie steht. So etwas wie, ‚das Pferd hat sich erkennbar wohlgefühlt’ – denn man kann es ja positiv deutlich machen, um zu zeigen, dass wir Richter darauf Wert legen. Umgekehrt macht es sich so gut wie gar nicht bemerkbar, wenn ein Pferd sich sichtlich unwohl fühlt. Nüstern aufgerissen, Ohren angelegt, Spitzkinn, Zunge raus, Schweifschlagen, keine Rückentätigkeit – das sind klare Stressanzeichen. Das Ziel der Ausbildung ist – so die Theorie – eine 8,0 und höher. Dafür wünschen wir uns Harmonie und zur Harmonie gehört, dass das Pferd sich unter dem Reiter wohlfühlt. Es muss sich eigentlich automatisch in der Note wiederfinden – das tut es nicht. Natürlich müssen Dressurlektionen erfüllt sein oder die Stangen müssen liegen bleiben, das ist Teil unseres Sports, aber die Harmonie müsste wieder mit in die Bewertung einfließen.“

SCHARFE REGELN FÜR SCHARFE GEBISSE

„Noch immer sind in A-Stilspringen Pelham und Aufziehtrense erlaubt. Das ist nicht mehr vertretbar. Diese Reiter können damit nicht umgehen. Auch die Kultur des Reitens auf Kandare ist aus meiner Sicht etwas verloren gegangen. Was man heute in der L-Dressur auf Kandare zum Teil sieht, ist nicht mehr pferdegerecht. Aber die Leute kriegen immer noch ihre 6,5, auch wenn sie dem Pferd mit der Kandare erhebliche Schmerzen zufügt haben. Ich könnte mir eine Prüfung für Kandarenreife auf Trense gut vorstellen, bei der man beispielsweise das einhändige Reiten abfragt.“

BEGRIFFE HINTERFRAGEN

„Man sollte Formulierungen mehr hinterfragen, hinsichtlich ihrer Wirkung auf das Verhalten der Reiter. Drei Beispiele: Vor einigen Jahren wurde der Begriff ‚Ausdruck’ in die Richterkarte aufgenommen. Wenn der Richter einem Reiter eines drei- oder vierjährigen Pferdes sagt, er solle mal versuchen, einen ausdrucksvollen Trab zu präsentieren oder an der Schulterfreiheit arbeiten, was macht er? Dann produzieren Reiter das durch künstliche Spannung und bringen ihre Pferde zum Strampeln. Als die Bergauftendenz im Galopp bei drei- und vierjährigen Pferden hochgejubelt wurde, wurden fast alle diese Pferde künstlich ins Bergauf geritten, sie gingen fast alle im Vierschlag. Unglückliche Formulierungen führen zu solchen Phänomenen.“

Dieser Artikel ist erstmals erschienen in der Reiter Revue-Ausgabe 10/2022.