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Interview in der August-Ausgabe 2020: Tierschutz im Reitsport

„Die FEI versteht sich nicht als Vertreter des Pferdes weltweit“

Tierschutz sollte im Reitsport oberste Priorität haben. Aber tut der Weltreiterverband genug, um "Welfare of the horse" tatsächlich garantieren zu können? Nein, sagen die Reitsport-Experten Martin Plewa und Martin Richenhagen einstimmig. Ihre Kritik geht aber noch weiter!

Ein Thema, das eine tragende Rolle spielt.

Sie finden klare Worte und beziehen ganz klar Stellung: Der Reitsport, sowohl international als auch national, hat in Sachen Tierschutz noch Luft nach oben. In der August-Ausgabe, die ab dem 15. Juli 2020, im Handel ist, spricht Reiter Revue-Redaktionsleiterin Sarah Schnieder mit dem früheren Grand Prix-Richter Martin Richenhagen und Reitmeister Martin Plewa über die Aufgabe der Verbände, Probleme verschiedener Disziplinen, den Sinn oder Unsinn von schärferen Regeln und die fehlende Schulung zum Wohlbefinden des Pferdes.

Hier finden Sie einen Ausschnitt des Artikels. Das gesamte Interview lesen Sie in unserer August-Ausgabe, die Sie hier versandkostenfrei bestellen können.

Herr Richenhagen, Herr Plewa, ein Distanzreiter wurde vom Weltreiterverband (FEI) jüngst für 20 Jahre gesperrt. Hintergrund: verbotene Medikation und Missbrauch des Pferdes. Ist die Strafe aus Ihrer Sicht angemessen?

Martin Plewa: Ich kenne den Fall nur aus der Presse. Was da beschrieben wurde, ist sehr gravierend. Sein Handeln hat dazu geführt, dass das Pferd das nicht überlebt hat. Das ist natürlich sehr tierschutzrelevant. Deshalb ist das eine durchaus angemessene Strafe. Eigentlich sollte so jemand nie wieder auf ein Pferd steigen dürfen.

Martin Richenhagen: Da es ja mit Vorsatz passiert ist, wäre ich auch mit einer lebenslangen Sperre einverstanden. Das ist allerdings aus der Ferne sehr schwer einzuschätzen. Ich würde aber gerne noch weitergehen. Ich habe mir bei den Weltreiterspielen in Lexington 2010 diese Disziplin angesehen. Das ist ein wirklich trauriges Bild. Einige Reiter, hauptsächlich aus dem arabischen Raum, sind nicht mal in der Lage, vernünftig leichtzutraben. Sie hängen da drauf wie nasse Säcke, belasten permanent den Rücken der Pferde, stören die Pferde. Ich kann da keinen sportlichen Sinn erkennen, wenn man Pferde über Stunden hunderte Kilometer durch die Gegend hetzt. Ich bin der Meinung, dieser Sport sollte weder unter dem Dach der Deutschen Reiterlichen Vereinigung noch unter dem des Weltreiterverbandes stattfinden. Die Idee dahinter war eigentlich, dass man sie besser einbinden kann, die Fakten zeigen allerdings, dass dies nicht funktioniert.

Diesbezüglich verweise ich aber auf all diejenigen, die im Distanzsport pferdegerechtes Reiten demonstrieren. Tut man ihnen nicht Unrecht?

Martin Richenhagen: Ich kann grundsätzlich nicht erkennen, dass das ein Sport ist. Die Anforderungen an den Reiter sind gleich Null. Es gibt keine großen Einstiegslimits, um bei internationalen Ritten starten zu dürfen. Da muss man in den anderen Disziplinen als Reiter deutlich mehr leisten. (Anm. d. Red.: Um an internationalen Distanzritten teilnehmen zu können, müssen die Teilnehmer Qualifikationsritte absolvieren. Die FN schreibt deutschen Reitern seit 2016 zudem vor, im Besitz des Reitabzeichens 5 zu sein. Dieses ist in Dressur, Springen und Vielseitigkeit beispielsweise erforderlich, um die Leistungsklasse 6 beantragen und in der Klasse A starten zu können.)

Martin Plewa: Im Vergleich zu anderen Reitsportdisziplinen kann die reiterliche Leistung gar nicht gewürdigt werden, weil der Erfolg nur auf den Pferden beruht. Auch bei Isabell Werth, Ludger Beerbaum, Michi Jung oder Ingrid Klimke spielt die Qualität des Pferdes fraglos eine Rolle, aber sie beweisen durch die reiterliche Leistung, dass der Erfolg vor allem mit reiterlichem Können zu tun hat. Das ist aus meiner Sicht im Distanzsport nicht erkennbar.

Martin Richenhagen: Allerdings sollte die FEI meines Erachtens auch über den Tellerrand der eigenen Disziplinen hinausblicken.

Inwiefern?

Martin Richenhagen: In Amerika gibt es beispielsweise die Tennessee Walker. Ein Nachbar von mir hat einen kleinen Reitstall, also dachte ich mir, ich schaue mir das mal an. Da werden die Pferde auf 20 Metern in spektakulären, spannigen Tritten gezeigt. Ich würde mir wünschen, dass die FEI sich breiter für das Wohl der Pferde einsetzt. Das Problem aus meiner Sicht ist aber, dass es im Weltverband überhaupt keine Kompetenz für den allgemeinen Pferdesport gibt. Da fehlen Fachleute.

Martin Plewa: Ich sehe das absolut ähnlich. Die FEI hat zwar ein Veterinär-Department, versteht sich aber gar nicht als Vertreter des Pferdes weltweit. Dort beschäftigt man sich nur mit den Disziplinen, die über Meisterschaften und internationale Turniere abgedeckt sind.

(...)

Ich frage einmal ganz provokant: Sind der derzeitige Top-Sport und pferdefreundliches Reiten aus Ihrer Sicht miteinander zu vereinbaren?

Martin Plewa: Zunächst mal finde ich es gut, dass sich Leute einer öffentlichen Beurteilung auf dem Turnier stellen. Damit unterwerfen sie sich öffentlichen Regeln. Wir haben Aufsichten am Abreiteplatz und überall. Diejenigen, die nur zu Hause reiten, sind viel gefährdeter, am Wohl des Pferdes vorbeizuarbeiten. Trotzdem glaube ich, dass noch ganz viel Luft nach oben ist, was die Beurteilung des pferdegerechten Leistungssports angeht. Allein in der Richterausbildung werden sich viel zu wenig Gedanken darüber gemacht, wie zufriedene Pferde tatsächlich aussehen sollten. Man schult, wie die perfekte Pirouette aussieht oder die korrekte Piaffe, aber wir haben keine Richterschulungen, in denen es explizit um das Beurteilen des Wohlbefindens des Pferdes geht. Dabei ist Harmonie doch das Ziel der Reiterei. Ich mache viele Lehrgänge und Seminare zur Natur des Pferdes. Es ist schon erstaunlich, wie wenig manche Richter davon wissen. Ich will mal nur ein paar Beispiele bringen: Die Zunge ist das empfindlichste Organ. Ihr Nervengeflecht ist nach dem des Gehirns am stärksten ausgebildet. Und auch die Haut ist sehr empfindlich. Die Oberhaut des Pferdes ist dünner als die des Menschen. Wir wissen, es spürt die Fliege, aber es wird akzeptiert, dass da mit Sporen wer weiß wie rumgeprokelt wird. Nicht der Hochleistungssport selbst ist das Problem für das Wohlbefinden, aber es geht darum, das Pferd richtig zu managen. Das richtig und entsprechend streng zu bewerten, hat aus meiner Sicht noch wahnsinnig Luft nach oben.

Erkennen es die Richter in den Prüfungen nicht?

Martin Richenhagen: Leider erkennen es nicht nur Nachwuchsrichter, sondern oftmals auch Top-Richter nicht, weil sie aus verschiedenen Gründen voreingenommen sind. Allerdings muss man hier auch differenzieren. Es geht nicht immer alles perfekt und teils tritt Spannung nun mal auf. Wenn es zur Gesamtbeurteilung kommt, kann es sein, dass ein Pferd, dass beispielsweise mit dem Schweif schlägt, gewinnt. Nur falsch ist, wenn dieses Pferd dann mit 80 Prozent gewinnt. Wobei ich der Meinung bin, dass die Bewertung in den vergangenen Jahren immer besser und reeller geworden ist. Ich halte aber die Idee, dass die Fußnoten abgeschafft wurden, für völlig falsch. (Anm. d. Red. 2017 wurden international die Fußnoten für Kriterien wie Schwung, Takt, Losgelassenheit, Gehorsam, Durchlässigkeit etc. abgeschafft)

Martin Plewa: Die Benotung im Top-Sport konzentriert sich sehr stark auf die einzelnen Lektionen. Die Grundqualität der Ausbildung wird nicht immer entsprechend berücksichtigt. Das beginnt aber schon bei den Reitern. Wenn ich einen Lehrgang gebe und frage, was ein Pferd kann, wird dies ebenfalls meistens an Lektionen festgemacht. Seltener wird über Probleme in der Losgelassenheit oder ähnliches gesprochen. Aber wenn man dies runterbricht, wird auch schon in der A-Dressur die Qualität der Pferde über die Qualität ihrer Ausbildung gestellt. Das bewegt sich in die falsche Richtung.