Zum Inhalt springen

Drücken Sie Öffnen / Eingabe / Enter / Return um die Suche zu starten

Tierschutz im In- und Ausland

Eine Frage der Sichtweise?

Ist Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern in Sachen Tierschutz bei Pferden Vorreiter oder gibt es deutlichen Verbesserungsbedarf? Die Meinungen sind verschieden und der Blick ins Ausland zeigt, dass Vergleiche oft nicht möglich sind. Eine ethische Diskussion, die Verständnis fordert.

Indien: Ein Pferd auf Nahrungssuche frisst Plastik.

Wie kann man das Leid der Pferde im Zentrum von Palma de Mallorca beenden, die normalerweise Tag für Tag in der Hitze Kutschen mit Touristen durch die Gassen ziehen? Diese Frage erreichte unsere Redaktion und ihre Formulierung lässt keine Zweifel daran, dass der Einsatz der Tiere aus Sicht des Fragestellers tierschutzrelevant ist. Definitiv lässt sich nicht bestreiten, dass Pferde ein anderes Leben bevorzugen würden und die Situation dieser Tiere verbesserungswürdig ist. Wäre aber die Forderung eines Verbots das Mittel der Wahl?

Erst einmal sollte man sich mit dem Thema Tierschutz weltweit auseinandersetzen. Denn wie unsere Gespräche mit dem deutschen Tierschutzbund, der Welttierschutzgesellschaft und der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) zum Thema Tierschutz im In- und Ausland zeigen, ist es immer auch von der Sichtweise abhängig, welche Maßnahmen erforderlich sind. Sicher ist: Tierschutz ist ein Prozess, der auf Verständnis basiert. Und das ist nicht nur von Vorgaben abhängig, sondern auch von den tatsächlichen örtlichen Rahmenbedingungen – und nicht zuletzt von der Kultur.

Wir sprechen Themen an, die Reiter bewegen. In jeder Ausgabe finden Sie die besten Tipps für gutes Reiten und gesunde Pferde. Sichern Sie sich hier Ihr Abo und nutzen Sie die Vorteile auch bei stark rabattierten und für Abonnenten kostenlosen Webinaren und Online-Workshops.

Fehlende Verordnungen

Tatsächlich haben zumindest alle Länder in der EU definierte Tierschutzgesetze. Andrea Mihali vom Deutschen Tierschutzbund sagt jedoch, dass vielerorts zu wenig darauf geachtet werde, dass diese befolgt werden. „Wenn es niemanden gibt, der Verstöße ahndet, nehmen die Menschen die Gesetze gar nicht für voll.“ Auch in Rumänien, Bulgarien oder in Griechenland gibt es entsprechende Gesetze. An der Umsetzung hapert es dort allerdings vielerorts. Zusätzlich sei das Problem, dass explizite Tierschutzverordnungen, beispielsweise für Pferde, fehlen. „Oft sind die Gesetze nicht konkret genug. Entsprechend ist es in vielen Fällen Auslegungssache, ob Verstöße vorliegen“, sagt Mihali. Auch in Deutschland sei dies der Fall. „Der Umgang und die Haltung von Pferden sind beispielsweise nicht konkret aufgeführt“, beschreibt sie. Da sei die Schweiz weiter. Dort ist etwa die Nutzung von Schlaufzügeln gesetzlich verboten. „In Deutschland gibt es zwar die Leitlinien für den Tierschutz im Pferdesport und zur Pferdehaltung. Sie sind aber Leitlinien und kein Gesetz. Entsprechend ist die Verbindlichkeit nicht vergleichbar“, macht Mihali deutlich.

Abgesehen davon gibt es Mittel und Wege, um das eigene Tierschutzgesetz zu umgehen. Ein Beispiel ist der Einsatz von Blut tragender Stuten in der Schweinezucht. Das gewonnene Hormon PMSG ermöglicht die Synchronisation der Trächtigkeit bei den Sauen. Die Gewinnung des Bluts passiert auf sogenannten Blutfarmen, berichtete die Tierschutzorganisation AWF vor einigen Jahren. Damals blickte man vor allem auf den südamerikanischen Raum, wo die Zustände als tierschutzwidrig angeprangert wurden. Mittlerweile werde das Hormon PMSG häufig aus Island bezogen, erklärt Tierärztin Daniela Schrudde von der Welttier-schutzgesellschaft. Zwar ist über die dortigen Zustände nicht viel bekannt, aber aufgrund der Tatsache, dass die Produktion im Ausland stattfindet, greift das deutsche Tierschutzgesetz nicht. „Aber Deutschland gehört zu den großen Abnehmern und kann sich eigentlich nicht aus der Verantwortung stehlen“, betont Schrudde. Damit erfasst sie den Kern des Dilemmas: Gelebter Tierschutz beginnt nicht dort, wo das Tierschutzgesetz greifen müsste, sondern dort, wo der einzelne hinterfragt, was tierschutzgerecht ist.

Es braucht Aufklärung

Das wiederum bringt weitere ethische Fragen mit sich. Ist es korrekt tierschutzwidriges Verhalten anzuprangern, wenn die Umstände es nicht anders zulassen? Beispiel Indien. Tierärztin Daniela Schrudde berichtet von Projekten, die die Welttierschutzgesellschaft dort unterstützt: „Ein großes Problem sind viele Pferde mit sogenannten Plastikkoliken. Während des Tages nutzen die Menschen sie als Arbeitstiere, nachts lassen sie die Tiere frei, damit sie sich ihr Futter suchen können. Sie finden nichts und fressen Plastik.“ Ein weitverbreitetes Problem in verarmten Regionen in asiatischen oder südamerikanischen Ländern. Doch wie sollen die Bewohner ihre Tiere nach dem Grundsatz des Tierschutzgesetzes versorgen, wenn sie selbst kaum Nahrung haben?

„Ein weiteres Problem ist die Unwissenheit“, erklärt Schrudde. „Vielen Pferden und Eseln, die schwer arbeiten müssen, werden die Nüstern aufgeschnitten, weil man ihnen damit helfen will, besser Luft zu bekommen.“ Ein schmerzhafter und fraglos tierschutzwidriger Irrglaube, aber im Grunde mit einem eigentlich gut gemeinten Hintergrund. Doch der Zweck heiligt nicht die Mittel. Die Welttierschutzgesellschaft arbeitet in Projekten an der Aufklärung. „Gleiches gilt für den Behandlungsweg von stark mit Maden befallenen Ohren“, beschreibt Daniela Schrudde. „Den Tieren werden die Ohren oft einfach abgeschnitten.“

Die kulturellen Ansichten spielen in den Ländern auch bezüglich des Tierschutzes eine erhebliche Rolle. In einigen Dörfern in Indien gelten die von der verarmten Bevölkerung gehaltenen Esel häufig als unberührbar. „Viele Tierärzte weigern sich, die Esel zu behandeln“, berichtet Schrudde. Auch diesbezüglich müsse man Informationsarbeit leisten. Ebenso sei es in vielen Ländern generell wichtig, die tiermedizinische Versorgung voranzubringen. Zahlreiche Hilfsorganisationen wie die Welttierschutzgesellschaft oder das Beispiel „Equiwent & Schmiede ohne Grenzen“ setzen sich dafür ein.

Sie möchten über die wichtigsten Themen im Reitsport und unsere neuesten Webinar- und Seminar-Angebote immer informiert sein. Dann abonnieren Sie hier unseren kostenlosen Newsletter.

Ein Pferd, das die Zunge zeigt. Auch hier gilt es zu hinterfragen, was die Ursache ist.

Die Entwicklung im Sport

Das Thema Kultur ist auch im Spitzensport eine Herausforderung. Hier stellen sich weniger die Tierschutzfragen zur Grundversorgung, dafür aber zu anderen Themen. Paragraph 3 des deutschen Tierschutzgesetzes verbietet klar, einem Tier Leistungen abzuverlangen, denen es nicht gewachsen ist, oder es mit Medikamenten leistungsfähiger zu machen. Dies ist so allerdings nicht überall klar geregelt. Kommen die Ländervertreter bei der Generalversammlung des Weltreiterverbandes (FEI) zusammen, sind es mehr als 130 Stimmen, die bei Entscheidungen einbezogen werden müssen. Die Ansichten sind häufig konträr. So ist es beispielsweise aus US-amerikanischer Sicht gelebter Tierschutz, Schmerzmittel auch im Wettkampf zuzulassen. Denn so werde verhindert, dass das Pferd Schmerzen erleidet. Entsprechend befürworteten die Stimmberechtigten aus Ländern mit dieser Auffassung die Aufnahme von Schmerzmitteln auf die Liste der im Wettkampf erlaubten Medikation. Delegierte aus Ländern mit ähnlicher Auffassung wie Deutschland stimmten dagegen.

„Man braucht schon Verbündete, wenn man etwas bewegen will“, bestätigt Soenke Lauterbach, Generalsekretär der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN). Gerne werfen Reiter der FN vor, sich zu wenig international für den Tierschutz stark zu machen, doch am Ende hat Deutschland genauso eine Stimme wie Länder, in denen der Reitsport keine große Rolle spielt oder die kulturellen Hintergründe dem Schutz des Pferdes wenig Raum geben. Tatsächlich haben sich Gesetze, wie das Verbot des Rasierens der Tasthaare, lange nicht durchsetzen lassen. Es war ein langer Überzeugungsweg, bis genügend Stimmen für das Verbot zusammenkamen. Seit Mitte 2021 ist ein geclipptes Pferd auf internationalen Turnieren nicht mehr startberechtigt. Es komme bei solchen Entscheidungen auch darauf an, wer die Gesetzesänderung fordere, sagt Lauterbach. Aus strategischen Gründen. Denn: „Deutschland wird oft unterstellt, in Sachen Tierschutz sehr viel verändern zu wollen. Da ist es manchmal ratsam, dass Länder wie Spanien oder Frankreich den Vorschlag machen.“

Ist Deutschland weltweit eher Vorreiter in Sachen Tierschutz bei Pferden oder hinken wir hinterher? Das ist definitiv eine Frage der Sichtweise. Während Soenke Lauterbach bezüglich des internationalen Vergleichs im Spitzensport eher zur ersten Antwort tendiert, sehen es Andrea Mihali und Daniela Schrudde kritischer. Gerade der Spitzensport habe in Sachen Trainingsmethoden auch in Deutschland noch Luft nach oben, argumentieren beide. Schnell fällt der Begriff „Rollkur“, die noch immer nicht von den Turnierplätzen verschwunden sei. „Die Richter müssen noch stärker für das Thema Tierschutz sensibilisiert werden“, fordert Schrudde. Das Thema ist brisant. Schauen Stewards und Richter tatsächlich noch zu häufig weg oder werden die Anforderungen an die Reiter immer strenger? Gar unfair, wenn pauschal geurteilt wird? Kann man schon von Tierschutzproblematik sprechen, wenn Pferde im Stall nachts einbandagiert werden oder nur auf Einzelkoppeln stehen, um das Verletzungsrisiko zu minimieren? Sie werden mit dem besten Futter gefüttert, von Tierärzten, Osteopathen, Zahnärzten und Co. ständig betreut. Doch erfüllt ihr Leben ausreichend die natürlichen Bedürfnisse eines Pferdes? Es sind Kompromisse, wie sie überall eingegangen werden müssen. Ein perfektes Leben gibt es nicht. Aber die Entwicklung ist noch nicht am Ende. „An wirklichen Missständen müssen wir konsequent dranbleiben“, sagt Soenke Lauterbach. Der Distanzsport sei so eine Baustelle. In den Arabischen Emiraten wird der Tierschutz in dieser Disziplin kaum beachtet. Das ist keine Frage der Sichtweise.