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Olympische Spiele in Tokio

Jessica von Bredow-Werndl ist Olympiasiegerin!

Mit ihrer „Queen“ Dalera erfüllt sich die Olympia-Debütantin ihren Kindheitstraum, Isabell Werth gewinnt Silber und Charlotte Dujardin Bronze. Von Feuertänzen, Ritualen im Olympiapark und dem Abschied eines ganz besonderen Pferdes von der internationalen Turnierbühne – der Rückblick auf die Einzelentscheidung.

Gold Nummer zwei und das bei den ersten Olympischen Spielen für Jessica von Bredow-Werndl.

Die Aufregung stieg erst nach ihrem Ritt. Denn ab da hatte es Jessica von Bredow-Werndl nicht mehr in der Hand. Sie musste abwarten, was passiert. Konkret: was Isabell Werth und Bella Rose im olympischen Viereck machen würden. Vielleicht war sie sogar dankbar, dass sie zunächst den Journalisten einige Fragen beantworten sollte, als kleine Ablenkung, während ihre ärgste Konkurrenz ihr Ergebnis von 91,732 Prozent versuchte anzugreifen.

Jessi von Bredow-Werndl und Dalera: Der große Traum

In der letzten Gruppe mit den sechs besten Reitern des olympischen Turniers, ging Jessica von Bredow-Werndl nach Cathrine Dufour als erste deutsche Reiterin ins Viereck – so hatte es das Los entschieden. Die Leichtigkeit, mit der sie in das Stadion ritt, wie Dalera leichtfüßig trabte war schon zutiefst berührend. Die 35-jährige Reiterin aus dem bayerischen Aubenhausen und die 14 Jahre alte Easy Game-Tochter aus der Zucht von Silke Fass wussten genau, was jetzt zu tun ist. Zur Musik von La La Land, die Jessi von Bredow-Werndl schon  vor sechs Jahren auf einem Flug nach Omaha für ihre damals achtjährige Dalera auserkoren hatte, begann der Tanz im olympischen Viereck. Passagen, Piaff-Pirouetten, die Traversalen und Trabverstärkungen waren ein Genuss. Schön in der Silouette, leicht, elegant und fokussiert, Der Schritt gut und daraus in rein in die Galopp-Pirouette und weiter in die Zweierwechsel auf gebogener Linie, aus dem starken Galopp in die nächste Pirouette, starker Galopp, Pirouette und rein in die Einer-Tempi – ein Flow. Dann noch einmal Passage, starker Trab, auf die Mittellinie in der Passage, Traversale rechts Piaffe, Passage, Traversale links, noch eine Piaffe und immer noch leicht und lässig. Genauso wie die einhändig gerittene Passage in Richtung Grußaufstellung. Wie leicht kann Reiten aussehen?

Die Richter zückten mehrfach die Höchstnote 10, unter anderem für die Passagen von Jessica von Bredow-Werndl mit ihrer Trakehner Stute Dalera.

Nach ihrem Ritt sagte Jessica von Bredow-Werndl: „Manchmal hatte ich das Gefühl einen Feuertanz zu reiten, auf Messers Schneide, wie weit kann ich gehen? Gestern bin ich noch mit einem verdammt sicheren Gefühl reingeritten. Heute ging es darum: Bin ich wirklich erste?“ Am Anfang ihrer Kür habe sie ein bisschen taktiert, „am Ende bin ich immer mehr Risiko geritten. Es waren keine groben Schnitzer drin und ganz viele Highlights, das habe ich gespürt“. 24 Mal zückten die sieben Richter die 10,0. „Es war mein Ziel, die 90 zu knacken, das hat sie dieses Jahr schon mal geschafft (in Balve)“, freute sich die Reiterin über ihren Ritt und das Ergebnis, ohne da schon zu wissen, was das alles wert ist.

Jessica von Bredow-Werndl ist keine, die alles dem Zufall überlässt. Wenn sie Chancen bekommt, möchte sie sie nutzen. Im Vorfeld ihrer ersten Olympischen Spiele sei alles sehr aufregend gewesen. Sie habe sich Routinen geschaffen, um die Tage in Tokio best möglich zu nutzen. „Ich bin nie zurück ins Hotel gefahren, bin immer hier geblieben, habe mich im Park zum Schlafen gelegt, habe Yoga gemacht, ich habe meine Rituale vor dem Start gehabt und dadurch ist der Tag schnell vorbeigegangen, weil ich immer was zu tun hatte, und ich extrem viel mit Dalera beschäftigt war. Diese Zeit habe ich sehr genossen.“

Wenn die Gefühle übersprudeln vor Glück: Jessica von Bredow-Werndl kurz nachdem klar ist, dass sie Gold gewonnen hat.

Kurz nach diesem Interview schwappten bei der 35-Jährigen die Gefühle über. Als klar war, dass sie Gold gewonnen hat. Ihr Reiterleben in Zeitraffer habe sie noch einmal gesehen, und wie groß der Druck doch war und wie groß dieser Traum vom Olympiasieg, das, so sagt Jessica von Bredow-Werndl, merke man, wenn alles von einem abfällt. „Pure Freude und Dankbarkeit, dass ich hier stehe, die zweite Goldmedaille um den Hals“, das war ihr Gefühl. Mittags habe sie noch mit ihrem Sohn Moritz telefoniert. „Ich lieb dich so, Mami“, habe er gesagt. „Und ihm ist es völlig egal, ob ich eine Medaille mit heimbringe oder nicht. Das ist das, was im Leben so wichtig ist.“

Isabell Werth und ein letzter Gruß mit Bella Rose

Was hat sie noch im Köcher? Diese Frage stellten sich viele als Isabell Werth und ihre 17 Jahre alte Belissimo-Tochter Bella Rose ins Viereck ritten. Wohl wissend, dass eine Prüfungsreiterin wie Isabell Werth es ist, zu allem fähig ist – je dichter die Konkurrenz, desto besser wird sie. Und auch ihre Kür pflanzte sich dem Zuschauer direkt ins Herz – die Musik und dieses besondere Paar: Isabell Werth und ihr Herzenspferd Bella Rose, an die sie immer glaubte, auch als sie über Jahre verletzungsbedingt ausfiel und die Unkenrufe immer lauter wurden.

Mit einer schönen Piaffe-Pirouette zu Einstieg, Freude schöner Götterfunken zum Trab und wieder einmal metronomgleichen Passagen gab es zum Einstieg in die Kür. Die Piaffen im Hinterbein ab und an ein wenig zu viel Eifer, aber wer Gold will, muss eben alles riskieren. Die Schritttour gut, die Galopptour einfach schön anzusehen, die Pirouetten auf kleinstem Raum gesprungen, die Einer- und Zweier-Tempi sowie die Verstärkungen souverän, sauber, mit einer Prise Risiko, das aufging. Und dann die Schlusslinie noch einmal zum genießen – und als ob die Mittellinie für Bella Rose niemals enden müsste, in solche einer Selbstverständlichkeit und Leichtigkeit tanzte sie die letzten Piaffen und Passagen.

Auf einen letzten Tanz auf einem internationalen Championat: Isabell Werth und Bella Rose.

Isabell Werth sichtlich berührt, nach dem Gruß riss sie den Arm nach oben, ihr Gesicht aber sprach noch mehr Bände an Emotionen. Für einen kurzen Moment habe sie geglaubt, es reicht. Es wurde Silber mit 89,657 Prozent. „Bella war fantastisch, ich glaube, es war ihre beste Kür“, sagte sie. „Wenn du rausgehst und dir sagst, ‚ich hätte nichts besser machen können’, dann bin ich total happy und zufrieden.“ Und dann verkündete sie:

Bella hat sich heute von der internationalen Championatsbühne verabschiedet und wir werden einen schönen letzten Auftritt aussuchen.“

Charlotte Dujardin mit „Pumpkin“ Gio

Die Britin und ihr Gio waren vielleicht nicht die größten Favoriten auf eine Einzelmedaille, aber wer die beiden in den vergangenen Tagen im Viereck beobachtete, wusste, sie würden sich garantiert nicht verstecken. Der zehnjährige Apache-Sohn riss sich heute erneut das Herz für seine Reiterin raus und heute wirkte alles noch ein wenig harmonischer und runder in der Abstimmung. Zwar fehle ihm noch die allerletzte Kraft, aber an der richtigen Einstellung mangelt es dem knuffigen Fuchs bestimmt nicht. So wenig wie seiner Reiterin, die wieder einmal forsch und frech nach vorne ritt. Die Pirouette nicht immer ganz sauber durchgesprungen, aber dafür setzte das Paar tolle Akzente zum Beispiel in den Passagen und Verstärkungen. Die Einertempi gelangen heute wieder super, da machte Charlotte Dujardin direkt mal ein paar mehr, einmal waren es 18 Stück auf der Mittellinie – ob es hier einen kleinen „battle“ mit Coach und Teamkollege Carl Hester gab, der in seiner Kür gleich 20 Einer auf eine Linie packte? Mit 88,543 Prozent belohnten die Richter den mutigen Ritt der Britin und ihrem kleinen fliegenden Holländer. Am Ende sollte das die Bronze-Medaille sein.

Überglücklich: Charlotte Dujardin mit ihrem Gio.

Dorothee Schneider und ein Plan, der nicht aufging

Dorothee Schneider ritt als letzte Reiterin ins Viereck. Vor ihr hatte nun Charlotte Dujardin den Druck noch einmal erhöht. „Ladys an gentlemen it’s showtime“ erklang die Musik, Gänsehaut. Und erneut glänzten Schneider und ihr 15 Jahre alter Showtime FRH durch Schwung und Präzision und einem ungeheuren Gleichmaß vor allem in den Passagen und Trabelementen. Doch im Laufe der Prüfung wirkte die Vorstellung angestrengter, die Piaffen verhalten, in der ersten Galopp-Pirouette links fiel Showtime beinahe aus, er wurde vorne ungewöhnlich eng, in den Zweierwechseln sah man Dorothee Schneider deutlicher einwirkend – ungewöhnlich. War der Tank leer? 79,432 Prozent und eine enttäuschte Reiterin, die versuchte in Worte zu fassen, was geschehen war: „Es hat sehr gut angefangen, dann kam der Moment, in dem Showi anfing, die Zunge nach oben zu ziehen. Dann hatte ich gar keine Verbindung mehr, konnte gar nichts mehr von hinten nach vorne abfragen, die Verbindung über den Körper war verloren. Somit kamen auch alle Fehler. Und auch diese Halseinstellung war ja nicht von mir gemacht, sondern er hat sich versteckt. Alles oder nichts. Jetzt ist es nichts.“ Morgens im Stall habe er etwas müde gewirkt, deshalb habe sie ihn auch nicht geritten. Über den Verlauf des Tages aber habe Showi fit und motiviert gewirkt, er habe sich er locker angefühlt. „Wir haben gesagt, wir riskieren ein bisschen was, machen ihn ein bisschen wach, vielleicht war das ein bisschen zu viel wachmachen. Im Enddeffekt ist es immer meine Entscheidung obendrauf. Der Plan ist nicht aufgegangen. Ich finde es schade für das Pferd. Aber das Gold mit dieser tollen Mannschaft, das ist und bleibt sehr besonders.“

Bundestrainerin Monica Theodorescu: Gold, Silber – ganz viel besser geht’s nicht. Ich denke, es war ein grandioser Fight. Die Pferde waren auf Höchst-Niveau. Für Doro tut mir das sehr leid, aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Und das war heute leider ein kleiner Wermutstropfen."

Das olympische Treppchen: Olympiasiegerin Jessica von Bredwo-Werndl eingerahmt von Isabell Werth und Charlotte Dujardin.

Ergebnisse

Olympia-Happen zum Mitschnacken

Goodbye Deutschland – die Auswanderer

Das sagte Sabine Schut-Kery im Jahr 1998, als sie ihrer Heimat Krefeld den Rücken kehrte und erst nach Texas, dann nach Californien auswanderte. Ihr Dressurhandwerk lernte sie in Deutschland bei Jean Bemelmans, Jan Nivelle und Stefanie Meyer-Biss. Seit 2007 hat sie die amerikanische Staatsbürgerschaft und trainiert bei Christine Traurig. Und auch ihr Pferd Sanceo ist ein „Auswanderer“. Denn der San Remo-Sohn, den Gerhard Dustmann gezogen hat, verbrachte seine ersten drei Lebensjahre bei Familie Westendarp im niedersächsischen Rulle. Die wird sicherlich voller Stolz das Geschehen in Tokio verfolgt haben. Nun ist Sanceo seit zwölf Jahren bei Schut-Kery, sie war von Anfang an von ihm, seiner Balance, seinem Rhythmus begeistert und nun trat dieses Paar fast wie Phoenix aus der Asche in Tokio auf, drei harmonische, sehr korrekte und ausdrucksstarke Ritte zeigten die beiden. Heute wurden sie auf diese feine Art und Weise Fünfte in der Kür.

Mit Harmonie zu Platz fünf in der Einzelwertung bei ihren ersten Olympischen Spielen: Sabine Schut-Kery und Sanceo.

Obst und Gemüse

Ihr legendärer Valegro trug den Spitznamen Blueberry. Warum sollte dann also der 1,65 Meter große und ebenso knuffige Fuchs Gio nicht den Spitznamen Pumpkin (Kürbis) tragen? Passt doch. Charlotte Dujardin hatte den Apache-Sohn 2016 bei einem Lehrgang in den USA gesehen, sich in ihn verguckt und ihn kurzerhand zusammen mit ihrer Mitbesitzerin Renai Hart gekauft. Mittlerweile hat auch ihr Trainer Carl Hester Aktien an dem kleinen Fuchs, der in Tokio bei seinem vierten internationalen Turnier über sich hinauswuchs. „Er ist unglaublich. Er gibt mir alles, was er hat, auch wenn er noch stärker und in allem etwas selbstbewusster werden muss, gibt er noch mehr, als er im Moment geben kann!“, sagte Dujardin dem britischen Pferdemagazin Horse & Hound über ihren „King Gio“.

Haben wir das schon erwähnt?

Das gestrige Team-Ergebnis der deutschen Dressurreiterinnen mit durchschnittlich 82,857 Prozent ist das höchste Mannschafts-Dressurergebnis in der olympischen Geschichte.

Und hier für alle, die den Ritt von Jessica von Bredow-Werndl verpasst haben: