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Reiten mit Spiegeln – wie es richtig geht

Hochgezogene Knie, verdrehte Fäuste, der Spiegel in der Reithalle deckt jeden Fehler auf. Glauben Sie? Unsere Experten erklären, wann der Blick an die Wand sinnvoll ist, warum ein Spiegel aber noch lange keinen Reitlehrer ersetzen kann.

Markus Waterhues demonstriert für Reiter Revue den sinnvollen Einsatz von Spiegeln beim Reiten.

Spiegel dienen der Selbstkontrolle beim Reiten, manche Reiter nutzen sie sogar als Trainerersatz. Aber funktioniert das wirklich? „Wer nur in den Spiegel schaut, verliert sein Gefühl“, mahnt Dressurausbilder Jürgen Koschel aus Hagen am Teutoburger Wald und auch Grand-Prix-Reiterin Heike Kemmer sagt: „Im Spiegel erhasche ich stets nur einen kurzen Augenblick. Ein Trainer kann das Gesamtbild beurteilen.“ Sind verspiegelte Hallenwände also überflüssig? Jürgen Koschel betont, dass der Reiter in der Prüfung alleine ist. „Und da ist das Gefühl das Wichtigste.“ Heike Kemmer sieht es genauso, erkennt aber im Spiegel auch eine Chance, das richtige Gefühl zu entwickeln: „Ich sehe direkt, ob das Pferd geschlossen undge rade steht. Dieses Gefühl beim Halten kann man sich merken.“ Vehement rät sie davon ab, sich vor dem Spiegel ‚zu Tode zu korrigieren‘ und über das Spiegelbild das Reiten zu vergessen.

Kein Trainerersatz

„Ein Spiegel kann den Trainer nicht ersetzen, ist aber richtig eingesetzt ein gutes Hilfsmittel“, so die erfahrene Ausbilderin. Für besonders sinnvoll hält sie den fokussierten Blick in den Spiegel. „Am besten überlege ich vorher, was ich kontrollieren will. Alles auf einmal kann ich nicht beurteilen“, berichtet sie aus ihrer Praxis. Also heißt es, sich vorher genau vorzustellen, ob der Blick auf das Genick, die Schenkellage oder das aktive Hinterbein des Pferdes fallen soll. Dann wandern die Augen nur kurz zur Wand und das Drehen des Kopfes verändert nicht die gesamte Position des Reiters im Sattel. Denn obwohl Spiegel eigentlich dazu da sind, den Sitz zu prüfen und zu verbessern, bewirken sie häufig das Gegenteil. „Wenn ich auf der Diagonalen fliegende Galoppwechsel reite und dabei ständig zur Spiegelseite schaue, kann ich schnell die Balance verlieren“, erklärt Koschel.

Heike Kemmer bringt es auf den Punkt:

„Wenn ich mich im Sattel verdrehe, um in den Spiegel zu schauen, ist das nie förderlich.“

Reiten ist Gefühlssache

Nichtsdestotrotz ist der Spiegel alle­mal ein Hilfsmittel für Reiter, die nicht von einem Trainer korrigiert werden. Das Halten auf der Mittellinie kann mit dem Spiegel sehr gut überprüft werden. Steht das Pferd gerade, darf der Reiter nur die beiden Vorderbeine sehen. Die Hinterbeine werden von ihnen ver­deckt. So steht das Pferd schnur­gerade und bekommt in der Prüfung eine gute Note.

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Für sehr sinnvoll hält Jürgen Koschel Spiegel am Ende der langen Seite, sozu­sagen in der Ecke. Bei Lektionen wie Schulterherein lohnt sich der Blick in den Spiegel besonders: Er zeigt, ob das Pferd wie gewünscht mit der Hinter­hand auf dem ersten Hufschlag bleibt und mit der Vorderhand so weit nach innen gekommen ist, dass das äußere Vorderbein vor das innere Hinterbein tritt. Das Pferd bewegt sich dabei auf drei Hufschlägen, wobei die Hinterbei­ne nicht kreuzen. Beim Schulterherein befindet sich der Spiegel ohnehin in Blickrichtung des Reiters, sodass dieser sich und sein Pferd gut kontrollieren kann.

Weniger geübten Reitern rät Heike Kemmer, sich zunächst im Halten und im Schritt oder beim Viereck vergrö­ßern und verkleinern anzuschauen. Bei weniger temporeichen Übungen fällt es leichter, sich selbst zu beurteilen. „Hin­terhandwendungen und Schrittpirou­etten lassen sich auch gut im Spiegel bewerten“, ergänzt Reitmeister Huber­tus Schmidt.

Kurze Blicke genügen

Er nutzt die Spiegel in seiner Reithal­le viel und gerne. Darin überprüfe er beispielsweise, ob die fliegenden Ga­loppwechsel auf der Mittellinie gerade gelingen, erklärt Schmidt. „Ich starre jedoch nie auf den ganzen 60 Metern in den Spiegel, sondern schaue stets nur kurz.“ Probleme, die durch das Reiten mit dem Spiegel entstehen können, sieht er nicht, stellt jedoch heraus, dass „das Fühlen das Wichtigste bleibt.“ Au­ßerdem schaue er immer nur kurz in den Spiegel, unter anderem um seinen eigenen Sitz zu kontrollieren. „Besonders wenn niemand da ist, der einem Tipps geben kann, ist es besser mit Spiegel zu reiten, als ganz ohne Hilfe“, so Schmidt weiter.

„Reiten ist Gefühlssache. Ich kann bei einer Rechtstraversale nicht nur auf ein Bein schauen, das muss ich fühlen. Aber ich kann mit dem Spiegel prüfen, ob die Hinterhand und die Vorderhand parallel sind“, so Koschel. Spiegel dürfen seiner Ansicht nach nicht überbewertet werden.

Auf seiner eigenen Anlage hat er nur an der kurzen Seite Spiegel anbringen lassen. „Wichtig ist, dass die Qualität des Spiegels stimmt. Er darf nichts verzerren.“ Wenn das nötige Kleingeld da ist, hält er es durchaus für sinnvoll, die komplette kurze Seite zu verspiegeln. „Ich sehe anderenfalls immer nur einen kurzen Ausschnitt im Spiegel.“

Vorsicht Springinsfeld

Beim Freispringen müssen die Spiegel abgehängt werden. Sie können entweder Jalousien, Vorhänge oder einen klappbaren Holzsicht­schutz dafür anbringen. Die Spie­gel können die Pferde anderen­falls irritieren und zu schweren Unfällen führen. Manche Pferde springen sogar in den Spiegel.

Junge Pferde können sich erschrecken, wenn sie sich zum ersten Mal im Spiegel sehen. Bleiben Sie ruhig und führen Sie Ihr Pferd langsam, aber bestimmt an die neue Situation heran.

Hilfe, ein Spiegel

Sieht ein Pferd sich zum ersten Mal im Spiegel, kann es sich erschrecken. Prof. Dr. Dr. József Tóth von der Tierklinik Domäne Karthaus in Dülmen ist auf das Gebiet Augen­heilkunde spezialisiert und er­klärt, warum das Pferd sich er­schrecken kann. „Ein Pferd sieht nur sechs bis zehn Meter weit richtig scharf. Alles andere ist ver­schwommen. Die unscharfe Bewe­gung im Spiegel nimmt es wahr, kann sie nicht zuordnen und er­schrickt deshalb.“ Er schließt aus, dass Pferde sich selbst im Spiegel erkennen können oder das Spie­gelbild für einen Artgenossen hal­ten. „Im Spiegel verändert sich die Größe des Pferdes extrem. Da das Pferd einen viel weiteren Be­reich sieht als Menschen, glaube ich nicht, dass es sein eigenes Spiegelbild für einen Artgenossen hält“, so der Tierarzt. Hinzu kommt, dass Pferde weder dreidi­mensional sehen noch Tiefe im Spiegel beurteilen können.

Der Text ist erstmals in der Januar-Ausgabe 2014 der Reiter Revue veröffentlicht worden.