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Fragen aus dem Reiterleben

Diese Sache mit dem Mut

Wie reagieren Sie, wenn Sie beobachten, dass ein Pferd ungerecht behandelt wird? Auch Reiter Revue-Redakteurin Karolin Leszinski kennt das mulmige Gefühl, wenn etwas in die falsche Bahn läuft. Dann den Mut zu haben, etwas zu sagen, kostet Überwindung.

Pferde leiden still. Deshalb braucht es Menschen, die den Mut haben, Missstände anzusprechen. Doch das ist oft leichter gesagt als getan.
An dieser Stelle beschäftigen wir uns mit Themen, die uns Reiter bewegen. Manche Fragen stellen wir uns bewusst, andere durchkreuzen hin und wieder unsere Gedanken, bleiben aber oft unbeantwortet. Wir sprechen sie an.

Eine Reiterin, ein verunsichertes Pferd, ein Trainer, der mit einem Ast auf die Kruppe des Pferdes schlägt. Bis es ins Wasser springt. Ein Video, das vor zwei Jahren entstanden ist und jetzt viral geht. Weil die Reiterin beschlossen hat, es nun doch zu zeigen. Zwei Jahre zuvor hatte sie nicht den Mut zu sagen: Hör auf! Zu groß war ihr Respekt vor dem Weltklasse-Athleten am Boden, der nun in Erklärungsnot geraten ist, sich öffentlich entschuldigte.

Ich habe auch schon geschwiegen. Öfter als mir lieb ist. Etwa als ein S-Springreiter auf einem ländlichen Turnier nach drei Verweigerungen aus dem Parcours ritt, in den nächsten Waldweg bog und das Pferd dort verprügelte. Aus Frust, aus Wut. Ich habe nichts gesagt. Und sonst auch keiner. Am Abend wurde Whiskey-Cola getrunken. Hoch die Tassen. Der Vorfall klebte unterm Teppich. Ich war damals im späten Teenageralter.

An anderer Stelle, in ähnlichem Alter ging mir die Hutschnur hoch: Als ich mit meinem Pferd bei einem ziemlich angesehenen Trainer weit weg von zu Hause eine Woche Premium-Unterricht genießen durfte und er mein Pferd mit mir oben drauf mit der Touchierpeitsche vom Boden aus arbeitete. Mein Pferd schraubte sich immer mehr auf. Ich hatte das Gefühl, es weiß nicht wohin. Und ich wusste es auch nicht. Ich schrie den Trainer an: Er solle die Peitsche von meinem Pferd lassen, sofort und für immer! Weinend bin ich abgestiegen und samt Pferd aus der Halle gestapft. Die Arbeit an der Hand war danach tabu. Heute denke ich, ich hätte meine Botschaft auch in einem ruhigeren, weniger hysterischen Ton anbringen können – der Trainer hätte sie verstanden, zumal er sein Handwerk durchaus beherrschte, im Nachhinein betrachtet. Mit dem Maß ist es eben auch so eine Sache, es ist oft schwer zu finden.

Stecken wir nicht alle immer wieder in solchen Situationen? Es muss nicht gleich das Pferd verprügelt werden. „So ein scheiß Bock“, „der hat doch keine Einstellung“, „stell dich nicht so an“ – verbale Prügel in der Reithalle gab’s und gibt’s zuhauf. Genauso Überforderung von Pferd oder Reiter, bei der man sich fragt: Ist das jetzt ein wichtiger Schritt für uns aus der Komfortzone? Oder ein Schritt zu viel? Dieses Gefühl, wenn sich der Bauch mulmig meldet: Das geht nicht! Und man sich nicht traut, es auszusprechen? Lieber Augen zu und durch. Je größer der Respekt, die Bewunderung und auch das Vertrauen in die Menschen um einen herum, desto schwieriger wird es mit Nein. Die Reiterin von dem Video sagte dem britischen Magazin „Horse & Hound“: „Wenn Sie in dem Alter wären, in dem ich damals war und selbstbewusst gegen einen Weltklasse-Athleten ohne Bedenken und ohne jegliche Unterstützung anreden, dann lasse ich Sie dafür hochleben, denn Sie sind tapferer als ich.“

Distanz hilft, laut zu werden. Das sehe ich täglich in sozialen Medien, wo der andere nicht direkt gegenüber steht. Dort ist es laut. Auch oft hysterisch, hässlich, toxisch. Das andere Extrem. Auch hier gibt es verbale Prügel – sie sind kein Stück harmloser. Und auch anhand der Skandale, die die Reiterwelt in den vergangenen Monaten aufwühlten, konnte man sehen, wie sich Distanz auswirkt. Zu welchen Missständen auch prominente Reiter Stellung bezogen und wann es still wurde, bis auf wenige Ausnahmen.

Hinsehen, nicht wegducken, Hilfe holen, den Mund aufmachen, heißt der weise Rat. Oft gehört. „Immer erst mal freundlich fragen“, sagt meine Reitlehrerin oft im Reitunterricht. Sie spricht dabei von der Hilfengebung. Aber eigentlich lässt sich das doch auf den ganzen Umgang mit Pferd und Mensch adaptieren. Vor der Empörung bei der eigenen Nasenspitze anfangen, dann konstruktiv kritisieren. Es braucht bestimmt mehr Courage, aber, ich finde, auch einen besseren Ton.

Dieser Text ist in der April-Ausgabe 2022 erschienen. Hier können Sie das Heft versandkostenfrei bestellen.