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Ingrid Klimke im Portrait

Das Vorbild

Menschen brauchen Idole. Ingrid Klimke ist eines. Sie reitet brilliant, ist überall präsent. Ihr Name ist eine Marke. In Büchern, Filmen und Seminaren gibt sie ihr Wissen weiter. Warum ihre Tanzkarriere aber stockte und sie das Tempo liebt – ein Portrait.

Ingrid Klimke

Im Modelbusiness wäre die Rede vom One-Million-Dollar-Smile – bei Ingrid Klimke gibt es einen Unterschied: Ihr Lächeln ist echt, herzlich und glaubhaft. Es ist eines ihrer Markenzeichen. Auf unzähligen Fotos strahlt sie vom Pferd hinab und Freude aus. Ingrid Klimke liebt, was sie tut. „Für mich ist das Reiten eine Berufung, keine Arbeit. Vielmehr bin ich dankbar dafür, dass ich mein Leben so gestalten darf.“

Im Reitsport gibt es nur einige wenige Reiter, zu denen alle aufschauen. Hans Günter Winkler, Fritz Ligges und Dr. Reiner Klimke sind drei dieser Heroen, vor denen sich die Reiterwelt verbeugt. Ihre Erfolge sind lange vergangen. Die von Ingrid Klimke nicht. Mannschaftssilber bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro, Einzel-Bronze bei den Weltreiterspielen in Tryon, Doppel-Gold bei den Europameisterschaften in Luhmühlen 2019. Es läuft bei der Reitmeisterin und das in vielerlei Hinsicht. Denn Ingrid Klimke ist eine der wenigen Sportlerinnen, die auch in den Zeiten sozialer Netzwerke, überall und allerorts angehimmelt werden. Fraglos ist sie eines der Vorbilder unserer Zeit. Eine Rolle, die sie gerne mit Leben füllt, sagt sie und strahlt ihr typisches Lächeln.

Die Freude am Pferd

Sie lebt ihren Traum – jeden Morgen ab halb sechs. „Wenn alle noch schlafen, schreibe ich ein paar E-Mails und bringe wichtige Dinge auf den Weg, damit meine fleißigen Helfer im Büro weiterarbeiten können.“ Eine Stunde später stehen ihre Töchter Greta und Philippa auf. Der morgendliche Trubel wie in jeder Familie beginnt: Die Kinder stärken sich für die Schule. Ingrid Klimke schlüpft in ihre Reithosen, Frühstück, Zeitung, um halb acht durchstarten.

„Vormittags ist meine ‚heilige Reitzeit‘. Wenn die Kinder in der Schule sind, kann ich mich voll auf die Pferde konzentrieren“, sagt Klimke. Fünf Stunden powert sie dann mindestens durch, ehe sie zur Mittagszeit wieder zu Hause ist. Ingrid Klimke erfüllt viele Rollen: Unternehmerin, Mutter, Profi-Sportlerin, Botschafterin für Hilfsorganisationen ... Es ist ein ständiger Spagat, ein Kraftakt, oder? „Nein, weil ich an dem was ich tue, Spaß habe. Jeden Tag aufs Neue.“ Gelernt hat sie dies von ihrem Vater Reiner, dem großen Ausbilder und Olympiareiter. „Für ihn war es das größte Glück, morgens vor der Arbeit in den Stall zu fahren. Faszination und Freude an den Tieren waren bei uns Zuhause immer präsent. Er hat das vorgelebt“, erinnert Ingrid Klimke sich gerne an ihren 1999 verstorbenen Vater.

Das Erbe ihres Vaters

Er war Reiter. Sie ist Reiterin – durch und durch. Wie folgende Geschichte beweist: „Während meines Sport-Studiums musste ich auch eine Prüfung im Gymnastiktanz ablegen. Aber an einer Sache bin ich fulminant gescheitert: Mein Fuß war nie gestreckt, sondern der Absatz stets der tiefste Punkt. Meine Prüfung war für all meine Freundinnen ein Lacher. Ich bin nun einmal als Reiterin groß geworden, nicht als Tänzerin.“ Ingrid Klimke lacht.

„Wenn die Pferde gut gingen, war sofort der Tag gerettet.“ Sie muss schmunzeln und schiebt hinterher: „Vielleicht ist das heute bei mir auch so.“ Ihre Mutter Ruth lächelt wissend. Gemeinsam gehen die beiden heute Nachmittag durch den Stall, verteilen Leckerlis und getrocknete Brötchenhälften, die Ingrid Klimkes Oma gesammelt hat. Jeden Tag bewahrt sie eine Hälfte auf. Die Liebe zu den Tieren ist in der Familie in Generationen verankert. Aber nicht nur die, Ruth Klimke weiß um die Gemeinsamkeiten mit ihrer Tochter. „Wir lesen beide sehr gerne, gehen gerne spazieren und Ingrid ist immer sehr, sehr freundlich“, sagt sie. Genau wie sie selbst.

In Ingrid Klimkes Stall steht ein Top-Pferd neben dem nächsten. Aber nicht nur deshalb dauert die Leckerli-Runde einen Moment, sondern vor allem, weil Ingrid Klimke jedem Pferd gleichermaßen gerecht werden möchte. Sie hat alle in ihr Herz geschlossen und achtet die Persönlichkeit der unterschiedlichen Charaktere, ganz so wie ihr Vater es ihr einst gezeigt hat. Bilder von ihm hängen auf der Stallgasse. Auch so viele Jahre nach seinem Tod ist er präsent, lebt im Wirken seiner Tochter weiter. Jeden Tag. Sein Buch ist ihr Lieblingsbuch, „weil er darin so authentisch ist“, erklärt sie, was eigentlich keiner Erklärung bedarf. Es ist Liebe.

Erinnerungen in der Stallgasse an die eigenen unvergesslichen Momente und an Ingrid Klimkes Vater, Dr. Reiner Klimke.

Glücklich mit Regenjacke

Die Reiterei wurde für Ingrid Klimke nach ihrem Lehramtsstudium zur Berufung. 1998 machte sie sich selbstständig, zunächst mit zehn Boxen in Riesenbeck. Aus der Selbstständigkeit ist ein Unternehmen geworden, der Name Ingrid Klimke zu einer Marke. In den vergangenen Jahren hat sie von vielen ihrer Pferde Anteile gekauft, einfach, um mitbestimmen zu können, was mit ihnen passiert. „Wenig Pferde auf so einer tollen Anlage mit viel Personal zu halten, ist ein Kostenapparat, der gewuppt werden will“, so die Vielseitigkeitsreiterin. Sie ist ein Organisationstalent, unheimlich fleißig. Das zeigt sich auch beim heutigen Termin: Sie hat die ganze Familie zusammengetrommelt, der Parcours für die Springstunde der Kinder steht schon in der Halle, die Pferde sind im Lack und pünktlich in der Reithalle.

Ingrid Klimke betreibt keine eigene Anlage. Sie hat eine Stallgasse auf dem Hof Schulze Brüning in Münster gepachtet. Hier hat sie alle Möglichkeiten: Rennbahn, Reithallen, Außenplätze, Paddocks, Weiden und direkt nebenan Stoppelfelder. Am Stadtrand von Münster ist sie direkt in der Natur. Gut, für eine Vielseitigkeitsreiterin. „Ich liebe es, draußen zu sein. Auch heute hätte ich meine Regenjacke angezogen“, schmunzelt die Reitmeisterin während sie am späten Nachmittag eine Tasse Kaffee trinkt.

„Im Vergleich zu ihrem Bruder Michael hat Ingrid später angefangen, ernsthaft zu reiten. Vorher hat sie spielerisch viel gelernt“, blickt Ruth Klimke zurück. „Die Tierliebe war bei Ingrid sofort da, der Ehrgeiz kam später.“ Alle drei Klimke-Geschwister ritten als Kinder begeistert. Während Michael im internationalen Dressursport erfolgreich ist, hängte Rolf mit zwölf, 13 Jahren die Sporen an den Nagel. „Der Bezug ist aber geblieben. Wenn Ingrid heute anrufen würde, dass sie Hilfe braucht, wäre er direkt zur Stelle“, freut sich Ruth Klimke über den Zusammenhalt ihrer Kinder. Alle drei leben in Münster. Das ist schön für die Familie. „Ich bin sehr froh, dass meine Mutti schnell einspringen kann, wenn es bei mir mal wieder länger dauert“, räumt Ingrid Klimke ein. Der Familienrückhalt ist stark und wichtig. Auch bei den großen Turnieren ist Ruth Klimke immer mit dabei, muss aber zugeben: „Ich habe nach wie vor Angst, wenn Ingrid in die schweren Geländeprüfungen.“ Ihr wäre es am liebsten, wenn Tochter und Enkeltöchter nur Dressur reiten würden. „Wenn ich das sage, lacht Ingrid sich kaputt“, schmunzelt sie.

Tanzen gemeinsam auf internationalem Parkett: Ingrid Klimke und Franziskus, hier bei den German Masters in Stuttgart.

Tempo im Blut

Denn Ingrid Klimke mag es schnell, sei es beim Mountainbiken oder Skifahren. „Ich liebe es, Schuss runter zu fahren“, sagt die Olympiasiegerin. Ihre Freunde nehmen sie damit schon aufs Korn, fragen, ob ihr die Skier durchgegangen seien, wenn sie alle überholt. Ingrid Klimke lacht über sich selbst, wenn sie Anekdoten wie diese erzählt. Zeit mit Freunden ist ihr wichtig. Genau wie ihr freier Mittwochmorgen. Am liebsten frühstückt sie dann auf Münsters Markt. „Da trifft man so viele liebe Menschen.“

Ingrid Klimke fährt gerne in den Urlaub, kommt aber mindestens genauso gerne wieder nach Hause zu ihren Pferden. „Obwohl ich weiß, dass Carmen und mein Team alles machen, damit es ihnen gut geht“, sagt sie. „Die Pferde verlernen ja nichts, vielmehr tut den Pferden eine kleine Auszeit auch manchmal gut.“ Die Verantwortung im Stall trägt Carmen Thiemann, die schon bei Dr. Reiner Klimke als Pflegerin gearbeitet hat und mittlerweile fest zur Familie gehört.

Eine Ingrid Klimke in nur drei Worten zu beschreiben, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Kernig wäre aber ein Adjektiv, das vielleicht nur Pferdeleute richtig einschätzen können, aber sehr gut auf Ingrid Klimke zutrifft. Zumindest sagt man kernigen Pferden Lebensfreude und Energie nach. Passt. Sie setzt diese Energie nicht nur für ihre Sportkarriere ein, sondern auch für den guten Zweck. Ihr ist es wichtig, etwas zurückzugeben – beispielsweise mit Zeitgeschenken. „Da laden wir Kinder ein, denen es nicht so gut geht.“ Sie reiten dann auf den Pferden. Zum Beispiel auch auf Hale Bob OLD. Ganz richtig: das Olympiapferd als Kinderpony. Bei Klimke möglich.

Dreamteam: Ingrid Klimke und SAP Hale Bob OLD.

„Uns geht es so hervorragend, da muss man etwas zurückgeben“, sagt die Europameisterin. „Das versuche ich, auch meinen Mädels beizubringen. Die Sozialkompetenz ist mir sehr wichtig. Sie sollen lernen, sich um andere zu kümmern.“ Zwei Grundsätze versucht sie, ihren Töchtern zu vermitteln: „Gebt euer Bestes und kümmert euch um andere Menschen. Wenn ihr das schafft, seid ihr toll!“ Prägnanter kann man es nicht auf den Punkt bringen.

Sie selbst lebt beides vor. Als Sportlerin gibt sie ihr Bestes, und auch wenn es nicht reicht, verzagt sie nicht. Ihr einstiges Top-Pferd Abraxxas bezeichnet sie als Herzenspferd – „er konnte nicht besser springen. Das musste ich lernen zu akzeptieren, aber er hat getan, was er konnte.“ Dass ihr durch die häufigen Fehler im Parcours einige Einzelmedaillen durch die Lappen gingen, vergessen. Braxxi genießt die Rente auf dem Hof. Es geht ihm blendend. Vorbildlich, wie auch sonst.

Das komplette Portrait über Ingrid Klimke lesen Sie in der Reiter Revue 4/17.