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EUROPAMEISTERSCHAFTEN VIELSEITIGKEIT

Was für ein Jubel: Ingrid Klimke und SAP Hale Bob OLD auf historischem Goldkurs

Mit einem hervorragenden Ritt setzten sich Reitmeisterin Ingrid Klimke aus Münster und ihr „Bobby“ heute an die Spitze des EM-Feldes. Die beiden sind auf dem besten Weg Sportgeschichte zu schreiben. Aus Avenches berichtet Michaela Weber-Herrmann.

In großartiger Form ritten Ingrid Klimke und SAP Hale Bob OLD zur Führung nach der Dressur.

Avenches/SUI – Letzte deutsche Starterin am heutigen Nachmittag war Ingrid Klimke, die hier Geschichte schreiben könnte. Klappt das Unternehmen Titelverteidigung – sie gewann sowohl bei der EM 2017 im polnischen Strzegom als auch 2019 in Luhmühlen Einzel-Gold im Sattel von SAP Hale Bob OLD – wäre sie die erste Reiterin, die mit ein und demselben Pferd dreimal den Titel gewinnt. Denn auch hier ist sie mit dem mittlerweile 17-jährigen „Bobby“ am Start. Michael Jung beispielsweise hat das Triple auch bereits geschafft, allerdings mit drei verschiedenen Pferden – Sam, Halunke und Takinou.

Die Sache mit der Hose

Den Grundstein jedenfalls hat die Reitmeisterin heute schon mal gelegt. Dass er blendend aufgelegt war, zeigte ihr Oldenburger schon vor dem Einreiten mit lustigen Hüpfern. „Ich wusste, dass er frisch ist, aber nicht, dass er so frisch ist. Vielleicht hätte ich draußen ein paar Runden mehr reiten sollen“, erklärte Ingrid Klimke nach ihrem Ritt lachend. Vermutlich hat ihr dafür einfach die Zeit gefehlt, denn kurz vor dem Einreiten bemerkte ihre Stallmanagerin Carmen Thiemann, dass auf der Reithose der Chefin und Freundin das Logo des Sponsors auf der falschen Seite angebracht war. Rechts statt links – und somit nicht FEI-regelkonform. Carmen flitzte los, die andere Hose wurde herbeigeschafft, die Reitmeisterin verschwand hinter einem Hänger, und als sie wieder auftauchte stand das „SAP“ auf dem richtigen Schenkel.

Beim Einreiten war der Wallach übrigens längst wieder auf seine Reiterin konzentriert. Und im Viereck? Nicht die kleinste Unsicherheit, der Oldenburger ging wie an der Schnur gezogen. Bis kurz vor Ende ihrer Vorstellung war auf den Anzeigetafeln allerdings „Rank 3“ zu lesen – man glaubte es kaum. Auch Ingrid Klimke nicht. „Vom Gefühl her war das richtig gut. Dann habe ich aber doch mal zur Tafel geschaut und gedacht‚ ‚Bobby, du musst halten für ne 10, sonst wird das nichts mehr‘.“ Und Bobby hielt für eine 10, zwei der drei Richter sahen das so. Dazu kam drei Mal die 9 für „Harmonie von Reiter und Pferd“. Am Ende waren’s 79,84 Prozent, umgerechnet 20,2 Minuspunkte – und die Führung!

Ein wenig wundern darf man sich

Er hat schon so ziemlich alles gewonnen, was es in diesem Sport zu gewinnen gibt, doch nach wie vor gibt es auch für ihn diese besonderen Glücksmomente: Nach seinem Ritt heute am späten Vormittag als dritter Reiter der deutschen Mannschaft reckte Michael Jung kurz beide Fäuste zum Himmel, bevor er dem applaudierenden Publikum zuwinkte. Es war geschafft – und zwar so, wie er sich das vorgestellt hatte. Der ganze deutsche Tross scharte sich nach dem Absteigen um ihn und den erst neunjährigen Holsteiner fischerWild Wave, ein Sohn des einst unter Andreas Ostholt erfolgreichen Vollblüters Water Dance xx. Dann eine kurze Umarmung von Hans Melzer und dessen lapidare Feststellung „Ich wusste, auf dich ist Verlass.“

Er habe die letzten Monate intensiv am Feinschliff gearbeitet, so der Reiter. „Man arbeitet auf den Saisonhöhepunkt hin, wünscht sich, dass es bis zum Championat immer bergauf geht und dann die Topleistung abrufbar ist. In der Dressur hat’s schon mal geklappt“, freute er sich. Nur beim zweiten fliegenden Wechsel, erklärte er selbstkritisch „da war er nicht ganz gerade unter mir“. Ein Mitglied der Jury, der Schweizer Christian Landolt, sah dagegen ein ganz anderes Manko: den Schritt. Sowohl für den Mittel- als auch den starken Schritt zückte er die 6,5. Im Gegensatz zu seinen Kollegen, die für diese Lektionen durchweg die nicht zu hoch gegriffene 8,0 vergaben. Landolt bewertete Jungs Ritt mit 72,14 Prozent und sah ihn an 14. Stelle des Feldes. Zum Vergleich die beiden Kollegen: Christian Steiner aus Österreich kam auf 79,05 Prozent und Rang vier, der Neuseeländer Andrew Bennie vergab 77,14 Prozent und Platz sechs. Der Reiter jedenfalls, der die Einzelnoten direkt nach seinem Ritt noch nicht kannte, konnte die 6,5 ebensowenig nachvollziehen wie das fachkundige Publikum: „6,5? Echt? Er hat einen Bombenschritt, war auch fleißig genug. Ich kann’s mir nicht erklären,“ so seine Reaktion. Aber so ist das nun mal in der Dressur. Abhaken, weitermachen. Ärgerlich wäre nur, wenn am Ende Zehntelnoten den Ausschlag gäben. Es wäre nicht das erste Mal. Am Ende waren’s 76,11 Prozent, umgerechnet 23,9 Minuspunkte – aktuell Rang sieben.

Eine tolle Leistung zeigten auch ein sichtlich zufriedener Michael Jung und fischerWild Wave.

Für „gut weggekommen“ hielt sich dagegen Dirk Schrade, der hier in der Schweiz als Einzelreiter startet. „So habe ich ihn noch nie erlebt“ beschrieb der 43-jährige das Gefühl, das ihm der elfjährige Holsteiner Casino vermittelt hatte. Den hat übrigens seine Sponsorin Freya Rethmeier von Peter Thomsen für ihn gekauft, seit Mitte 2020 hat Dirk Schrade ihn unterm Sattel. Doch zurück zum Ritt. Der Schimmelwallach von Casillas startete hervorragend, kam aber offensichtlich mit der Atmosphäre schlecht zurecht und wurde dann zunehmend spannig, die Fehler häuften sich. „Es ist schade, er kann eigentlich eine gute, korrekte Dressur gehen, normalerweise muss ich eher treiben", wunderte sich der zweifache Mannschafts-Europameister, Team-Weltmeister und Team-Olympiasieger, der zuletzt 2015 Mitglied einer Championatsmannschaft war. Treiben musste er heute wahrlich nicht. Mit 30,5 Minuspunkten im Gepäck geht er morgen auf die Geländestrecke. Das ist vorläufig Platz 32.

Nicht ganz rund lief es bei Dirk Schrade und seinem Schimmel Casino.

Ausgangspositionen und Gelände-Startzeiten

Die aktuellen Platzierungen der bereits gestern gestarteten deutschen Reiter nach der Dressur sehen wie folgt aus: Mannschaftsreiter Andreas Dibowski reiht sich mit FRH Corrida und 25,6 Punkten auf Platz elf ein, Einzelreiter Christoph Wahler liegt mit Carjatan S direkt dahinter (26,0 Punkte). Teamreiterin Anna Siemer und Butt´s Avondale sind mit 31,5 Punkten 38.

In der Einzelwertung ist die britische Teamreiterin Rosalind Canter mit Allstar B Ingrid Klimke und Bobby dicht auf den Fersen. Die beiden trennen nur 0,4 Strafpunkte, das ist gerade mal eine Sekunde im Gelände. Auch Allstar B gehört zu den Routiniers in diesem Sport. Er ist 16 Jahre alt und somit gerade mal ein Jahr jünger als Hale Bob und war bereits Partner der 35-Jährigen beim Gewinn von Teamgold bei der EM 2017 in Strzegom und vor wenigen Wochen bei den Olympischen Spielen in Tokio. Bei den Weltreiterspielen 2018 in Tryon/USA feierten die beiden ihren bisher größten Erfolg: Doppel-Gold. In der Einzelwertung vorläufig auf Rang drei folgt Canters Teamkollegin Nicola Wilson mit JL Dublin (20,9 Punkte).

In Sachen Mannschaftswertung hat das deutsche Quartett einen Platz gut gemacht und liegt nun vor dem Gelände mit insgesamt 69,7 Punkten hinter dem Team aus Großbritannien (64,8 Punkte) und vor den Reitern aus Frankreich (77,3 Punkte) auf Silberkurs. Dahinter reihen sich die Mannschaften aus Österreich, den Niederlanden, Italien, Schweden, Belgien, der Schweiz, Spanien, Irland, Russland und der Tschechischen Republik ein.

In Führung liegt nach wie vor das Team aus Großbritannien.

Der erste Reiter startet morgen um 11:00 Uhr auf die 5765 Meter lange Geländestrecke mit ihren 32 Hindernissen. Anna Siemer und FRH Butts Avondale sind „Pathfinder“ des deutschen Teams um 11:28 Uhr. Die Startzeit von Christoph Wahler und Carjatan S ist 12:16 Uhr, die von Andreas Dibowski und FRH Corrida 12:44 Uhr. Für Dirk Schrade und Casino wird’s um 13:36 Uhr ernst, für Michael Jung und fischerWild Wave um 14.20 Uhr. Ingrid Klimke, die Schlussreiterin des Teams, und ihr Hale Bob flitzen um 15:36 Uhr aus der Startbox. Daumen drücken!

Die komplette Startliste und Zwischenergebnisse gibt’s hier.