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Blog aus Lyon

Von Vorurteilen und Wahrnehmungsfehlern

Während anderswo Ostern gefeiert wird, geht's auf dem Eurexpo-Gelände in Lyon um Pferde. Und nicht nur um die.

Vorurteile sind Wahrnehmungsfehler, die dem sozialen Zusammenleben schaden. Das habe ich mal irgendwo gelesen und mir gemerkt. Trotzdem: Ich habe ein gestörtes Verhältnis zu Taxifahrern. Und ich bin davon überzeugt, dass der Grund nicht etwa ein Wahrnehmungsfehler, sondern Erfahrung ist. Und aktuell bekommt mein Wahrnehmungsfehler täglich Futter. Das fing schon nach der Landung hier in Lyon an. Zu zweit riefen wir uns ein Taxi. Das kam auch prompt, spuckte ein kleines Männchen aus, das unser Gepäck – je ein Koffer und eine Laptop-Tasche – musterte, dann den Kofferraum, schließlich bedenklich sein Häuptlein wiegte und dieses dann schüttelte. Wir waren durchgefallen, der Herr hinter uns durfte einsteigen. Entschuldigung, darf man nicht mal mehr mit einem Koffer am Flugplatz stehen?

Aber ich bin zäh, ich gebe nicht auf und übe täglich weiter. Vorurteile abbauen, solche gegenüber Taxifahrern. Das Hotel, in dem ich untergekommen bin, liegt nur wenige Kilometer entfernt. Das ist zwar nicht schön, weil nicht etwa im malerischen Städtchen, sondern an dessen Peripherie im Industriegebiet, aber praktisch. Denn es liegt nicht weit vom Messezentrum Eurexpo entfernt, in dem das Welt-Spektakel über die Bühne geht. Und das spart Taxikosten. Zumindest theoretisch. Ich bin die Strecke mangels Shuttle-Anbindung meines Hotels jetzt schon einige Male gefahren – morgens ohne Berufsverkehr und nachts nach den letzten Pressekonferenzen. Kein Stau weit und breit. Gekostet hat’s mal zehn, mal 18 Euro oder irgendwas dazwischen. Ich versteh’s nicht, meine Wahrnehmungsstörung fühlt sich bestätigt. Große Ausnahme: der Taxifahrer heute morgen. Okay, mit 16 Euro lag er auch nicht gerade am unteren Limit, aber er hat das „perfekte Französisch von Madame“ (das bin ich!) gelobt. Guter Mann, löbliche Ausnahme.
 
Noch so ein Wahrnehmungsfehler: Asiaten sind keine Hünen. Stimmt gar nicht. Dong-Seon Kim ist ganz schön lang geraten. Er vertritt hier Korea im Weltcup-Finale Dressur. Vermutlich gab’s in seiner Heimat schon genug Anwärter auf die Basketball-Nationalmannschaft. Gut, Bukowski, sein Pferd, ist nicht gerade ein Hingucker. Aber er macht seine Sache brav, und der Koreaner mit den langen Beinen war zwar gestern im Grand Prix 17. und somit Letzter, aber blamiert hat er sich nicht.
 
Und noch so ein Vorurteil: Die Grande Nation isst gerne und gerne lange. Sicher auch nur ein Wahrnehmungsfehler, dass hier am Abreiteplatz der Mann, der im Cateringbereich die Austern knackt, der gefragteste Mitarbeiter ist. Der Kollege, der sich heute gegen Mittag zu einem Empfang im VIP-Bereich aufgemacht hatte, kam nach gut einer Stunde hungrig wieder. Übers Amuse Gueule war er nicht hinausgekommen. Die französischen Gastgeber wunderten sich, dass er die weiteren Gänge verschmähte. Etwa bloß weil die Prüfung begann?
Andererseits ist auch die Presseverpflegung hier vom Feinsten. Und das ist ganz sicher kein Wahrnehmungsfehler, schon gar keiner, der dem sozialen Zusammenleben schaden könnte. Während sich Journalisten in vielen Pressestellen schon recht dankbar an lauwarmen Kaffee klammern, trifft man sich hier bei kleinen Häppchen im ersten Stock des Foyers, um gemeinsam an locker verteilten Sitzgruppen zu essen. Vor allem die französischen Kollegen. Aber vermutlich habe ich auch das nicht richtig wahrgenommen.

Wie auch immer, ich werde heute Abend wohl satt zum Hotel aufbrechen. Im Taxi. Frohe Ostern! –mic–