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Olympische Spiele in Tokio

Kommentar: Moderner Fünfkampf – fragwürdiger Reitsport-Exkurs

Während sich die Springreiter im Equestrian Park auf die Qualifikation für das Mannschafts-Finale vorbereiteten, spielten sich im Parcours der Fünfkämpferinnen im Tokyo Stadium Dramen ab, die aus Reitsportsicht diskussionswürdig sind. Ein Kommentar.

Zum Modernen Fünfkampf gehört unter anderem die Disziplin Springreiten. Geritten wird auf zugelosten Fremdpferden. Ein Reglement, das aus Tierschutzsicht fragwürdig ist.

Tokio/JPN – Der Reitsport muss sich dieser Tage besonders im Netz mit intensiver Kritik auseinandersetzen. Aggressive Tierschützer nehmen die Wettbewerbe bei den Olympischen Spielen zum Anlass, um gegen den Sport im Allgemeinen zu hetzen und den Leistungssport generell zu verteufeln, aber auch Reiter äußern sich negativ zu einigen Bildern, die sie aus Tokio zu sehen bekamen.

Ruhig bleiben, aufklären, aber auch Kritik zulassen und selbstkritisch hinterfragen, wo tatsächlich Handlungsbedarf besteht, so lautet die Devise, um den Reitsport zukunftsfähig zu machen.

Umso erschreckender, was sich heute in der Teildisziplin Reiten im modernen Fünfkampf der Frauen darbot. Wer die bloße Ergebnisliste nach der dritten von fünf Sportarten anschaut, könnte meinen, eine neue Rangierung wurde einfach gewürfelt. Und tatsächlich schob es manch einer rein auf das Lospech, das die Teilnehmerinnen mit den Pferden hatten, als haushohe Favoriten sich plötzlich ziemlich am Ende der Liste wiederfanden - teils, weil sie nicht nur Abwürfe und Verweigerungen kassierten, sondern selbst unsanft auf dem Boden der Tatsachen landeten. Die Tiere sprangen den Parcours je zweimal, also bekamen zwei Teilnehmerinnen das gleiche Pferd zugelost. So konnte man bereits bei der russischen Fünfkämpferin Gulnas Gubaidullina erahnen, dass es für die bis dato führende Deutsche Annika Schleu schwer werden würde. Der Wallach „Saint Boy“ wirkte von vornherein überfordert. Weniger aufgrund der Hindernisse, sondern vielmehr mit seiner Fremdreiterin, die sich weder auf ihn noch er auf sie einstellen konnte. Die Arena beeindruckte ihn, er fand keine Sicherheit bei seiner Reiterin. Die meisten Distanzen passten nicht, das Pferd sprang zusehends schüchterner und klemmiger und nach mehreren Abwürfen war es so verunsichert, dass es komplett verweigerte.

Natürlich saßen die Teilnehmerinnen nicht zum ersten Mal auf einem Pferd. Der Parcours mit Hindernissen bis zu 1,20 Meter Höhe sollte schon einiges Können voraussetzen. Aber jeder Reiter weiß, wie lange es dauert, um mit einem Pferd zusammenzuwachsen, ein Team zu bilden, zu wissen, wie man ihm Sicherheit gibt. Dass dies in der Regel nicht binnen von 20 Minuten funktioniert, bestätigten diese Szenen, in denen die Pferde tatsächlich als Sportgeräte missbraucht wurden.

Als Annika Schleu in Saint Boys Sattel stieg, liefen schon vor Beginn des Parcours die Tränen: Bei der Reiterin, weil das Pferd seinen Dienst komplett quittierte und nur noch rückwärtslief. Bei manchem Zuschauer, weil die Reiterin als einziges Überzeugungsmittel die Gerte massiv einsetzte, was von Bundestrainerin Kim Raisner mit den Worten "Hau mal bitte drauf" vor laufenden Kameras noch untermauert wurde. Hilflosigkeit in und unter dem Sattel. Dass Annika Schleu und Saint Boy dann noch einige Hindernisse mehr schlecht als recht überwanden, am Ende aber nach vier Verweigerungen ausschieden und sie auf die hinteren Ränge zurückfiel, war für die Gold-Aspirantin der Worst Case. Entsprechend kann man ihre Verzweiflung am Anfang des Rittes sogar verstehen, wenngleich dies den Einsatz der Gerte in dem Maße nicht rechtfertigt. Doch kann man dieses Ergebnis nicht dem Pferd vorwerfen. Vielmehr sollte man hinterfragen, ob das Zulosen von Fremdpferden wirklich der richtige Weg ist. Denn einmal abgesehen vom "Losglück", das einen fairen Wettkampf ohnehin nicht wirklich möglich macht, ist ein verängstiges, sich zur Wehr setzendes Pferd aus Reitsportsicht ein noch viel traurigeres Resultat als die verpasste Goldmedaille.

In jeder Reitsport-Disziplin bei diesen Olympischen Spielen gab es Szenen und Ereignisse, die Diskussionen hervorgerufen haben. Ob berechtigt oder unberechtigt, man ist noch lange nicht am Ende der Entwicklung und wird sich mit der Kritik auseinandersetzen. Ein wichtiger Punkt auf der Agenda sollte, wie sich heute zeigte, allerdings der Fünfkampf sein, der zwar nicht unter dem Dach des Weltreiterverbandes beheimatet ist, aber dessen Außenwirkung nicht minder fatal für den Sport sein kann. So, wie das Reglement dort derzeit ist, kann von Tierwohl jedenfalls keine Rede sein. Und das ist der Worst Case für den Reitsport.

Die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) und das Deutsche Olympiade-Komitee für Reiterei (DOKR) haben eine Stellungnahme von DOKR-Geschäftsführer Dr. Dennis Peiler veröffentlicht:

"Als Fachverband für den Pferdesport sehen wir die Reiterei im Modernen Fünfkampf kritisch. Unser Verständnis der Reiterei liegt in der Partnerschaft zwischen Mensch und Pferd und nicht darin, das Pferd als Sportgerät zu betrachten. Die Bilder, die wir gesehen haben, haben eine klare Überforderung von mehreren Reiterinnen und Pferden gezeigt. Aus unserer Sicht muss das Regelwerk dieser Sportart so gestaltet sein und angewendet werden, dass Reiter und Pferd geschützt werden. Hier besteht beim Modernen Fünfkampf offensichtlich dringender Handlungsbedarf. Die Zuständigkeit für das Regelwerk liegt beim Weltverband für Modernen Fünfkampf. FN und FEI sind hier in keiner Weise beteiligt."