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Freispringen auf Körungen: Höhenflüge in der Kritik

Das Freispringen auf Körungen steht seit Jahren in der Kritik. Ja, es hat sich viel getan. Genug? Ansichtssache. Meinungen und Gedanken zu den Höhenflügen junger Springpferde – und welche Rolle das Geld dabei spielt.

Beim Freispringen auf Körungen gibt es immer wieder Bilder von Pferden, die deutlich höher springen als das Hindernis es erfordert (Symbolbild).

Die Summe ist gewaltig: 490.000 Euro soll der Hengst Chin Grey bei der Holsteiner Körung mit Auktion gekostet haben. Zweifelsohne verfügt der frisch gekörte Hengst über ein außergewöhnliches Pedigree mit einer hocherfolgreichen Mutter. Springreiter Kent Farrington hätte aber sicherlich nicht diesen Preis gezahlt, wenn der Hengst Chin Grey nicht auch „viel drin“ hätte. Gezeigt hat er dies in der Holstenhalle und sprang teils höher, als der Sprung es erfordert hätte. Damit war er in der vergangenen Körsaison wieder nicht der einzige. Er ist auch an dieser Stelle nur ein Beispiel. Doch warum fliegen manche Hengste so hoch? Und warum nutzen Zuchtverbände teils ausgerechnet die Bilder und Videos dieser Hengste, um für ihre Veranstaltungen zu werben – im Jahr 2023?

Dieser Artikel ist in der Februar-Ausgabe 2024 erstmals veröffentlicht worden.

„Ein gutes Pferd springt nicht immer nur so hoch wie es muss, sondern auch mal höher“, meint René Tebbel von der gleichnamigen Hengststation. Klar, kann es sein, dass unerfahrene Pferde bei einem neuen Hindernis einen spektakulären Sprung zeigen. „Das bedeutet nicht gleich, dass das Pferd vorbereitet sein muss“, sagt Springreiter Christian Kukuk. „Ich möchte einen natürlichen Bewegungsablauf sehen. Für mich als Reiter kommt es darauf an, wie viel Qualität und Intelligenz ein Pferd mitbringt“, betont er, wie wenig er von großen Sätzen beim Freispringen hält.

Theresa Dohms-Warnecke, stellvertretende Geschäftsführerin Zucht der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) führt aus: „Grundsätzlich werden beim Freispringen Kriterien abgefragt, die auch beim späteren Springen unter dem Sattel wichtig sind: Galopp, Rhythmus und Balance, energisches Abfußen und Leichtigkeit am Sprung, Hals- und Rückendehnung (Bascule), Beintechnik (vorn/hinten), Leistungsbereitschaft, Anpassungsfähigkeit an die Absprungsituation, Übersicht, Vermögen im Rahmen der alters- und ausbildungsentsprechend gestellten Anforderungen.“ Das sind viele Merkmale, die innerhalb von fünf, sechs gesprungenen Reihen von der Körkommission bewertet werden.

Hat sich genug getan?

Dr. Theresa Dohms-Warnecke sagt weiter: „Angestrebt wird ein willig-flüssiges, aufmerksames Überwinden der Hindernisse mit hergegebenem Rücken und der Hindernishöhe entsprechendem Aufwand.“ Doch auf den Körungen sind teils Hengste zu sehen, die abheben, als ob sie Hindernisse wie in einem Großen Preis überwinden müssten. Immer noch. „Wenn ein ängstliches Verhalten oder verkrampfte Sprünge gezeigt werden, die keine Beurteilung des Hengstes zu dem Zeitpunkt erlauben, muss der Hengst direkt von der Körkommission herausgenommen werden“, sagt Dohms-Warnecke. Manchmal passiert das auch so.

„Das Freispringen hat sich in den vergangenen Jahren deutlich verbessert“, findet Lutz Gripshöver, selbst Hengstaufzüchter, Springreiter und Hengsthalter. Es sei entspannter als vor einigen Jahren, beobachtet der Westfale und ist mit dieser Ansicht nicht allein. Weitere Hengsthalter wie René Tebbel oder Kai Ligges sehen es genauso. Die Zuchtverbände geben Hengstvorbereitern vor, was sie sehen wollen. Es gibt Diskussionsrunden. Ja, es tut sich etwas. Nur ist es schon genug?

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Es gibt klare Regeln

Klar geregelt, sind die Anforderungen an die Junghengste auf jeden Fall und zwar durch die Leitlinien für die „Veranlagungsprüfung für Hengste“ der deutschen Reitpferdezuchten des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft. Es gibt beim Frispringen auf Körungen zwei kleine Einsprünge und einen Aussprung, der zunächst als Steilsprung, dann als Hochweitsprung aufgebaut wird. Nach schrittweiser Erhöhung und Erweiterung zum Hochweitsprung darf der Hochweitsprung gemäß den Leitlinien eine Maximalhöhe von 1,30 Meter aufweisen. Früher wurde gerade der letzte Sprung – je nach Veranlagung des Hengstes – noch höher gebaut.

„Man kann durch das Freispringen eine Idee davon bekommen, was das Pferd leisten kann“, findet Wilken Treu, Geschäftsführer des Hannoveraner Verbandes, und betont: „Das Freispringen auf einer Veranstaltung ist nur das Ergebnis dessen, was und wie zu Hause trainiert wurde.“ Er erachtet es als problematisch, dass „sicherlich immer noch mit einem übertriebenen Ehrgeiz trainiert wird“. Zugleich sieht er, dass die Aufgabe der Körkommission, die schwarzen Schafe heraus zu picken, keine leichte ist: „Die Frage, ob man etwas Natürliches bewerten kann oder ob das Springen antrainiert ist, ist ein schmaler Grat. Wenn letzteres der Fall ist, ist die Aussagekraft des Freispringens extrem klein.“

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Einfach weglassen?

Springreiter Christian Kukuk bewertet die Geltung des Freispringens generell eher als gering: „Die tatsächliche Eignung für den Sport lässt sich dadurch nur ganz schwer beurteilen“, meint der Reiter aus dem Stall von Ludger Beerbaum.

Warum dann nicht einfach weglassen? „Wir müssen irgendwann anfangen, die Pferde zu bewerten. Das geht nicht erst mit fünf Jahren. Daher erachte ich das Freispringen als relevant“, unterstreicht Lars Nieberg, der mit der deutschen Mannschaft zweimal olympisches Gold gewann und nun zur Holsteiner Körkommission gehört. Auch er sieht, dass manche Hengste „zu gut“ vorbereitet zur Körung kämen. „Mittlerweile sollte jedem klar sein, dass das niemand sehen will“, betont der Springausbilder vom Gut Berl im Münsterland. Er sieht es als Aufgabe der Zuchtverbände und Körkommissare an, klar zu kommunizieren, dass man losgelassene, natürlich springende Hengste sehen wolle. „Wir wollen mehr Transparenz schaffen, unterstreicht er. Doch warum ist es dann überhaupt notwendig, weiterhin über die Art und Weise des Freispringens zu sprechen? „Weil die Körung keine reine Veranstaltung zur Zuchtselektion ist, sondern eben auch der Vermarktung dient“, sagt Lars Nieberg, und weiter: „Bei einigen Verbänden steht die Vermarktung sogar im Vordergrund.“ Aus diesem Grund zieren hoch springende Hengste auch immer noch Werbebanner.

Wer mit Jungpferden zu tun hat, weiß, dass ein junger Hengst mal zu hoch fliegen kann. Manchmal liegt es aber an der Vorbereitung. (Symbolbild)

Besser zu vermarkten?

Höher fliegen für mehr Geld? Teils funktioniert es augenscheinlich so noch. „Es gibt sogar Beispiele von Hengsten, die bei der Vorauswahl eines Verbandes abgelehnt wurden, weil sie so auffällig sprangen. Andernorts wurden sie gefeiert und teuer vermarktet“, erzählt Jens Wehrmann, Moderator derWestfälischen Hauptkörung. Seines Erachtens wäre es sinnvoll, den Zugang zur Vorauswahl zu beschränken. Zum Wohle der Hengste. Fakt ist zugleich, dass nur fünf Prozent der Springhengste auf einer anderen Vorauswahl vorgestellt werden. Der oft beschriebene Körtourismus ist also nur ein Randphänomen.

Lars Nieberg sieht ein weiteres Problem: „Kein Hengst wird an seine Nachkommen vererben, mit 70 oder 80 Zentimenter Abstand über Hindernisse zu springen. Das ist trainiert. Züchterisch ist das nicht zu beurteilen.“ Vermarktbar seien die Hengste aber.

Die Vorbereitung ist das Problem

Wilken Treu weist auf einen weiteren Punkt hin: „Die Frage ist nicht nur, was auf den Veranstaltungen gemacht wird, sondern was im heimischen Stall gemacht wird. Die Anforderung auf den Veranstaltungen erscheint mir für das Wohl der Pferde nicht überzogen.“ Dass die immensen Sprünge den Bewegungsapparat des jungen Pferdes belasten können, steht außer Frage. Deshalb stimmt folgende Aussage des Hannoveraner Geschäftsführers besonders nachdenklich: „Hengste überspringen sich immer noch deutlich. Die Betriebe haben unterschiedlich gut realisiert, dass das übertriebene Vorbereiten nicht mehr akzeptiert wird. Je nach langfristiger Verhaltensweise der Körkommission passen auch manche Betriebe ihre Vorbereitung an. Leider haben immer noch nicht alle realisiert, worum es geht.“

Denn es geht nicht um einen teuer verkauften Hengst. Es geht nicht um einen großen Coup. Es geht um die Akzeptanz der Pferdezucht und des Pferdesports. „Und manche sägen immer noch an dem Ast, auf dem sie sitzen“, bringt Lars Nieberg es auf den Punkt.