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Für Sie getestet

Neuroathletik im Selbsttest

Besser reiten ohne reiten. Das verspricht das Neuroathletik-Training. Ob sich mit den Übungen tatsächlich hartnäckige Sitzfehler, Schwierigkeiten beim Timing oder der Koordination abstellen lassen? Reiter Revue-Redakteurin Sylvia Sanchez hat's ausprobiert.

Einen Stift mit dem Blick fokussieren: Das ist schon eine Neuroathletik-Übung.

Die Testperson: Redakteurin Sylvia Sánchez reitet seit über 35 Jahren und hat nur selten ein gutes Sitzgefühl. Außerdem ist sie mit den Gedanken oft noch woanders, wenn sie auf dem Pferd sitzt.

Skispringer tun es und Leichtathleten. Fußballer auch. Und Reiter. Neuroathletik heißt das neue „Wundertraining“, das verspricht, genau dann Fortschritte zu erreichen, wenn Technik-, Athletik- und Mentaltraining an ihre Grenzen stoßen. Klingt interessant, finde ich, denn ich stecke in genau diesem Dilemma: Ich mache immer wieder dieselben Fehler in der Einleitung der Linkstraversale, ich reite ständig mit zu langen Zügeln. Aber egal, wie sehr ich es übe, ich rutsche immer wieder in alte Muster. Marc Nölke hat mit seinem Neuro-Rider ein Konzept passend für die Bedürfnisse von Reitern entwickelt.

Sie möchten mehr über das Thema "Neuroathletik für Reiter" erfahren? Dann melden Sie sich jetzt an für unseren dreiteiligen online-Workshop mit Marc Nölke, am 13., 20. und 27. September ab 19:30. Der Workshop kostet 89 Euro, Reiter Revue-Abonnenten zahlen nur 39 Euro! Hier geht's direkt zur Anmeldung.
Sie haben Fragen zu unserem online-Workshop? Hier geht's zu den FAQs.

Der Neuroathletik zu Grunde liegt, dass jede Bewegung, die ein Körper ausübt – egal ob ganz bewusst geführt oder reflexartig – vom Gehirn gesteuert wird. Dazu wertet das Gehirn zunächst Informationen aus, die ihm die Sinnesorgane liefern. Für die Bewegung sind das ganz besonders die Augen, also der Sehsinn, der Tastsinn, der Gleichgewichtssinn, der im Innenohr liegt, und die Propriorezeptoren, die für die Wahrnehmung von Körperlage und -bewegung im Raum zuständig sind. Sie steuern insbesondere die Koordination der Körperteile untereinander. Das Gehirn kann aber nur gute Befehle für richtige Bewegungen erteilen, wenn es gut informiert ist. Wenn die Sinne eingeschränkt sind – also die Augen nicht gut funktionieren, eine Narbe den Tastsinn trübt oder der Gleichgewichtssinn zum Beispiel durch eine Gehirnerschütterung beeinträchtigt wurde – erhält das Gehirn ein verzerrtes Bild vom Raum und dem eigenen Körper. Somit sind die Befehle an den Körper nicht mehr präzise. Oder aber das Gehirn gibt durch ein Trauma – einen Sturz, eine Verletzung – die Order, das betroffene Körperteil zu schützen. Selbst dann, wenn es wieder voll genesen ist.

Die ersten Übungen zur Neuroathletik sind so simpel, dass man gar nicht glauben kann, dass sie irgendeinen Effekt auf irgendetwas im Körper haben könnten. Es geht nur um die Bewegung der Augen. Diese sollen dem Kugelschreiber folgen, man kann aber auch einfach seinen Daumennagel ins Visier nehmen. Wichtig ist bei allen Übungen, dass man sie in dem Tempo durchführt, das es ermöglicht, den Kuli scharf zu sehen. Nach und nach kann das Tempo gesteigert werden – so weit, dass der Kuli dennoch scharf zu sehen ist. Alle Übungen sollten etwa zehn Mal hin und her geübt werden. Ich bin neugierig auf den Effekt und probiere die Übungen jetzt aus.

Die Übungen

Den Kuli mit den Augen fixieren, der Kopf bewegt sich hoch und runter, nach rechts und links.
Ja und Nein

Ich stehe entspannt aber aufrecht, halte den Kuli etwa eine Armlänge von der Nase entfernt vor das Gesicht. Den Kopf drehe ich nun nach links und rechts. Die Nase soll dabei auf einer Horizontalen bleiben – also den Kopf dabei möglichst gerade halten. Die Augen fixieren den Kuli, was bedeutet, dass ich weiter nach vorne blicke, während der Kopf eine „Nein-Bewegung“ macht. Dabei stoppe ich immer kurz, wenn der Kopf ganz links oder ganz rechts ist und warte, bis ich den Kuli wirklich scharf sehen. Als Orientierung gilt, jede Sekunde die Richtung zu wechseln – also im Sekundentakt rechts-stopp-links-stopp. Dasselbe übe ich mit einer „Ja-Bewegung“: Also den Kuli an Ort und Stelle lassen, nun den Kopf nach oben und unten bewegen und den Kuli wie oben beschrieben fixieren.

Im nächsten Schritt bewegt sich der Kuli hoch und runter, der Kopf bleibt in seiner Position.
Augenbewegung

Der Kuli bleibt im gleichen Abstand zur Nase. Meine freie Hand stütze ich mit dem kleinen Finger auf dem Brustbein ab, mein Daumen stützt mein Kinn. Das soll verhindern, dass ich den Kopf bewege. Nun soll ich den Kuli bewegen und meine Augen sollen ihm folgen. Dazu beschreibt meine Hand mit dem Kuli einen Drittel-Kreis auf Höhe der Nase, zunächst horizontal und stoppt etwa auf Höhe der Schulter. Hier sollen meine Augen den Kuli wieder scharf erfassen. Auch diese Übung geht von der Horizontalen in die Vertikale, also bewege ich anschließend den Kuli von oben nach unten. Auch diese Übung zunächst in der Sekundentaktung üben.

Das Fazit

Ich komme spät in den Stall und habe noch zwei Pferde zu versorgen: putzen, reiten, misten, füttern. Am Tag zuvor hatte ich schon zu wenig Zeit für die beiden, also will ich ihnen heute unbedingt gerecht werden. Ein Blick auf die Uhr sagt mir: Vor 22 Uhr werde ich nicht fertig. Mir sitzt die Arbeitswoche in den Knochen, ich bin müde, genervt und fühle mich schlecht, weil ich insgeheim eigentlich lieber aufs Sofa will. Ich gebe mir einen Ruck und mache das erste Pferd fertig zum Reiten. Im Sattel kann ich aber nicht abschalten und die Gedanken schweifen immer wieder ab. Ich ärgere mich darüber. Das ist doch jetzt meine Reitzeit und ich denke an tausend andere Sachen, anstatt mich auf mein Pferd zu konzentrieren und die Zeit zu genießen. Ich beschließe, das Schrittreiten mit einer Neuroathletik- Übung zu nutzen, um mich von meinem Gedankenkarussell abzulenken. Und ahne nicht, was das mit mir macht ...

An jeder langen Seite fixiere ich einen Zaunpfahl der Viereckumrandung und mache die „Ja-Nein-Übung“. Eine lange Seite „Ja“, die nächste „Nein“. Handwechsel. Und nochmal das Ganze. Die ersten zehn Minuten Schrittreiten vergehen wie im Flug. Ich habe tatsächlich nur noch mein Pferd, den Reitplatz und mich im Fokus. Es folgt eine richtig gute halbe Stunde entspanntes, konzentriertes und effektives Training. Und irgendwie sitze ich heute gut. Meine Beine sind mindestens 15 Zentimeter länger als sonst, meine Hände bleiben vorne, ich hadere nicht so mit dem Zügelmaß wie sonst. Mein Pony war super!

Irgendwie fühle ich mich gar nicht mehr gestresst. Ich reite noch das zweite Pferd, wiederhole die Übungen beim Schrittreiten und steige um 21.30 Uhr selig ab. Auch die Stute war toll zu reiten. Und ich muss mich ausnahmsweise mal selbst loben. Ich bin gut geritten und hatte das, was man im Sport „Flow“ nennt. Es lief einfach.

Ich miste die Boxen, mache das Futter fertig, räume auf, fege die Stallgasse und verlasse den Stall um 22.30 Uhr. Um 23 Uhr liege ich geduscht im Bett und bin schlicht nicht müde! Auch nicht aufgekratzt. Im Gegenteil, ich bin total entspannt, aber auch irgendwie auf Sendung und fange an, in einer Zeitung zu blättern. Auf der letzten Seite gibt es ein Sudoku. Ich mache nie Sudoku, es frustriert mich. Heute ist das anders. Innerhalb weniger Minuten sind alle Zahlen eingetragen und ich kann es selbst nicht fassen: Ich habe mein allererstes Sudoku gelöst! Ich wache am nächsten Morgen nach erholsamem Tiefschlaf glasklar auf.

„Was war das denn?“, frage ich mich und habe Marc Nölke im Kopf. „Augenbewegungen reduzieren Stress unter anderem über das Kleinhirn. Darüber hinaus aktivieren sie den Bereich im Gehirn, der für Planung und Aufmerksamkeitssteuerung zuständig ist. Die Wirkung von visuellem Training sind verblüffend und kaum zu glauben.“ Das trifft es auf den Punkt: Hätte ich es nicht selbst erlebt, könnte ich kaum glauben, dass ein bisschen Augenverdrehen so viel Auswirkungen auf Körper und Geist haben kann.

Dieser Artikel ist zuerst erschienen in INGRID KLIMKE - Das Magazin "Perfektion" 1/2020 Hier können Sie das Heft online und versandkostenfrei bestellen.