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Ingrid Klimke über das Reiter Revue Pferd des Jahres 2017 SAP Hale Bob OLD

"Er war nicht mein Traumpferd"

Mit Hale Bob feierte Ingrid Klimke ihre größten Einzel-Erfolge. Im Interview spricht sie über ihren Schelm im Stall, ein Pferd so eigenwillig im Charakter und beim Reiten. Über Durchhaltevermögen und zweite Chancen. Nix für Romantiker.

Ingrid Klimke und SAP Hale Bob OLD auf der Deutschen Meisterschaft in Luhmühlen.

Reiter Revue International: Ich habe drei Stichworte zu Hale Bob: Spring-Crack, Busch-Ass, Schalk im Nacken …

Ingrid Klimke: (lacht) Passt.

Dachten Sie das auch schon bei Ihrem ersten Zusammentreffen mit Bobby?

Naja. Ich hatte über eine Freundin von ihm gehört. Da war er fünf. Sie sagte „Ich habe einen interessanten Halbblüter gesehen, probier‘ den doch mal!“ Er sah nicht so hübsch aus wie heute, hatte weniger Muskeln. Ich dachte, da muss er jetzt aber wirklich gut springen. Das tat er.

Das klingt nicht nach der romantischen Liebe auf den ersten Blick …

Nein, das war es wirklich nicht. (lacht) Aber ich habe schnell gesehen, dass er viel Vermögen hat, sehr vorsichtig ist und vor allem viel Springfreude hat. Was die Grundgangarten angeht, tja, da war ich etwas verwöhnt durch die Dressurpferde.

Das heißt?

Sagen wir, es war sehr ökonomisch. Er bietet auch nicht den größten Sitzkomfort. Früher habe ich immer gesagt, man sitzt wie auf einer Bahnschwelle. Er war ein bisschen zäh und hölzern, nicht so geschmeidig, vor allem in den Rippenpartien. Herr Stecken sagte, „du musst viele Achten, viele Schlangenlinien, viel über Cavaletti reiten“. Bobby hat sich über die Jahre weiterentwickelt. Wir sammeln heute Punkte, weil er sehr sicher und gehorsam geht. Wir haben aber auch Höhepunkte in den Verstärkungen und er hat einen sehr guten Schritt. Mittlerweile macht es sogar Spaß, ihn im Viereck zu reiten. Er ist sehr gelehrig und steht sich selbst nicht im Weg.

Schon gar nicht im Gelände, richtig?

Sein Galopp fühlte sich von Anfang an so unaufwändig an, dass ich dachte, damit müsste er sehr ausdauernd galoppieren können. Und genau das sind auch seine großen Stärken, sein Springvermögen und seine Galoppade. Man merkt ihm im Gelände nicht an, welche Bodenverhältnisse herrschen, ob es rauf und runter geht oder ob die Strecke lang ist. Vielleicht kommt das durch das Jagdreiten.

Jagdreiten?

Wir reiten oft mit den jungen Pferden Jagden mit. Andreas (Busacker, Ehemann von Ingrid Klimke, Anm. d. Red.) hat ihn die ersten Jagden geritten. Bis Bobby sich überlegt hat, dass er gerne die Hunde überholen möchte. Er bekam so viel Ehrgeiz und Freude daran, dass er allein schon beim Hundegebell kernig wurde.

Kernig klingt noch nett, aber er hat Sie schon in Wohnungsnot gebracht ...

Oh ja. Sobald wir am Berg zum Galopptraining sind, wir Geländesprünge machen oder ausreiten und er soll hinten am Platz bleiben, dann bockt er. Wenn wir in der Gruppe ausreiten, weiß jeder, man darf nie zu dicht hinter Bobby reiten und ihn auch nicht überholen. Der kann im schnellsten Galopp gezielt nach hinten ausschlagen.

Er zeigt wirklich sehr genau, was ihm Spaß macht und was nicht. Da muss ich schon manchmal schmunzeln. Er ist früher oft durchgegangen. Ich versuche das wirklich zu verhindern, aber es gab Situationen, in denen er das geschafft hat – Kopf runter und einfach los. Das wird er bis zum Schluss nicht sein lassen. Da braucht man einen guten Sicherheitssitz. Denn ihm ist es auch relativ egal, ob man weiterhin drauf sitzt oder nicht.

War es der Verstand oder das Bauchgefühl, das Sie veranlasst hat, Bobby zu behalten?

Er war nicht mein Traumpferd, muss ich ganz ehrlich sagen. Ich weiß auch gar nicht, ob ich ihn heute noch kaufen würde. Zwei Jahre lang war ich drauf und dran ihn zu verkaufen. Aber ich hatte keine Kunden für ihn. Und als ich einen hatte, haben sich Carmen (Thiemann, Klimkes langjährige Stallmanagerin; Anm. d. Red.) und Andreas eines Abends zusammengetan und gesagt: „Nein, das machst du nicht. Wir glauben an Bobby. Wir wollen, dass du ihm noch eine Chance gibst.“ Chris Bartle (früherer Co-Bundestrainer der Vielseitigkeitsreiter, Anm. d. Red.) hat mir damals unheimlich viel geholfen.

Was sind Bobbys charakterliche Stärken?

Seine große Stärke ist sicherlich, dass er unheimlich in sich ruht. Er ist zu Hause total entspannt. Man zieht ihn eigentlich am Strick immer hinter sich her, zur Weide und zurück, er ist im Stall super umgänglich. Er verausgabt sich hier nicht, wirklich nicht. Und er ist wahnsinnig lieb mit Kindern. Hier auf dem Reitplatz würde ich jederzeit selbst die kleinsten Kinder draufsetzen, sogar rückwärts.

An seiner Box hängt ein Schild mit dem Spruch „Alle sagten: Das geht nicht. Dann kam einer, der wusste das nicht und hat‘s einfach gemacht.“ Wann hat er das bekommen?

In Pau, wo ich meinen ersten Vier-Sterne-Sieg mit ihm feiern durfte. Er stand immer im Schatten von Escada, die einfach von den Bewegungen her eine ganze Umdrehung mehr Potenzial und Qualität hatte. Gegen sie fiel er immer ein Stück ab und hatte nie eine Chance, auf sich aufmerksam zu machen. Aber in Pau ist er einfach an ihr vorbeigaloppiert.

Hat er sich denn verändert, als er nun im Stall eine besondere Rolle spielte?

Das würde ich nicht sagen. Er verhält sich auch nicht so, als ob er so viel Wert auf uns legt. Er ist schon menschenbezogen und anhänglich, aber nicht aufdringlich. Er ist einfach nur mit sich und der Welt sehr gut zufrieden.

Wer sind seine Freunde?

Seine beste Freundin ist Carmen. Und bei den Pferden hat er schon so seine Spezis: Asha steht neben ihm, die ist geduldet. Braxxi auf der anderen Seite, auch. Aber irgendwelche anderen Pferde kann ich nicht neben ihn stellen, die giftet er an. Einmal ist er in die Nachbarkoppel gesprungen, da hat er die ganze Zeit Soma Bay gescheucht. Die Arme hatte total Angst vor ihm. Da ist er schon ein kleiner Frechdachs.

Wie sieht Bobbys Alltag aus?

Er steht einen halben Tag auf der Weide. Ich reite ihn entweder vorher morgens oder am Nachmittag. Alle fünf Tage fahren wir zum Konditionstraining an den Berg. Ansonsten ist jeder Tag anders. Einmal die Woche haben alle frei, einmal gibt es Cavaletti-Arbeit an der Longe, Cavaletti-Arbeit bei der Dressur, Aufgabenreiten vor dem Turnier, Ausritte ins Gelände ... Im Winter mache ich mit ihm ein paar Gymnastiksprünge, sonst springe ich eigentlich nicht mehr so oft mit ihm. Im letzten Winter habe ich ihm Zweier- und Einer-Wechsel beigebracht, weil er sich in der Dressur ein bisschen langweilt. Im Winter haben wir mit Horsemanship-Trainerin Claudia Miller öfter gearbeitet.

Wo hält er sich am liebsten auf?

Auf der Weide. Eindeutig. Und auf dem Lkw. Er verreist gerne. Aber nicht gerne alleine, ein Freund muss immer mit.

Was sind seine liebsten Leckereien?

Am liebsten mag er die originalen Leckerli, manchmal Äpfel. Zucker oder Bananen mag er nicht.

Bobby hat Ihnen den lang ersehnten Traum vom Einzeltitel bei einem Championat verwirklicht, Sie wurden gemeinsam in Strzegom/POL Europameister ...

Manchmal erfüllen einem die Pferde, die sich nicht als das Traumpferd darstellen, solch einen Traum. Strzegom war ein besonderer Moment: Bobby war das ganze Jahr über in einer konstant guten Form. Schon beim Abreiten vor dem Gelände hatte ich echt Spaß, er war richtig kernig. Hans Melzer sagte, ich solle mich konzentrieren, mich nicht zu früh freuen. Und dann war es toll, dass mein Springtrainer Kurt Gravemeier zum Springen dazukam, denn ich durfte mir nicht einen Zeitfehler erlauben, Michi Jung war mir dicht auf den Fersen. Das war ein sehr spannendes Kopf-an-Kopf-Rennen.

Sie haben mit Hale Bob 2014 Ihren ersten Vier-Sterne-Sieg gefeiert, wurden 2015 Mannschaft-Europameister, gewannen 2016 olympisches Team-Silber, sind seit 2017 Europameisterin. Was wünschen Sie sich noch mit ihm?

Als Sam mit 16 Jahren Olympiasieger in Rio wurde, habe ich Bobby bei der Siegerehrung ins Ohr geflüstert: „In vier Jahren, bei den nächsten Spielen bist du 16. Und da vorne kannst du auch stehen.“ Man muss ja träumen können.