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So wichtig sind Schrittpausen für das Training

Sie sind mehr als ein kurzes Durchschnaufen zwischendurch. Schrittpausen machen das Training erst komplett, sagen unsere Experten. Gezielt eingesetzt, stärken sie effektiv die Muskulatur und sind obendrein die beste Motivation für Ihr Pferd.

Jessica von Bredow-Werndl und TSF Dalera BB beim Training. Schrittpausen gehören für die zwei fest zum Training dazu.

Vier Profis erklären, warum Schrittpausen im Training nicht unterschätzt werden dürfen. Sie haben alle unterschiedliche Sichtweisen, sind sich aber einig: Ohne geht es nicht!

Dressurreiterin Jessica von Bredow-Werndl: „Die Pferde strengen sich noch lieber an!"

Im Training sind Schrittpausen bei Jessica von Bredow-Werndl ein wichtiger Baustein – egal auf welchem Pferd sie gerade sitzt, ob sie auf dem hei-mischen Dressurplatz in Aubenhausen reitet oder im Gelände.

„Ich mache sehr viele Schrittpausen“, sagt sie. „Ich habe immer das Gefühl, wenn die Pferde mal verstanden haben, dass sie diese Pause bekommen, strengen sie sich während der Arbeitsphase oder in der Lektion noch mehr an. Sie sind motivierter bei der Sache.“ Für die Dressurreiterin ist die Schrittpause zum einen eine tolle Belohnung dafür, dass das Pferd gerade die richtige Antwort gegeben hat. Zum anderen mache die Pause das Training dem Pferd natürlich auch leichter, denn es kann sich kurz erholen.

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Wie sieht die Pausenzeit in der Reitpraxis aus? „Nach der Aufwärmphase lege ich die erste Schrittpause ein. Die unterscheidet sich deutlich zu den Schrittpausen in der Arbeitsphase“, beschreibt Jessica von Bredow-Werndl. „Ich lasse nach dem Aufwärmen die Zügel einmal richtig lang, reite am hingegebenen Zügel und dann nehme ich die Zügel langsam auf und bereite den Galopp vor – wir arbeiten unsere Pferde zu 70 Prozent im Galopp, weil es leichter ist, die Pferde unter den Schwerpunkt zu bekommen.

Das wiederum ist die Voraussetzung für einen schwingenden Rücken im Trab. Ich setze das Pferd also am Ende der Schrittpause vermehrt aufs Hinterbein, bereite die Versammlung vor und galoppiere an.“ In der Arbeitsphase nutzt sie die Schrittpause dann eher als Lob und kurze Regeneration für das Pferd. Manchmal reite sie nur eine kurze Seite Schritt, mal eine ganze Runde. „Wie lang ich den Zügel dabei lasse, hängt von der Situation, aber auch vom Typ Pferd ab. Mein Ziel ist in erster Linie, den Schritt-Takt zu erhalten, die Anspannung zu lösen und das Pferd zu motivieren.“ Die Anlehnung darf und soll durchaus bestehen bleiben. „Wenn eine Lektion aber besonders gut gelungen ist, schmeiße ich auch mal die Zügel auf den Hals und feiere das Pferd, als hätte es gerade Aachen gewonnen.“ Die Schrittpause als imaginäre Ehrenrunde. Davon kann auch ein Pferd gar nicht genug bekommen.

Tierärztin Aagje Hardemann: „Mikrotraumata können so regenerieren“

Schrittpausen machen das Training erst vollständig, sagt Aagje Hardeman von der Tierklinik Lüsche in Bakum. „Im Moment der Schrittpause erholt das Pferd sich von der so genannten ‚excercise response‘“, beschreibt die Tierärztin. „Die ‚exercise response‘ ist grob gesagt die Erhöhung von Puls- und Atemfrequenz, damit die Muskelzellen mehr Sauerstoff erhalten und somit eine höhere Energiegewinnung möglich ist.“ Es ist eine kurzzeitige Reaktion des Körpers. „Im Gegensatz dazu gibt es die ‚training response‘“, sagt die Tierärztin. Dabei lernt der Körper über einen langen Zeitraum, intensiveres Training gesund auszuhalten.

Dabei geht es um die anaerobe Schwelle, die Belastungsgrenze, ab der der Organismus des Pferdes von der Energiegewinnung mit Sauerstoff in die Energiegewinnung ohne Sauerstoff übergeht und dabei Laktat freisetzt. Diese Grenze darf immer nur kurz überschritten werden, sonst würde die Muskulatur übersäuern, verkrampfen, die Leistung und Motivation einbrechen, das Pferd sich verletzen. Bei den meisten Pferden liegt die anaerobe Schwelle bei 150 bis 170 Herzschlägen pro Minute. „Ein junges Pferd kann schon nach einer ordentlichen Galoppade auf diese Herzfrequenz kommen, ein erfahrenes, trainiertes Grand Prix-Pferd muss dafür viele Lektionen der schweren Klasse durcharbeiten“, erklärt Aagje Hardeman. In den Schrittpausen soll die Herzfrequenz um 50 Prozent sinken. Nur so erholt der Muskel sich vom Trainingsreiz und wird wieder leistungsfähig.

Mit den Schrittpausen im Training verbessert man aber nicht nur die Fitness des Pferdes, man beugt vor allem auch Lahmheiten vor. „Aufgrund der erhöhten Belas-tung von Knochen, Sehnen und Bändern im Trainingsintervall entstehen Mikrotraumata“, beschreibt Hardeman. Das sind winzig kleine Verletzungen der Zell-Strukturen, beispielsweise in den Muskeln – sie sind wichtig für den Muskelaufbau und unproblematisch, solange sie Pausen bekommen. „Diese Regeneration ist sowohl zwischen den Trainingstagen, als auch während eines Trai-nings in Form von Schrittpausen von großer Bedeutung“, sagt Aagje Hardeman. Der Pferdekörper bekommt die nötige Auszeit zum Aufräumen und Reparieren. Würde man ihm diese Pausen verwehren, würde der Körper kaputtgehen.

Springausbilder Georg-Christoph Bödicker: „In das Pferd hineinhorchen“

Für Georg Christoph Bödicker aus Eschwege ist die Schrittpause fürs Pferd „immer dann notwendig, wenn Kraft und Konzentration in der Übungsausführung verloren gehen oder Konflikte aufkommen“. Früher sei man mit solchen Situationen noch anders vorgegangen und habe sich mit dem Pferd angelegt, nach dem Motto „der muss doch!“. „Heute weiß man, dass es sehr viel sinnvoller ist, in solch einem Moment mal eine kurze Pause einzulegen, sodass das Pferd herunterfahren und auch der Reiter sich wieder entspannen kann, um dann neu zu starten.“

Georg-Christoph Bödicker lässt seine Reitschüler in der Pausenzeit „in das Pferd hineinhorchen, auf die Atmung des Pferdes achten und ein Gefühl entwickeln, wann das Pferd so relaxt ist, dass man wieder anfangen kann“. Schließlich spüre der Reiter am besten, wenn das Pferd wieder ruhiger atmet. Das Pferd wiederum soll spüren und verstehen, dass es nun entspannen kann. Dafür soll der Reiter die Zügel lang lassen oder sogar hingeben, rät der erfahrene Trainer. Gerade im Springunterricht ergeben sich aber auch noch andere Pausen, nämlich dann, wenn ein Reiter den Parcours springt und die anderen in der Warteschleife stehen. „Das sind für mich nicht unbedingt die Pausen zum Entspannen, sondern Situationen, in denen man das Pferd im Schritt weiterarbeitet und seine Aufmerksamkeit aufrecht erhält“, erklärt Bödicker. „Das heißt nicht, dass man nicht ein bisschen leichter in der Zügelverbindung werden darf.“ Der Reiter selbst solle diese Pause nutzen, um dem anderen im Parcours zuzuschauen, um daraus Rückschlüsse für das eigene Reiten ziehen zu können.

Die Kunst einer zweckmäßigen Schrittpause besteht vor allem im Schritt selbst.

Eine schwierige Sache, weil die Reiter es oft nicht mit ihren Pferden üben, beobachtet Bödicker. „Wenn das Pferd sich aufregt, versucht der Reiter es vorne festzuhalten. Aber gerade dadurch regt das Pferd sich noch mehr auf, drückt den Rücken weg, geht gegen oder hinter den Zügel, beginnt zu zackeln.“ Besser: Das Pferd ablenken, in eine große Volte abwenden, übertreten lassen, um es so wieder „an den Sitz zu bringen und von der Hand loszuarbeiten“, beschreibt der Ausbilder. Schritt gehen muss gelernt sein – Schritt reiten, auch.

Physiotherapeutin Christel Auer: „Damit der Muskel seine Schutzfunktion behält“

In der Rehabilitation eines Pferdes sind die Schrittpausen ein essentieller Bestandteil, um den Patienten wieder fit zu machen. „Wir arbeiten im Verhältnis 1:3“, sagt die Human- und Pferdephysiotherapeutin Christel Auer aus Singen und beschreibt, was es damit auf sich hat: „Sobald das Pferd wieder traben darf, sagen wir fünf Minuten, teilt man diese fünf Minuten in Intervalle auf. Das Pferd soll in diesen Intervallen eine halbe Minute traben und dann eineinhalb Minuten Schritt ge-hen. Das macht man, weil die Muskulatur ja anfangs gar nicht mehr stabil genug ist und sich deshalb zwischenzeitlich wieder erholen muss.“

Was für die Reha gilt, gilt auch für das Training generell. Vielleicht nicht mehr im Verhältnis 1:3, aber die Schrittpausen sind ein Muss. Für den Muskel. Der Muskel ist der elastische Teil des Körpers, der Bewegungen abfängt und abpuffert. Er schützt und versorgt Gelenke, Sehnen und Bänder, die nur schwach durchblutet und auf die Versorgung durch die Muskulatur angewiesen sind, um Belastungen standzuhalten. „Wenn die Muskulatur aber überlastet wird, fängt sie an zu krampfen, der Muskel macht zu, die Durchblutung wird eingeschränkt. Seine Schutzfunktion geht verloren. Die Belastung geht dann direkt auf die Struktur“, verdeutlicht Christel Auer. Schrittpausen sind also immer wichtig, um einer Ermüdung des Muskels vorzubeugen, „um wieder zu regenerieren, die Durchblutung zu aktivieren, damit genügend Sauerstoff in die Beine kommt“.

Die Schrittpause dient aber nicht nur der Versorgung, sondern auch der Entsorgung von Abfall- und Schlackestoffen aus den Muskeln, Sehnen und Bändern über das Lymphsystem. Wann aber ist es Zeit für eine Pause? Das ist vom Pferd und der Intensität des Trainingsintervalls abhängig, sagt Christel Auer. Der Reiter muss ein Gefühl dafür bekommen, „Pferde zeigen recht gut, ob sie keine Kraft mehr haben. Wenn ich mein Pferd immer und immer wieder antreiben muss, ist es schon nicht optimal“, sagt Christel Auer.

Die Pause bedeutet für Christel Auer aber keinesfalls, dass „das Pferd am hingegebenen Zügel daherlatscht“. Im Gegenteil: Es soll weiter fleißig Schritt gehen, mit seinem Reiter im Sattel im Gleichgewicht bleiben, ob am angenommenen oder ganz langen Zügel. Sprich, eine positive Grundspannung muss im Körper bestehen bleiben, ohne zu verspannen. Dabei ist „jede kontrollierte Bewegung eine gute Bewegung“, sagt sie. „Es gibt keine guten oder schlechten Übungen. Der Reiter muss sein Pferd in Balance bekommen, es also nicht krankmachend belasten.“ Dann erfüllt die Schrittpause ihren Zweck.