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Junghengste auf Körungen

Worum geht es bei Körungen noch?

Sie springen teils über 1,30 Meter hohe Hindernisse, werden ausgebunden longiert und sollen sich bestmöglich präsentieren, um für die Zucht zugelassen zu werden. Auch um ihren Wert zu steigern. Wie tiergerecht ist das Körsystem wirklich?

Beim Freispringen auf Körungen kommt es immer wieder vor, dass Pferde sich gewaltig überspringen. (Symbolbild)

940.000 Euro, 700.000 Euro, 326.000 Euro. Das sind die Preise dreier Siegerhengste der Körsaison 2021/2022. Bei Körungen geht es um Geld, das ist kein Geheimnis. Eigentlich dienen Körungen aber der Selektion. Die besten Hengste eines Jahrgangs sollen für die Zucht ausgewählt werden. Sie werden hinsichtlich ihres Körperbaus, ihrer Grund- und Bewegungsqualität und ihrer Präsentation bewertet. Um es salopp zu sagen: Wer sich am besten präsentiert, gewinnt. Aber was heißt „am besten“? Und sind die Hengste die Gewinner oder doch ihre Besitzer, die sie dann besonders hochpreisig verkaufen können? Ja, wir verallgemeinern hier. Nein, man darf nicht alle in einen Topf werfen. Und genau deshalb schauen wir genauer hin, haben Experten nach ihrer Meinung gefragt. Die Frage ist, ob junge Hengste bei den Körungen – sowohl physisch als auch psychisch – überfordert werden.

Vorab muss man sagen, dass die Diskussion nicht neu ist. Aber aktueller denn je, denn die öffentliche Wahrnehmung ändert sich. Einer, der das Prozedere auf den Körungen kritisch sieht, ist Reitmeister und Ausbilder Martin Plewa. Er sagt klar: „Bilder oder Filmaufnahmen von Hengstkörungen der vergangenen Wochen lassen in berechtigter Weise Zweifel aufkommen, ob die Vorbereitungen und die Präsentationen der zweijährigen Hengste immer jungpferdegerecht abgelaufen sind. Wir erleben, dass sich beim Freispringen etliche Pferde maßlos überspringen.“

Zur Erläuterung: Die springbetonten Junghengste werden beim Freispringen beurteilt. Die Hindernisse haben eine Höhe zwischen rund einem Meter und etwa 1,30 Meter, je nachdem, wie der Hengst sich präsentiert, wird aufgebaut. Viele Hengste springen aber auch noch deutlich höher, überspringen sich und zwischen Hindernisstangen und Pferdebeinen ist locker ein halber Meter Platz. Das kann an der natürlichen Vorsicht des Pferdes liegen, gerade in der neuen Umgebung überspringen sich junge, unerfahrene Pferde sicherlich schneller. Es kann aber auch an der unnatürlichen Vorbereitung liegen, um es vorsichtig zu sagen.

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Unlautere Mittel?

Wichtig zu wissen ist, dass solche Riesensätze, wenn sie kein Einzelfall sind, gesundheitliche Folgen haben. Hendrik Baune ist einer der bekanntesten Hengst-Vorbereiter des Landes. Mehrere hundert Hengste, die im Stall Baune in Westfalen auf die Körung vorbereitet worden sind, sind gekört. Er hat jahrelange Erfahrung in der Ausbildung von Pferden und sagt: „Wir hatten auch schon Pferde, die von Natur aus wirklich vorsichtig waren. Mit zunehmender Routine und einem guten Rhythmus, springen sie am Ende aber alle natürlich.“

Auf den Körplätzen zeigt sich häufig ein anderes Bild, wie neben Martin Plewa auch der Fachtierarzt für Pferde, Dr. Matthias Baumann, betont: „Man will das immer perfekt springende Pferd sehen. Manche möchte es noch perfekter machen und manche helfen zum Beispiel mit einer Stange nach. Das Touchierverbot war wirklich überfällig.“ Außerdem wünscht Baumann sich, dass die Körkommissare von unten stärker eingreifen, offensichtlich unnatürlich springende Pferde von der Körung ausschließen. Nur so könne ein Umdenken erreicht werden, meint er. Hendrik Baune war mit seinem Team schon so weit, dass sie gar keine Springhengste mehr für die Körung vorbereiten wollten: „Teils war es einfach schwierig, ein Pferd, das natürlich springt, gekört zu bekommen. Den anderen Weg wollen wir nicht gehen. Ich verstehe nicht, wie mit einem Pferd geworben wird, dass zwei Meter höher springt als es muss. Das ist nicht richtig, nicht im Sinne des Pferdes. Da geht es um die Vermarktung.“ Haben Körkommissare, Zuschauer und Züchter also den Blick für natürliche Bewegungen des Pferdes verloren? Ist die Losgelassenheit so sehr in Vergessenheit geraten?

Sichtwechsel, jetzt!

Dr. Klaus Miesner ist Geschäftsführer Zucht und Mitglied des Vorstandes des Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN). Er betont, dass das Touchieren am Sprung bei Jungpferden schon immer verboten gewesen sei. Klaus Miesner sagt klar: „Ein unnatürliches Sich-Überspringen ist nach meiner Auffassung bei der Auswahl junger Vatertiere generell unerwünscht und abzulehnen.“ Klar geahndet wurde es bislang aber nicht immer.

Miesners Erachtens ist ein Philosophiewechsel notwendig, bei dem sowohl die Ausbilder, als auch die Aktiven und alle Zuchtverbände mit ihren Körkommissionen und Vermarktungen gefordert seien, genau wie alle Kaufinteressenten, das Publikum und die Fachmedien. „Es können nur alle gemeinsam dazu beitragen, dass solche Bilder nicht mehr bejubelt werden. Normalerweise braucht jeder Veränderungsprozess seine Zeit. In diesem Fall scheint die Uhr, um glaubwürdig zu bleiben, aber abgelaufen. Und deswegen sind die Zuchtverbände nun gefordert, bei besonders auffällig springenden Pferden, genau hinzuschauen und in solchen Fällen konsequent und möglichst einheitlich durchzugreifen“, betont Dr. Miesner.
Eine Forderung, die gar nicht so leicht umzusetzen ist, wie ein Kenner der Szene, der namentlich nicht genannt werden möchte, zu bedenken gibt. Seines Erachtens ist es problematisch, wirkliche Sanktionen umzusetzen. Wenn ein Hengstaussteller gesperrt werde, könne im Folgejahr auf dem Papier auch die Station als Aussteller firmieren oder der Partner. Es sei nicht so einfach, da in Deutschland ein System mit 17 Zuchtverbänden besteht. An einer gesamtdeutschen Lösung wird gearbeitet. Schwierig dabei ist: Jeder Verband möchte Hengste kören, Vererber vermarkten. „Die Qualität der Hengste hat sich in den letzten Jahren enorm verbessert und die Nachfrage nach gekörten Hengsten ist groß“, weiß auch Dr. Klaus Miesner. Hinzu kommt, dass die Hengsthalter mit ihren Köranwärtern, wenn sie hierzulande nicht gekört werden, ins Ausland gehen. Eine schwierige Situation für die Verbände, für die die Auktion nach der Körung eine wichtige Einnahmequelle ist. Am schwierigsten ist sie aber für die Gesundheit des Pferdes. Warum eigentlich genau?

Spektakulär und schädlich für den jungen Pferdekörper: extrem hohe Sprünge.

Spektakulär schädlich

Biomechanik-Experte Stefan Stammer erläutert, warum gerade das junge, muskulär noch nicht ausgereifte Pferd Schaden davon trägt: „Je höher das Pferd springt, desto mehr macht es während der Landung, physikalisch gesehen, einen Tiefsprung.“ Das Problem sei daher nicht die Sprunghöhe, sondern die Landung aus dieser Höhe. „Die jungen Pferde sind nicht in der Lage, dem Landedruck standzuhalten. Sie landen und die überschüssige Bewegungsenergie schädigt auf lange Sicht das Bindegewebe. Sie schlägt sich in der Sehne, im Fesselträger und in der unteren Halswirbelsäule nieder“, weiß der Bewegungsexperte. Ein Pferd müsse sich drei bis fünf Jahre muskulär entwi-ckeln, um die Landung halten zu können. „Ein weiteres Problem ist, dass viele dieser Pferde aus Laufställen kommen, in denen sie sich viel zu wenig bewegen“, sagt Stammer. „Jungpferde müssen viel Fläche zur Verfügung haben, das ganze Jahr, bestenfalls bergauf und bergab galoppieren können. So bauen sie auf natürliche Art schon mehr Muskulatur auf.“ Bei einer solchen Aufzucht sei es auch kein Problem, wenn die Pferde im jungen Alter mal über Hindernisse in der Höhe von einem Meter bis 1,20 Meter springen. „Das reicht, um zu sehen, wie ein Pferd mit seinem Körper umgeht“, findet Stammer.

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Kreiseln auf Zeit?

Martin Plewa erachtet aber nicht nur das Freispringen als problematisch, sondern auch das Longieren. Er sagt: „Wie dieses oft praktiziert wird, halte ich nicht für akzeptabel. Meist sind die Hengste zu kurz ausgebunden und im Tempo forciert: das hat mit dem sachgemäßen Longieren eines jungen Pferdes nichts zu tun.“ Die Junghengste werden Wochen bis Monate vorher auf die Körung vorbereitet. Entsprechend stellt sich die Frage, wie sich diese Dauerbelastung auf die Gesundheit der jungen Pferde auswirkt.

Stefan Stammer beleuchtet die Problematik detailliert: „Moderne Sportpferde haben einen hohen Schwerpunkt, sind sehr elastisch, haben lange Beine und bei ihnen wirkt die Fliehkraft auf der gebogenen Linie ganz besonders. Beim Auffußen gibt es dadurch eine Verdrehung zwischen Fesselgelenk und Huf. Das ist ein Problem für den Fesselträger, den Hufrollenkomplex und führt an diesen Stellen langfristig zu Problemen.“

Besonders kritisiert er die Tatsache, dass die Pferde ausgebunden longiert werden, denn so können die Junghengste den Hals als Balancierstange nicht nach außen führen, was sie machen würden, um die Fliehkraft auszugleichen. Aus gutem Grund: „Wenn man dem Pferd diese Ausweichbewegung erlaubt, dann wird seine Muskulatur gekräftigt, damit es die Fliehkraft eines Tages ausgleichen kann. Wenn ich es mit Ausbindern aber unterbinde, machen die äußeren Muskelgruppen dies noch mit, die Ausweichbewegungen gehen aber in das Innere des Pferdes.“

Die tieferliegenden Muskelgruppen, die die Wirbelsäule segmental stabilisieren, schalten sich aus. So entsteht eine segmentale Instabilität und es können Arthrosen in den Wirbelgelenken entstehen. Vor allem in der unteren Halswirbelsäule, aber auch in der Brustwirbelsäule.Wer sein Pferd so bewegt, zwingt es in einen äußeren Rahmen, den es nicht halten kann.
Problematisch ist auch, wann mit den Pferden mit der Arbeit an der Longe angefangen wird. Teils nämlich schon in der ersten Jahreshälfte, wenn sie gerade zweijährig sind. Dazu gibt Hendrik Baune Einblick: „Wir haben uns auch schon von Pferden getrennt, weil die Besitzer einen schnelleren Weg gehen wollten. Wenn die Besitzer schon so früh vermarkten wollen, dass die Hengste vor der Vorauswahl fertig vorbereitet sind, dann klinken wir uns aus. Dann geht es nicht mehr um das Pferd oder die Zucht. Dann geht es ums Geld. Es gibt manche Stationen, die im Sommer schon fertig ausgebildete Pferde sehen wollen. Da ist noch kein Pferd bei uns longiert. Wir lassen sie laufen, mehr gibt es nicht zu sehen.“

Zweifelhafte Erkenntnis

Ein Zuchtleiter (Name d. Red. bekannt), der viele Hengste vor der Körung im heimischen Umfeld besichtigt, meint, dass die Hengste auf der Körung wegen der vielen neuen Eindrücke in Außenstellung gehen. Er erhofft sich durch das Longieren auf der Körung Erkenntnisse über die Arbeitseinstellung des Pferdes, die Balance, die Anlehnung in der Jungpferde (bis 30 Monate) müssen in Gruppen gehalten werden. Abweichungen von der Gruppenhaltung dürfen bei Jungpferden nur in Ausnahmefällen erfolgen, z. B. wenn sie sich als nachweislich unverträglich erweisen.

Dr. Wolfgang Schulze Schleppinghoff, ehemaliger Oldenburger Zuchtleiter, hat daran seine Zweifel: „Mit dem Longieren hat man einen deutlichen Fortschritt in der Selektion erwartet. Diese Blütenträume haben sich nicht erfüllt. Die Hengste werden viel zu ‚spektakulär‘ vorgestellt. Das Problem ist das Wie und die Belastung für das Pferd.“ Zudem sei es kein großer Schritt nach vorne in der Selektion, denn es sei nicht auf die Bewegung unter dem Reiter zu übertragen. Außerdem sieht er den Zeitpunkt kritisch. Ihm wäre eine Sattelkörung mit drei Jahren durchaus lieber oder ein zweigeteiltes Modell: erst eine Exterieurkörung, im Frühjahr dann eine Körung unter dem Reiter. „Wir selektieren aktuell mit Hilfsmerkmalen. Wir wollen aber Reitpferde züchten, die besten Reitpferde. Warum selektieren wir die Pferde nicht entsprechend?“, fragt er provokant.
Sicher ist derzeit nur, dass sich etwas tun muss. Teils auch schon etwas tut, so werden aufgrund der 2022 in Kraft tretenden Leitlinien zu Umgang mit und Nutzung von Pferden unter Tierschutzgesichtspunkten des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft die Körungen etwas nach hinten verlegt. Es sind häufig nur wenige Monate, die dafür sorgen, dass alle Pferde bei der Körung 30 Monate alt sind. Aber es ist etwas gewonnene Zeit zum Wohl des Pferdes. „Am sinnvollsten wäre es zu kören, wenn die Wachstumsfugen geschlossen sind, also frühestens mit vier Jahren. Erst dann kann man auch sagen, ob das Pferd sein Bewegungstalent auch beibehält“, meint Stefan Stammer.

Physikalisch gesehen sei es nämlich einfach so, dass die Hebel und Katapultsysteme und die Elastizität des Bindegewebes entscheidend sind für die Leistungsfähigkeit. „Mit zweieinhalb Jahren verändern sich die Hebel noch. Das Katapultsystem dadurch auch. Wächst das Pferd also, haben die Leistungen von der Körung keine Aussagekraft mehr“, merkt Stammer an. Jeder Zentimeter mache da einen Unterschied. Dr. Wolfgang Schulze Schleppinghoff sagt: „Aus Erfahrung kann man sagen, dass die großen Freispringer nicht die großen Vererber sind.“ Die 30 Monate sind also das absolute Minimum. Dr. Klaus Miesner gibt folgenden Einblick in die Vereinbarungen zwischen FN, Zuchtverbänden und Bundes-, beziehungsweise Länderministerien: „Hengste, die noch keine 30 Monate alt sind, dürfen gemäß den Leitlinien Tierschutz im Pferdesport noch keiner zielgerichteten Ausbildung zum vorgesehenen Nutzungszweck unterzogen werden, sondern befinden sich in der Gewöhnungsphase.“ Dies muss beachtet werden. Außerdem soll es während der Vorbereitungsphase stichprobenartig Kontrollbesuche geben. Am Ende der anstehenden Körsaison soll ein Erfahrungsaustausch zwischen Behörden, Zuchtverbänden und FN stattfinden. „Oberstes Ziel bleibt die Verhinderung einer physischen und psychischen Überforderung der Junghengste.“ Daran werden sich die Verantwortlichen messen lassen müssen. „Bleibt zu hoffen, dass nun auch die bislang unbelehrbaren Ställe die Ernsthaftigkeit der Lage erkennen und ihrer Verantwortung gegenüber den jungen Pferden gerecht werden“, betont Miesner. Hoffen wir, dass er gehört wird.

Der Artikel ist erstmals in der Mai-Ausgabe 2022 erschienen.