Zum Inhalt springen

Drücken Sie Öffnen / Eingabe / Enter / Return um die Suche zu starten

Weltmeisterschaft Pratoni del Vivaro

Deutsches Team auf Medaillenkurs – Kritik am Geländekurs​

Gegenüber gestern haben sich die Mienen der deutschen Reiter und ihres Trosses deutlich aufgehellt. Der Grund: die Ritte von Julia Krajewski und Michael Jung. Und nicht zu vergessen: die beherzte Vorstellung von Einzelreiterin Alina Dibowski.

Hat sich an die Spitze des Feldes gesetzt und das Team auf Rang zwei: Michael Jung.

Pratoni del Vivaro/TA – Der Knoten ist geplatzt. Nach dem ersten Dressurtag, sprich am gestrigen Abend lag das deutsche Team auf Rang sieben, nun vor dem sicher entscheidenden Geländetag ist es mit 76,1 Punkten auf Rang zwei geklettert hinter der Mannschaft aus Großbritannien (69,2 Punkte) und vor der aus den USA (76,6). Wichtig zu wissen in diesem Zusammenhang: Die sieben bestplatzierten Teams qualifizieren sich für die Olympischen Spiele 2024 in Paris, sind die französischen Gastgeber mit von der Partie, qualifizieren sich acht Nationen. Die Olympia-Qualifikation nennt Bundestrainer Peter Thomsen das „Minimalziel“ dieser Weltmeisterschaften fürs Team.

Mit dem Ritt von Julia Krajewski auf ihrer Mandy ist der Knoten geplatzt, Platz für Platz machte das deutsche Team Boden gut.

Aus deutscher Sicht war Julia Krajewski die erste Starterin des heutigen Tages. 74,01 Prozent, umgerechnet 26,0 Minuspunkte waren das Ergebnis der 33-jährigen Olympiasiegerin, die seit diesem Jahr Bundestrainerin der U25-Reiter und der Perspektivgruppe ist, und ihrer Amande de B’Néville, kurz „Mandy“. Und das, obwohl Julia Krajewski freimütig einräumt: „Ein Dressurpferd ist sie nicht.“ Die zwölfjährige Selle Francais-Stute ist ja auch auf Springen gezogen und ging, bis sie sechsjährig war, in Frankreich nur Springen. Heute ließ sie das nicht erahnen. „Viel besser kann sie nicht gehen. Die zweite Hälfte der Schritttour war ein bisschen bedenklich, dafür stand sie gut, tolle Verstärkungen und auch die Wechsel alle gut,“ so das Fazit der Reiterin. Selbstkritik auf hohem Niveau!

Julia Krajewski hat ihr Traineramt übrigens nicht zugunsten eines Jobs bei der Bundeswehr aufgegeben, wie man beim Blick auf ihren mit entsprechenden Emblemen geschmückten dunkelblauen Frack meinen könnte. Ehemalige Sportsoldaten und -soldatinnen können an Wehrübungen teilnehmen, erklärte sie nach ihrem Ritt und auch in Uniform reiten. Sie habe nachgefragt, ob sie einen Frack entsprechend umarbeiten lassen könne und das dann auch getan. Jetzt reitet sie mit dem Emblem der Luftwaffe auf der Frackbrust und drei Streifen auf der Schulter. „Hauptgefreite“ bedeute das, erklärte sie und fügte lachend hinzu: „Karriere habe ich bei der Bundeswehr nicht gemacht.“ Aktuell liegen Julia Krajewski und Mandy auf Platz zwölf.

Das Küken der WM

Einen Rekord hat Alina Dibowski bei diesen Weltmeisterschaften schon aufgestellt: Mit 21 ist sie nicht nur das „Küken“ im deutschen Lager, sondern die jüngste Teilnehmerin des gesamten WM-Feldes. Und das mit Abstand: Der zweitjüngste Reiter, Jarno Verwimp aus Belgien, ist vier Jahre älter. Und es sah gar nicht so aus, als müsse Alina Dibowski sie erst noch flügge werden. Sie ritt konzentriert, ihr in Polen gezogener 13-jähriger Barbados leistete sich keine Patzer, bei den Galoppverstärkungen etwa ging‘s beherzt vorwärts – am Ende waren es 69,44 Prozent (30,6 Punkte), was aktuell Rang 35 bedeutet. Da hätte man sich in der Tat das eine oder andere Prozentpünktchen vorstellen können. Zwar stand die Analyse – sicher auch mit Vater und Trainer Andreas Dibowski – noch aus, aber zumindest direkt nach ihrem Ritt sah es die Reiterin genauso: „Ich hatte mir mehr erhofft. Aber das ist ja auch die Weltmeisterschaft. Vielleicht hab‘ ich ja in der einen oder anderen Lektion Punkte liegen lassen. Und er hat ein bisschen mehr gelauert, als ich dacht hatte.“ Ihre Strategie vor dem Ritt? Ruhe! „Ich hab‘ mich im LKW noch eine Stunde hingelegt“, so die Reiterin. In der Ruhe liegt ja bekanntlich auch die Kraft!

Beherzt und frisch: Die Jüngste im WM-Feld, Alina Dibowski auf ihrem Barbados.

Und dann kam Michi!

Vierter und damit letzter deutscher Teamreiter war Michael Jung. Wenn man’s nicht gewusst hätte, man hätte es an der Menschenmenge, die schon das Abreiteviereck umsäumte, bemerkt. Und schon dieses Abreiten war eine Lehrstunde! Die letzte Runde vor dem Einreiten sah man ein Pferd, das sich am langen Zügel dehnte, mit einem leichttrabenden Reiter. Und diese Losgelassenheit nahmen die beiden mit ins Viereck.

Michael Jung und fischerChipmunk ließen heute keine Zweifel offen. Das war im wahrsten Sinne: Spitze.

Die britische Teamreiterin Laura Collett hatte mit dem 13-jährigen Holsteiner London gut vorgelegt (80,74 Prozent, 19,3 Punkte) und lange sah man während Michael Jungs Ritt auf der Anzeigetafel, die das Live-Scoring widerspiegelte, „Rank 2“, doch am Ende bei der letzten Grußaufstellung, für die es zweimal die 10,0 gab, wurde daraus „Rank 1“. Und dann die Noten für „Harmony“: zweimal die 10 und eine 9,5 – insgesamt 81,23 Prozent, 18,8 Punkte, die verdiente Führung für Michael Jung und den 14-jährigen Hannoveraner fischerChipmunk FRH – und, nebenbei bemerkt, das bisher beste Fünf-Sterne-Dressurergebnis des Reiters. Der war verständlicherweise glücklich: „Es ist ein gigantisches Gefühl, wenn man einreitet und er ist voll da, aber trotzdem immer konzentriert und ruhig. Wenn man alles, was man trainiert hat, auch abrufen kann im Viereck, ist man schon stolz als Reiter.“ Übrigens fieberte die ganze Familie mit: Natürlich Michael Jungs Frau Faye, Söhnchen Lio, Vater Joachim und Mutter Brigitte Jung. Aber auch der in Kanada lebende Bruder Philipp, der erst am Morgen in Rom gelandet war, um bei dieser WM dabei zu sein.

Die Sache mit dem Hang

Eine gute Ausgangsposition also für Michael Jung und das deutsche Team vor dem morgigen Geländetag. Das erste Paar verlässt die Startbox um 10.30 Uhr. Es sind Christoph Wahler und Carjatan S, die „Pathfinder“ der deutschen Mannschaft. Wahler ist übrigens kein Freund dieser Geländestrecke und das nicht deshalb, weil sie seiner Meinung nach „technisch anspruchsvoll und konditionell extrem anspruchsvoll“ ist. Vielmehr sagt er: „Die Linienführung gefällt mir nicht. Wenn man da in der Schrägen rumgaloppiert, dann ist das nicht das, was wir den Pferden bei einer Weltmeisterschaft ermöglichen wollen.“

Noch deutlichere Worte findet Michael Jung, wenn man ihn nach seiner Einschätzung der Strecke fragt: „Es ist einfach traurig“, erklärt er, „bei den Möglichkeiten, die dieses riesige Areal bietet. Da ist es für mich unverständlich, warum der Kurs so kringelig ist. Und völlig unverständlich ist für mich, dass die Pferde schräg am Hang galoppieren müssen.“ Das habe er Gelände-Parcourschef Giuseppe della Chiesa, als dieser ihn nach seiner Meinung zur Strecke gefragt habe, auch gesagt. Und dessen Antwort? „Er hat gesagt, dann müsse man eben langsamer galoppieren.“

Ob langsam galoppieren der Sinn einer Weltmeisterschaft ist, sei dahingestellt. Jedenfalls beurteilt auch Dr. Matthias Niederhofer, Mannschaftstierarzt der deutschen Senioren im Vielseitigkeitssattel 2001, 2002 und seit 2018 Teile der Streckenführung, vor allem die Passage, wo die Pferde quer zum Hang galoppieren müssen, kritisch: „Aus tierärztlicher Sicht hätte ich mir gewünscht, diese Passage wäre nicht Teil der Geländestrecke. Zumal an dieser Stelle auch die schlechtesten Verhältnisse des gesamten Kurses vorliegen – teilweise sind Löcher im Boden mit Sand aufgefüllt, direkt daneben wiederum gibt es den gewachsenen Grasboden.“

Morgen wissen wir mehr. Bleibt anzumerken, dass sich für den Geländetag IOC-Präsident Thomas Bach angesagt hat. Man kann davon ausgehen, dass er sich die Sportart Vielseitigkeit, die zu den finanziell aufwändigeren der „olympischen Familie“ gehört, genau anschaut.

Einzelergebnis

Teamergebnis