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Pferdesport und Social Media

Reitsport radikal?

Hasskommentare und radikale Meinungen scheinen in den Sozialen Netzwerken beinahe normal zu sein. Besonders hart wird der Umgangston, wenn es um das Pferdewohl geht. Wie gut oder gefährlich ist das für den Reitsport?

Kommentare in Social Media: Chance oder Risiko?

Alles, was vom Ideal abweicht, wird zerrissen. Wüste Beschimpfungen inklusive. Willkommen in den sozialen Netzwerken. Der raue Umgangston nimmt gefühlt zu und die Angst davor ebenso. Entsprechend stellt sich die Frage: Traut sich der normale Reiter bald nicht mehr, Reitfotos oder -videos von sich ins Netz zu stellen – und irgendwann womöglich gar nicht mehr in den Sattel zu steigen? Oder trifft die Kritik ausschließlich Profis, Berufsreiter oder Menschen, die wahrhaftig Grenzen überschreiten und Pferden Schaden zufügen?

Bei diesem Artikel handelt es sich um einen Beitrag aus unserem Archiv. Erstmals war er im Juli 2021 in unserem Magazin zu lesen.

„Wir erleben ganz kontinuierlich eine größere Sensibilisierung der Gesellschaft und auch in der Pferdeszene zu Themen, die tierschutzrelevant sind oder von denen Menschen glauben, sie seien es“, beobachtet Soenke Lauterbach, Generalsekretär der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN). Im Prinzip hat er nichts gegen einen Meinungsaustausch im Internet. „Wenn es eine vernünftige, sachliche Diskussion in den Sozialen Medien gibt, dann ist das immer nützlich“, schätzt er ein. „Dann tauschen sich Menschen mit Sachargumenten aus, vertiefen sich in ein Thema, lesen vielleicht auch mal die Regeln. Aber das erleben wir besonders im Internet leider nicht immer.“

Das Tierwohl im Blick

Eine bekannte Influencerin erklärte nach einem Shitstorm 2021 gegenüber Reiter Revue: „Es greift mich psychisch total an, was die Leute einem da an den Kopf werfen. Ich weiß das von anderen, die täglich solche Nachrichten bekommen. Ganz ehrlich, dann wäre der Job nichts für mich. Das könnte ich kopfmäßig nicht wegstecken.“

Ein Phänomen, das nicht nur die Reitsport-Szene betrifft. Wirklich ernst wird es bei politischen Themen. TV-Journalistin Nicole Diekmann hat darüber ein Buch geschrieben. Der Titel: „Die Shitstorm-Republik“. Im NDR-Podcast „Mensch Margot!“ zum Thema „Hass und Hetze im Netz“ erklärte sie: „Man wird vom Publikum und von den Algorhythmen belohnt. Durch jedes ‚Gefällt mir‘ durch jedes Anklicken, durch Favorisieren wird Dopamin bei uns ausgestoßen, das Belohnungszentrum funktioniert. Es ist ein Drang von uns Menschen, möglichst viel Beachtung in diesen Sozialen Netzwerken zu finden. Und das passiert, wenn wir extrem sind, wenn wir laut sind und auch, wenn wir negativ sind.“

Druck durch Social Media

Shitstorms, die Einzelpersonen treffen, sind das eine Problem. Das andere sind radikale, nicht immer fachlich und faktisch korrekte Meinungsäußerungen auf Sozialen Netzwerken, insbesondere zum Thema Tierschutz im Reitsport. Auch die FN muss sich häufig Kritik stellen, wird auch einbezogen, wenn es um Kritik an Reitern geht und verfolgt durchaus, was in den Kommentarspalten auf Facebook und Instagram abgeht. „Das ist für uns relevant, weil wir daraus viele Informationen ziehen können. Auch wie sich die öffentliche Meinung oder die Meinung innerhalb einer Szene weiterentwickelt“, sagt Soenke Lauterbach, fügt aber hinzu: „Es sind eher die kritischen Geister, die sich zu Wort melden.“ Der Einfluss durch Social Media lässt sich nicht wegdiskutieren. Dass dadurch Druck aufgebaut wird, sieht Soenke Lauterbach nicht: „Man kann es so empfinden, weil dadurch gefühlt mehr Öffentlichkeit entsteht“, sagt er, hält aber dagegen: „Ich empfinde das nicht so. Wenn wir von Vorfällen erfahren, ist es unser Job, dem nachzugehen. Da richte ich mich nicht nach Social Media.“

Nicole Diekmann spricht den Sozialen Netzwerken hingegen großen Einfluss zu. „Das Gefährliche ist nur, dass einigen, auch Entscheiderinnen, dieser Einfluss noch immer nicht so richtig bewusst ist.“ Wie groß er sein kann, zeigte sich 2018 beim CHIO in Aachen, als Bilder von zu engen Pferden auf den Abreiteplätzen viral gingen. Im darauffolgenden Jahr etablierte die FN Info-Stewards am Vorbereitungsplatz, die kritischen Zuschauern seitdem Rede und Antwort stehen. Viel genutzt wurde das zunächst nicht, berichtete Soenke Lauterbach 2021.

Dank Smartphone kann heutzutage jeder immer und überall filmen, fotografieren und alles direkt ins Netz stellen. Es kommt auch vor, dass Menschen Videos bei der FN einreichen, die ihrer Meinung nach tierschutzrelevant sind, um sie von der FN beurteilen zu lassen. „Das passiert eher selten“, sagt der FN-Generalsekretär, fügt aber hinzu: „Wenn die Szenen wirklich fragwürdig sind, sind wir froh, wenn wir davon wissen und was tun können.“

Er differenziert: „Problematisch wird es, wenn Leute Videos oder Fotos machen und den berühmten ‚Geodreieck-Tierschutz‘ anwenden, bemängeln, wenn das Pferd in diesem Moment drei Zentimeter hinter der Senkrechten geht. Wenn nur ein Ausschnitt gezeigt wird und die Leute sich kein vernünftiges Bild machen können, kann es gefährlich werden. Weil dann eine Meinung – bewusst oder unbewusst – manipuliert oder in eine Richtung gelenkt werden kann.“

„Verrohung ist nie gut“

Facebook, Instagram und Co. bringen Probleme mit sich, insbesondere wenn es in Kommentarspalten hoch her geht. Das berichtet auch Nicole Diekmann im Podcast: „Wir verlernen, konstruktiv miteinander zu streiten, andere Meinungen zu akzeptieren, einander zuzuhören und wir stumpfen ab. Und die Verrohung einer Gesellschaft ist nie gut.“ Im Großen und Ganzen seien Soziale Netzwerke dennoch eine gute Sache, findet die TV-Journalistin: „Die konstruktiven, die friedlichen, die völlig normalen Beiträge überwiegen. Aber die lauten werden mehr zur Kenntnis genommen.“ Sie selbst habe auch schon im Zentrum eines Shitstorms gestanden und rät: „Gelassenheit ist der beste Ratgeber. Die beste Variante ist, so damit umzugehen, dass es einem gut dabei geht. Es macht niemandem Spaß, einen Shitstorm am eigenen Leib zu erleben. Aber man muss da durch und für sich den richtigen Weg finden. Die Psychologin, die ich für mein Buch interviewt habe, sagte, so ein Shitstorm trifft direkt das Schmerzzentrum.“ Sie rät, Hasskommentare direkt bei den Plattformen zu melden, im Zweifel auch den juristischen Weg zu bestreiten, denn: „Man darf es nicht einfach so hinnehmen.“

Die Schwarz-Weiß-Denke, die sich in radikalen Kommentaren oft widerspiegelt, kommt nicht von ungefähr. Perfektionismus ist im Reitsport ein besonders ehrenwertes Ziel. Schließlich tut man das alles für sein Pferd, möchte ihm durch das eigene Tun nicht schaden. Die Richtlinien der FN zeigen, wie’s geht. Mit Zeichnungen. Schließlich will man das Ideal von Pferd und Reiter abbilden. Ein Anspruch, der keiner Realität standhält, wie auch Soenke Lauterbach zugibt: „Wir alle wissen, das Ideal erreiche ich einmal von hundert oder tausend Malen. Das auf einem Foto hinzukriegen, ist unglaublich schwer. Deshalb verwenden wir schon lange Zeichnungen in den Richtlinien.“ Nachvollziehbar. Doch wo bleibt da die Realität? Ein Problem, das auch Lauterbach sieht: „Es braucht die Bereitschaft, Realität und Ideal zu trennen.“ In Sozialen Netzwerken, so scheint es, ist das momentan noch nicht der Fall.