Zum Inhalt springen

Drücken Sie Öffnen / Eingabe / Enter / Return um die Suche zu starten

Interview mit Dr. Christiane Müller

"Gruppenhaltungen sind oft fehlerbehaftet"

Ist der Offen- oder Bewegungsstall die einzig wahre Haltungsform für Pferde? Muss man sich weniger um sein Pferd kümmern, wenn es in einer Gruppenhaltung untergebracht ist? Und woran erkennt man überhaupt einen guten Pensionsstall? All das klärt Dr. Christane Müller, Sachverständige für Pferdehaltung, im Interview.

Entspannte Pferde und genügend Platz sind ein gutes Zeichen für eine pferdefreundliche Gruppenhaltung.

Münster – Dr. Christiane Müller ist Sachverständige für Pferdehaltung. Seit rund 30 Jahren beurteilt die Schleswig-Holsteinerin Pferdebetriebe für den Landesverband Schleswig-Holstein und die Deutsche Reiterliche Vereinigung. Wir haben mit ihr über die Pferdehaltung gesprochen. Im Interview erklärt sie, worauf es bei der Wahl eines Pensionsstalls ankommt und welche Vorteile die Gruppenhaltung hat.

Welche Haltungsformen unterscheidet man generell?

Es gibt die Einzel- und die Gruppenhaltung, wobei mit der Einzelhaltung die Boxenhaltung gemeint ist. Die verschiedenen Ausführungen von der Innen- und Außenbox sowie Paddockbox bieten heute immer die freie Bewegung im Auslauf oder auf der Weide an. Ein Beispiel für die traditionelle Gruppenhaltung ist die Aufzucht von Jährlingen und Zweijährigen oder die Zuchtstutenhaltung. Eine homogene und stabile Gruppe eignet sich besonders gut zur Gruppenhaltung. Die Haltungsform der Offenställe bietet einer Pferdegruppe Aufenthalts-, beziehungsweise Funktionsbereiche im Innen- und Außenbereich. Die räumliche Trennung der verschiedenen Funktionsbereiche Bewegen, Ruhen, Fressen und Wasseraufnahme konzeptionell möglichst entfernt voneinander anzulegen, soll die Pferde zur Bewegung im Haltungssystem motivieren. Daher die Bezeichnung Bewegungsstall, der seit 20 Jahren Verbreitung findet. Sein Erfolg beruht auch auf der betriebsindividuellen Planung und Konzepterstellung. Das Prinzip ist immer gleich, die Ausführung und das Management bestimmen den Erfolg. Jetzt kommt ja das, gerade formulierte: Er unterscheidet sich von anderen Ställen durch seine Funktionsbereiche. Diese werden konzeptionell so gestaltet, dass die Pferde angeregt werden, sich zu bewegen, etwa durch weit voneinander entfernt platzierte Tränken und Raufutterraufen.

Liegeflächen sind ein wichtiges Thema bei der Grupenhaltung. Jedem Pferd muss es jederzeit möglich sein, sich in Seitenlage hinzulegen.

Manche sagen, dass die Gruppenhaltung das einzig Wahre für das Pferd sei. Stimmen Sie dem zu?

Jein. Die Gruppenhaltung ist für das Pferd als Herdentier theoretisch bestens geeignet. Aber es gibt unendlich viele Fehler, die man bei der Gruppenhaltung machen kann. Daher ist die Haltung oft auch fehlerbehaftet. Nur weil das Pferd in freier Wildbahn in der Herde lebt, heißt es nicht, dass wir als Mensch und Halter die Gruppe, die Fläche und das Konzept bestimmen und dann sicher sein können, dass sich das Pferd wohl fühlt. So einfach ist es nicht. Die Anforderungen an eine Gruppenhaltung sind sehr hoch. Der Halter muss sehr viel Wissen über das arttypische Verhalten von Pferden haben, er muss Pferde gut integrieren, genug Fläche pro Pferd bieten und die einzelnen Bereiche der Fläche optimieren. Wenn die Vorrausetzungen erfüllt sind, ist die Gruppenhaltung für viele Pferde optimal.

Warum fühlen sich nicht alle Pferde in der Gruppenhaltung wohl?

Unter natürlichen Bedingungen sucht sich ein Pferd die Herde oder Gruppe selbst aus. Das heißt, es beobachtet die Gruppe und gesellt sich bei Gefallen dazu. Wenn es sich dort dann nicht wohl fühlt, wandert es weiter und sucht eine andere Gruppe. Das kann eine Gruppenhaltung nicht bieten oder nur selten, wenn etwa die Flächen so groß sind, dass sich Untergruppen bilden können. Der Pferdehalter muss daher immer im Blick haben, welches Verhalten die Gruppenmitglieder zeigen.

Was sind die häufigsten Fehler in der Gruppenhaltung?

Zu wenig Fläche pro Pferd, nicht ausreichende Zugänge zu den Ressourcen wie Futter, Wasser, Ruhebereiche, zu wenig Liegefläche pro Pferd. Es müssen für alle Pferde einer Gruppe, unabhängig vom sozialen Rang, nicht nur die entsprechenden Zugänge da sein, sondern auch Ausweichmöglichkeiten untereinander. Rückzug und Individualdistanz braucht ebenfalls jedes Pferd. Jedes Pferd braucht eine Liegefläche, in der es in gestreckter Seitenlage ruhen kann für die erholsamen Tiefschlafphasen. Da kommt viel Fläche zusammen. Oft ist die Fläche im Bewegungsstall nicht ausreichend strukturiert. Dabei lässt sich dies leicht ändern. Ein Baumstamm oder Gehölze eignen sich sehr gut als Raumteiler. So entstehen Ausweichmöglichkeiten, die rangniedrigen Pferden viel mehr Sicherheit geben. Negativ ist, wenn der Zugang zum Futter durch Futterautomaten zu stark reglementiert wird. So fressen die Pferde nicht mehr in Ruhe und entspannt, sie fressen zu hastig und es kommt zu einer offensichtlichen Unruhe in der Gruppe. Der Zugang zu Raufutter wie Stroh sollte daher immer und unbegrenzt gegeben sein. Pferde fühlen sich wohl, wenn sie mit Artgenossen zeitgleich Verhalten ausüben können. Sie wollen zum Beispiel gleichzeitig fressen, ruhen, dösen. Das sind Bilder, die jeder von der Weide kennt. Der Pferdehalter muss dies in jeder Haltungsform berücksichtigen.

In einem Bewegungsstall sind Tränke, Raufe, Futter- und Liegeplätze voneinander getrennt. Das soll die Pferde zur Bewegung animieren.

Das Management einer Gruppenhaltung ist also eine Herausforderung?

Absolut. Es ist auch nicht das Stallkonzept, bei dem man weniger arbeiten muss. Die Arbeitszeit ist flexibler, wenn man nur an die Fütterung denkt. Doch das Beobachten der Pferde, das Sauberhalten und die Pflege des Laufstalls sind zeitaufwendig.

Wenn in dem Bewegungsstall keine Strukturen zur Raumaufteilung vorgegeben sind, haben die Pferde ein höheres Verletzungsrisiko?

Dadurch kann es leichter zu Auseinandersetzungen kommen, aber auch zur Frustration einzelner Gruppenmitglieder. Manche Stallbetreiber schildern mir, dass die Pferde zum erholsamen Ruhen nachts in Boxen gestellt werden. Für mich ist das ein klares Indiz, dass die Pferde zum einen nicht genügend strukturierte und zum anderen überhaupt genügend Fläche zur Verfügung haben, um tagsüber gemeinsam zur Ruhe zu kommen. Es kann nicht sein, dass parallel ein Boxenstall benötigt wird. Boxen braucht man nur, um kranke Pferde unterzubringen oder um neue Pferde schrittweise zu integrieren. Insgesamt sollte die Haltungsform sicherstellen, dass sich alle Pferde wohl fühlen.

Baumstämme dienen als Raumteiler und können Auseinandersetzungen unter den Pferden verhindern.

Welche Vorteile bietet der Bewegungsstall?

Wenn der Stall gut geführt wird, kann das Pferd sich aufhalten, wo es möchte, es hat Sozialkontakte, wann immer es will. Es hat viele Freiheiten. Doch es braucht auch Rückzugsmöglichkeiten. Oft höre ich, dass die Liegefläche nicht besonders groß ist, weil die Pferde so oder so nicht alle gleichzeitig liegen. Da muss man sich fragen: Können sie denn alle liegen? Die Pferde brauchen Distanz zueinander. Sie wollen nicht immer und mit allen dicht an dicht liegen. Ein weiterer Pluspunkt für den Bewegungsstall: Die Pferde sind in der Regel sehr gut konditioniert und auch sehr motiviert beim Reiten.

Viele Reiter wählen den Bewegungsstall, um das Pferd nicht täglich reiten zu müssen. Ist das ein Trugschluss?

Das Pferd braucht seinen Reiter als Bezugsperson dennoch. Die Tiere sind weiterhin sehr menschenbezogen und wollen beschäftigt werden. Man kann nicht auf das Reiten verzichten. Mal einen Tag nicht da zu sein, geht ausnahmsweise in Ordnung. Doch es sollte nicht die Regel sein.

Woran erkenne ich eine gute Pferdehaltung, wenn ich einen neuen Stall suche?

Wichtig ist ein gutes Gespräch mit dem Stallbetreiber. Welche Qualifikation und Erfahrung hat er? Was ist seine Philosophie in der Pferdehaltung? Wie wichtig ist ihm das Wohlergehen der Tiere? Wie ist der erste Eindruck der Anlage und wie ist der von den Pferden? Wie sehen Tränke und Tröge aus? Nach dem Gesundheitsmanagement sollte man fragen und auch nach der Grundfutterversorgung, zum Beispiel mit Raufutter und Mineralfutter. Beobachten Sie die Pferde: Sind sie unruhig? Wie sehen sie aus? Wie gepflegt sind Langhaar und Hufe? Wie interagieren sie miteinander? Sind sie neugierig und entspannt? Oder sind sie müde oder zeigen gar Zeichen des Unwohlseins?