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WM Herning 2022

Die Bewertung der Dressur: Falscher Fokus?

Die Weltmeisterschaften in der Dressur sind entschieden, neue Weltmeister gefunden. Der Hengst Glamourdale begeisterte, wurde mehrfach mit der Höchstnote 10,0 bewertet. Nach den drei Prüfungen drängen sich dennoch Fragen auf und Wünsche für die Zukunft. Ein Kommentar von Sabine Gregg und Sarah Schnieder.

Die Teilnehmer der Grand Prix Kür wurden im großen Stadion bei den Weltmeisterschaften in Herning gefeiert. Es gab viele hohe Noten. Immer zu recht?

Herning/DEN – Was ist Dressur für Sie? Für uns verbirgt sich hinter diesem Wort ein Tanz mit dem Pferd, die feinste Abstimmung, die ein Mensch mit einem Pferd erreichen kann. Beide sind in Balance, beide sind zufrieden und bewegen sich losgelassen sowie ausdrucksstark durchs Viereck. Das erwarten wir bei Weltmeisterschaften. Haben wir das in den drei Wettbewerben in Herning auch gesehen? Jein.

Schauen wir zuerst auf eines der positiven Beispiele: Drei Runden, die für Harmonie stehen, lieferten Benjamin Werndl und Famoso OLD ab. Der 13-jährige Oldenburger hatte durchgehend die Ohren gespitzt, das Maul zufrieden geschlossen, sein Blick war aufmerksam, aber entspannt, die Stirn-Nasenlinie vor der Senkrechten. Er zog an die Hand heran, wie man es sich wünscht, war durchgehend in Selbsthaltung und zeigte eine schöne Rahmenerweiterung in den Verstärkungen. Sein Reiter saß still im Sattel und wirkte mit feinsten Hilfen ein. Die Bewegungsqualität des Pferdes reicht aber nicht an die der Medaillen-Pferde heran. So gab es Platz vier in der Kür für dieses Paar.

Charlotte Fry und Glamourdale im starken Galopp bei den Weltmeisterschaften.

Glamourdale, ein echtes Bewegungswunder, verzückte die Richter und Zuschauer. Der Galopp des elfjährigen KWPN-Hengstes ist zum Niederknien. Dieser Durchsprung, diese Kraft, mehr Bergauf geht definitiv nicht. Der Starke Galopp auf der Diagonalen erweckte im Grand Prix Special den Eindruck, als sei das Viereck geschrumpft, so raumgreifend waren die Sprünge. Dass es dafür sechs Mal die Höchstnote 10 gab, hat niemanden überrascht.

Doch ist die 10 berechtigt, wenn das Gesamtbild des Pferdes noch nicht dem Optimum entspricht? Oder müssten beispielsweise ein teils offenes Maul und ein zeitweiliges Verkriechen hinter dem Zügel in die Bewertung mit einfließen? In der Kür öffnete der Hengst im Schritt immer wieder deutlich das Maul, in der Pirouette verlor er die Selbsthaltung, stützte sich auf die Hand und wurde eng im Genick. Für die Harmonie des Paares vergaben die Richter Noten zwischen 9,5 und 10. Und wir in der Reiter Revue Redaktion fragen uns, ist das das richtige Zeichen?

Die Frage muss gestattet sein, was in Einzellektionen primär bewertet wird, wenn im Dressurreiten ein Weltmeister gesucht wird: Die Bewegungsqualität des Pferdes, die technische Umsetzung der Lektion oder die feine und gefühlvolle Einwirkung des Reiters, damit das Pferd die Lektion fehlerfrei umsetzen kann?

Benjamin Werndl und Famoso während des Grand Prix Special bei den Weltmeisterschaften in Herning.

Die Antwort, die sich auch in den Ergebnissen von Herning widerspiegelt: Bewegungsqualität und technische Umsetzung stehen in den Einzelnoten vor der feinfühligen Einwirkung und der Harmonie. Mehr noch: Die doppelt zählende Schlussnote für das Erscheinungsbild des Paares, in der die Harmonie explizit hervorgehoben und die reiterliche Einwirkung und Hilfengebung bewertet wird, richtet sich nach Bewegungsqualität und technischer Umsetzung in den Lektionen, so scheint es. Zum Vergleich: Im Grand Prix Special bekam Benjamin Werndl drei Mal die 9 und vier Mal die 8,5 für Sitz und Einwirkung. Siegerin Charlotte Fry musste bei ihrem Ritt deutlich mehr mit den Sporen einwirken, ihr Hengst klapperte viel mit der Unterlippe und wurde eng im Genick. Sie bekam dennoch zwei Mal die 10, drei Mal die 9,5 und zwei Mal die 9. Glamourdale ist dabei nur ein Beispiel von einigen Pferden, die die letzte Losgelassenheit vermissen ließen und dennoch aufgrund ihrer Qualität mit Top-Noten bewertet wurden.

Das ist leider ein Resümee, das einen Schatten über die Dressur bei den Weltreiterspielen wirft, denn im Prinzip sollte doch vor allem eines im Vordergrund stehen: Das Pferd als glücklicher Athlet, vorgestellt von einem fein einwirkenden Reiter, der es in vollkommener Losgelassenheit präsentiert. Die Chance diese Ritte in Herning mit einer Medaille zu honorieren, haben die Richter leider verpasst. Wie schon häufig auf Championaten und großen Turnieren! Dabei ist es definitiv an der Zeit, die Harmonie des klassischen Reitens am höchsten zu bewerten. Dem Sport und den Pferden zuliebe.

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