Kolumne
Über die Nachtaktivität von Dressurreitern
Wenn der Wecker an einem Sonntagmorgen um drei Uhr klingelt, hat man es geschafft. Und zwar in den illustren Kreis ehrgeiziger Dressurreiter. Das sind die, die auf das Wochenende pfeifen, Ausschlafen für Zeitverschwendung halten und es stattdessen genießen, wenn sie um vier Uhr morgens beim Füttern und Einflechten die Ruhe im Stall erleben und um fünf Uhr mit dem Anhänger Richtung Turnierplatz aufbrechen. Sie winken den heimkommenden, wankenden Partygängern fröhlich zu. Im Gegensatz zu denen ganz und gar glücklich darüber, den wunderbaren Tag nicht zu verschlafen.
Wenn die Prüfung vor sieben Uhr beginnt, ist zwar die Sonne oftmals noch nicht anwesend, dafür leuchtet der Mond den Weg zum Abreiteplatz, der einladend im Dämmerlicht liegt. Oder, je nach Jahreszeit geht es auch in die noch frostig-frische Abreitehalle. Im Sommer haben Pferde und Reiter das Glück, eher wach zu sein, als die lästigen Fliegen, im Winter sind sie die ersten, die Füße und Hufe auf die noch unberührte Schneedecke auf dem Parkplatz setzen. Wer sich um diese Zeit auf dem Turnier tummelt, gehört fraglos zur Kategorie der Lerchen, die im Gegensatz zu den Eulen morgens schon putzmunter sind. Energiegeladen, motiviert, bereit zu großen Taten. Morgenmuffel haben hier keine Chance.
Das ändert sich auch nicht, wenn man in die höchsten Sphären der Dressur aufgestiegen ist. Rekordreiterin Isabell Werth zeigte dem Festhallenturnier in Frankfurt vor ein paar Jahren die kalte Schulter. Der Grund: Eine Trainingszeit im Prüfungsviereck war für vier Uhr morgens angekündigt worden. Ein Jahr zuvor kannte der Veranstalter schon kein Erbarmen und schickte die tapferen Frühaufsteher namens Dressurreiter um 4.45 Uhr zum trainingsbasierten Frühsport ins Prüfungsviereck. Mittags fragten sich dann einige, ob nicht langsam mal Abend sei, weil die Augenlider schon so unheimlich schwer waren.
Aber sei‘s drum: Ein Sportlerleben ist nun einmal hart. So einfach ist das. Der Satz „Du hast es ja so gewollt“ gepaart mit einem teilnahmslosen Schulterzucken ist die Antwort auf Beschwerdeversuche oder gar Mitleidserwartungen.
Die Mitmenschen werden dann lieber kurzfristig zu diskussionsfreudigen Tierschützern und fordern vom Augenringe-überschminkenden Dressurreiter noch eine Antwort auf die Frage, ob Pferde denn wohl nachtaktiv seien. Bislang, so kann ich ehrlich sagen, hat mich noch kein Pferd um fünf Minuten Schlummerphase gebeten, wenn ich morgens um vier an seine Box geklopft habe.
Aber nicht nur das Pferd, sondern auch die Mitmenschen gewöhnen sich irgendwann daran, wenn der Wecker an einem Sonntag um drei Uhr klingelt. Man muss das Prozedere nur häufig genug üben. Auf ein leises „Schatz, ich fahre jetzt aufs Turnier“ folgt in der Regel ein resigniertes: „Okay, bring Brötchen zum Frühstück mit. Gute Nacht!“