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Im Interview: Hannelore Martin

Wie interagieren Pferde und Wölfe?

Dieser Frage wollen Wissenschaftler der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen gemeinsam mit dem „Arbeitskreis Pferd und Wolf“ auf den Grund gehen. Was genau dahintersteckt, erklärt Hannelore Martin im Gespräch mit Reiter Revue International.

Die Ausbreitung des Wolfes ist unter Pferdebesitzern immer wieder ein Thema.

Ab Mitte August soll eine Studie in einem großen Pferdebetrieb in der Nähe von Celle durchgeführt werden – im ersten Abschnitt angelegt auf zwei Jahre. Was geschieht dabei genau?

Die Pferde werden mit GPS-Sendern ausgestattet, die laufend den Standort des Tieres mit Uhrzeit aufzeichnen. Damit lässt sich das Verhalten der Tiere sowohl während des Tages als auch nachts feststellen. Anhand einer statistischen Auswertung lässt sich schnell herausarbeiten, wie sich Pferde im Normalfall verhalten. Abweichungen werden dann abgeglichen mit Aufzeichnungen von Kamerafallen, die an der Weide aufgehängt werden. Die fotografieren automatisch Wildtiere beim Betreten der Weide und speichern dazu die Uhrzeit. Anhand dessen können wir die Ursachen für Aufreger filtern, denn auch Insektendruck kann zum Beispiel ein Auslöser sein. Die Weide liegt in einem Wolfsterritorium, das seit sechs Jahren existiert. Aufgrund der Lebensweise der Wölfe – dem ständigen Durchstreifen ihres Revieres bei der Jagd – ist davon auszugehen, dass sie diese Pferdeweiden schon mehrfach besucht haben, beziehungsweise an ihr vorbeigelaufen sind.

Was ist denn der Hintergrund der Studie?

Nach 150 Jahren leben erstmals wieder Wölfe in Deutschland. Pferde könnten Nahrung des Wolfes sein, sind es aber nicht: Abgesehen von einem Einzelfall in Sachsen-Anhalt ist es in 18 Jahren und inzwischen 60 Rudeln zu keinem weiteren Übergriff gekommen. Was also passiert, wenn nachts ein Wolf eine Pferdeweide betritt? Wie genau eine Begegnung zwischen Wolf und Pferd verläuft, dazu gibt es bisher keine belastbaren wissenschaftlichen Untersuchungen aus Deutschland. Aus unserem Projekt erhoffen wir uns da konkrete Einschätzungen. Das wäre auch hilfreich, um bei der Frage weiterzukommen, ob und wie Pferdeweiden gegen Wölfe eingezäunt werden müssen. Mit unserem Projekt erhoffen wir uns darauf Antworten.

Wie oft kommen Begegnungen nach aktuellem Wissensstand im Durchschnitt vor?

Die unmittelbare Begegnung auf wenige Meter ist generell sehr selten. Für Wölfe stellen Pferde aufgrund ihrer Größe sehr wehrhafte Tiere dar. Wölfe sind Sicherheitsfanatiker. Ihre Gesundheit ist ihr Kapital. Da sie sich über den Geruchssinn orientieren, können sie Pferde weitläufig umgehen. Am häufigsten laufen sie an den Weiden vorbei, denn heimische Wolfsrudel nutzen in bestimmten Jahreszeiten häufig die gleichen Laufwege, um von A nach B zu kommen.

Wir haben mehrere Untersuchungsgebiete – eines noch in der Lausitz. Dort sind die Weiden riesig, so dass die Wölfe auch die Weiden durchqueren. Aber nur an bestimmten Stellen. Es ist eindeutig nicht so, dass sie die Weiden gezielt aufsuchen.

Nehmen Pferde die Wölfe aus Ihrem Verständnis heraus denn eher als Hund wahr oder haben sie tatsächlich richtig Panik vor Wölfen?

Es gibt die Vermutung, dass Pferde durch Wolfsgeruch aufgescheucht werden und dann panisch reagieren oder flüchten. Dazu gibt es Untersuchungen aus Dänemark. Professor Janne Winther Christensen von der Universität in Aarhus hat die Wirkung von Wolfsurin, Haaren, Blut und einer Mischung aus allem auf Pferde getestet. Die Reaktionen waren sehr gering. Auch eine Studie der Tierärztlichen Hochschule Hannover hat gezeigt, dass Pferde vor allem auf ihren Sehsinn vertrauen, dann auf den Hörsinn und dann erst auf ihren Geruch. Ich glaube aber schon, dass Pferde Wildtiere und Hunde unterscheiden können. Wie sehr es sie stört, wenn Wölfe oder anderes Wild über ihre Weide laufen, versuchen wir mit unserer Untersuchung zu beantworten.

Mit welchem Fazit rechnen Sie denn bei der Studie?

Vermutungen gibt es viele. Da muss man die Ergebnisse abwarten. Die Erwartung geht im Moment in die Richtung, dass sich Pferde der neuen Situation anpassen werden. Solange in einem Gebiet genug Wild ist, werden Wölfe Beute jagen, die leichter zu erlegen ist. Auch Fohlen sind nach den Erkenntnissen aus Beobachtungen in Italien bei ihrer Mutter relativ sicher. Pferde gehören aber natürlich zum Beutespektrum des Wolfes, das ist nicht abzustreiten. Alles, was mehr Klarheit in das Verhältnis von Pferd und Wolf bringt, wird helfen, dass Pferdehalter ruhiger schlafen können.

Kann man denn etwas tun, um die Pferde noch besser auf der Weide zu schützen? Beispielsweise die Weide so konzipieren, dass das Pferd nicht in die Enge getrieben werden kann?

Wir haben bislang nur beobachten können, dass die Pferde aufmerksam auf Wölfe reagieren, nicht aber, dass sie panisch flüchten. Vielmehr geht es um eine gesunde Zusammensetzung der Herde. Eine gesunde Rangordnung ist der beste Schutz. Professor Dr. Konstanze Krüger von der Hochschule Nürtingen hat in Italien untersucht, ob Esel und Maultiere in Pferdeherden tatsächlich mehr Schutz versprechen. Dort laufen die Pferde allerdings frei. Das Fazit war, dass die Esel und Maultiere sich größtenteils von den Pferdeherden abgesondert und eigene Herden gebildet haben. In diesen Herden waren die Verluste durchs Wolfsrisse aber letztendlich genauso hoch, wie in den Pferdeherden. Fakt ist, dass sich die Pferde immer an einer gesunden bestehenden Rangordnung orientieren.

Aber wie kann man die Risse letztendlich ausschließen?

Wir hatten in der Oranienbaumer Heide vor einiger Zeit verschiedene Fohlenrisse. Dort fohlten mehrere Stuten zeitnah hintereinander. Die Wölfe haben sich vermutlich – bewiesen ist es nicht – darauf eingestellt und auf die Lauer gelegt. Genau wie die Füchse, die an die Nachgeburt kommen wollten. Wenn man dies erkennt, sollte man hochtragende Stuten in Bereiche bringen, die wolfssicher sind. In den angegebenen Fällen waren die Pferde in freilebenden Herden unterwegs und es haben zwischen 30 und 40 Stuten im Freien gefohlt. Die größte Gefahr besteht direkt nach der Geburt, wenn das Fohlen noch schwach und wackelig auf den Beinen ist. Je älter es wird, desto sicherer ist es. Wenn es sechs bis acht Wochen alt ist, kann es meiner Meinung nach, auch nachts draußen bleiben.

Denken Sie denn, dass für normale Weidepferde überhaupt eine Gefahr besteht?

Solange es genug Beutetiere gibt, muss man sich, meiner Meinung nach, keine großen Sorgen machen. Die Gebiete, die in Niedersachsen besetzt sind, haben immer das gleiche Wolfsvorkommen. Jungwölfe wandern ab und suchen sich neue Territorien. Die Wölfe, die an meiner Weide entlanglaufen, sind immer die gleichen und auch die Anzahl bleibt relativ stabil. Sie nehmen außerdem immer die gleichen Wege. Es ist unwahrscheinlich, dass plötzlich etwas passiert.

Wenn ich mit meinem Pferd gemütlich durch den Wald reite und vor mir auf dem Weg steht doch einmal plötzlich ein Wolf. Wie reagiere ich dann am besten?

Was immer günstig ist, ist sich zugewandt zu verhalten. Nicht im vollen Galopp die Flucht ergreifen, sondern, wenn die Reiter zu mehreren unterwegs sind, sich möglichst nebeneinander aufstellen und den Wölfen zuzuwenden, wenn sie sich noch nicht zurückgezogen haben. Die Wölfe nehmen Menschen auf dem Pferd nicht wahr, sondern orientieren sich nur an dem Pferden. Alles, was groß ist und auf sie zukommt, schüchtert sie ein.

Hannelore Martin züchtet selbst Trakehner und ist Sprecherin des Arbeitskreises „Pferd und Wolf“, einem Zusammenschluss von Pferde- und Naturschutzverbänden sowie Naturwissenschaftlern.