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EM Rotterdam: Para-Reiterin Heidemarie Dresing im Interview

„Hauptsache ich reite“

Sie ist 64 Jahre alt und feiert ihr Championatsdebüt. In Rotterdam geht die an Multiple Sklerose erkrankte Reiterin in Grade II an den Start und wurde in der ersten Prüfung Vierte. Energiegeladen, genau wie ihre Stute La Boum.

Heidemarie Dresing ist zum ersten Mal bei einer EM dabei. Ihr Ziel: Olympia.

Rotterdam/NED – Ihr Fernziel sind die Paralympics in Tokio, aber erst einmal will sie bei den Europameisterschaften überzeugen. Heidemarie Dresing im Gespräch über ihren Werdegang, positives Denken und die Power ihres Pferdes.

Frau Dresing, man weiß noch wenig über Sie. Erzählen Sie mal ein bisschen über sich.

Wenn Sie sagen, ein bisschen, erzähle ich Ihnen den ganzen Tag über mich (lacht). Was wollen Sie wissen?

Wie sind Sie zum Reitsport gekommen?

Da war ich acht Jahre alt und ich habe mit Kleidchen auf dem Pony gesessen. Später wurde eine Jeans gekauft, als wir Urlaub auf dem Ponyhof machten (lacht). Als wir wieder nach Hause kamen, habe ich meinem Vater gesagt, ich möchte richtig reiten lernen. So habe ich als Schulpferdereiter angefangen und wurde dann von meinem Reitlehrer gefördert. Daraus entwickelte sich, dass ich ein Pferd zur Verfügung gestellt bekam. Kurz vor dem Abi hatte ich so viele Pferde zu reiten, dass meine Eltern Sorge hatten, dass ich mein Abitur nicht schaffe. Ich bin erst Springen geritten, habe M-Springen gewonnen und hatte dann ein Pferd, für das Springen eine zu große Belastung war. So bin ich dann zur Dressur gekommen. Es ist dann sogar M-Dressur gegangen.

Und so zogen sich die Pferde durch Ihr Leben?

Später habe ich geheiratet. Ich komme gebürtig aus Hagen. Wir haben dann in Menden einen Gutshof gepachtet und eine kleine Pferdezucht betrieben, aber nur als Hobby. Ich bin Architektin. Aber ich habe über 100 Pferde angeritten, ausgebildet und verkauft. Wir haben jedes Jahr mit drei Stuten gezüchtet. Ich war 22, als wir angefangen haben. Jetzt bin ich 64. Da kommt was zusammen.

Sie sind dann Dressur geritten?

Ja, mein Mann war Springreiter und hat mir eines seiner Pferde gegeben, das ich dann bis S-Dressur ausgebildet habe. Ich war bis Inter I platziert.

Und wann haben Sie von der Multiple Sklerose-Erkrankung erfahren?

Ich habe meinen 50. Geburtstag gefeiert und fühlte mich wie 30. Aber als ich so 52 war, habe ich gemerkt, dass mit meinem Körper was nicht stimmt. Ich war voll berufstätig, Beamtin im öffentlichen Dienst und viel beschäftigt. Aber ich habe mich daraufhin jährlich im Krankenhaus durchchecken lassen, sechs Jahre lang. Allerdings ohne größeren Befund. Dann habe ich eine Freundin, die Ärztin ist, konsultiert und ein MRT des Schädels und der Halswirbelsäule bekommen. Dabei trat dann zutage, dass ich MS habe, in schleichender Form. Das konnte man nicht so gut behandeln. Ich habe die Medikamente bekommen, die es damals dafür gab. Seit zwei Jahren gibt es ein Medikament, das gegen schleichende MS ist, was ich seit eineinhalb Jahren nun nehme. Ich kann aber nicht einschätzen, wie gut es hilft, weil ich keine Vergleiche ohne ziehen kann. Es wird bei mir immer etwas schlechter. Ich habe im Para-Sport in Grade V angefangen und reite jetzt in Grade II, also nur noch Schritt und Trab. Anfangs konnte ich mir nicht vorstellen, dass das auch Spaß macht, aber heute sage ich, mir würde auch Spaß machen, in Grade I zu reiten, wo nur noch Schritt geritten wird. Hauptsache ich reite.

Wie äußert sich Ihre Krankheit denn?

Mir ist zum Beispiel immer schwindelig und sobald ich nicht richtig in meiner Körpermitte bin, fall ich auch dahin. Wenn ich auf dem Pferd sitze, ist das schon ein Balanceakt. Ich habe ein paar Hilfsmittel, die es erlauben, dass ich reiten kann. Wenn ich die nicht hätte, würde ich so vom Pferd kippen. Dazu kommen noch weitere Symptome, wie Muskelschwäche und Lähmungen.

Wie reagiert Ihr Pferd darauf?

Das weiß ich ehrlich gesagt noch nicht. Ich habe die Stute erst seit einem Jahr, sie ist sechs Jahre alt und damit, glaube ich, das jüngste Pferd auf diesem Event. Wir müssen mal gucken, wie das so klappt (lacht). Ich bin da frohen Mutes. Ich habe sie letztes Jahr schon im Regelsport in einigen Dressurpferdeprüfungen der Klasse A vorgestellt und auch eine gewonnen mit einer guten Achter-Note. Die Siegerehrung bin ich da allerdings nicht geritten, weil ich dachte, ich bin mal vorsichtig (lacht).

Und jetzt feiern Sie hier Ihr Championatsdebüt.

Ja, immer weiter nach vorne, dachte ich mir so. Ich habe die Prüfungen vor vier Jahren mit 62 Prozent angefangen und jetzt habe ich mit diesem Pferd die letzten Prüfungen immer über 70 Prozent geritten. Da gibt es nicht so viele, die das reiten. Da bin ich wirklich stolz drauf. Und jeder Sportler träumt doch davon, ein Championat zu reiten (lacht). Als ich mit dem Para-Sport angefangen habe, dachte ich mir, man kann ja Ziele äußern, auch wenn sie noch utopisch sind. Da habe ich gesagt, ich würde ganz gerne nach Tokio fahren und mal Olympia reiten. Das habe ich auch immer noch. Ich bin dieses Jahr Deutsche Meisterin geworden und jetzt hier, aber wir werden sehen, was noch kommt.

Können Sie Ihr Pferd ein bisschen beschreiben?

Mein Pferd ist eine Granate, mütterlicherseits eine Springpferdeabstammung, deshalb ist sie auch eine Kämpferin. Sie ist ein sehr großes Pferd. Und als ich sie ausprobiert habe, wollte man mich erst nicht drauflassen, weil sie sehr sensibel ist und auch schon mal wild sein kann. Aber ich liebe es, sie zu reiten.

Waren Sie schon immer ein so positiv eingestellter Mensch?

Deshalb kann ich die Krankheit so ertragen. Ich gehe sogar soweit, dass ich sage: Es ist mein zweites Leben. Ich bin ein sehr ehrgeiziger Mensch, bin korrekt und habe immer sehr viel gearbeitet. Was mir aber fehlte, war so ein bisschen Muße, dass man auch Kleinigkeiten wirklich genießt. Ich musste immer in Action sein und hab gesagt: Schlafen kann ich noch lange genug. Aber dadurch, dass ich jetzt durch die Krankheit sehr langsam geworden bin, kann ich gar nicht mehr so viel machen und ruhe mehr in mir – und kann das Reiten auch mehr genießen. Als ich die Diagnose bekommen habe, habe ich einen Cut gemacht und gesagt, jetzt mache ich nur noch, was mir Spaß macht. Ich habe vor ein paar Monaten zum zweiten Mal geheiratet. Er versteht, wie mir das Reiten hilft, obwohl er selbst nicht reitet. Wir sprechen eine Sprache. Und so bin ich positiv geblieben.

Und das nehmen Sie auch mit hier nach Rotterdam.

Mein Lebensmotto ist „Geht nicht gibt’s nicht“. Dass bei so einer Veranstaltung nicht immer alles optimal läuft, ist normal. Ich freue mich, dass ich mit Menschen in einem Team bin, die da ähnlich denken, wie ich. Ich finde es wichtig, dass man mit sich zufrieden und im Reinen ist.

Vielen Dank für das Gespräch.