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Die vertikale Reitweise – ein Kommentar

Wo sind Takt, Losgelassenheit und Schwung?

Die Lehre der Oliveira Stables findet sowohl immer mehr Anhänger als auch Kritiker. Warum sie keine zufriedenen Pferde zeigt. Ein Kommentar von Chefredakteurin Sarah Schnieder.

Symbolbild

In der aktuellen Ausgabe schreiben wir über die umstrittene Lehre der Oliveira Stables, die vertikale Reitweise. In den sozialen Medien wird über sie schon seit langem diskutiert. Sie ist in vielerlei Hinsicht konträr zu den Aussagen der klassischen Reitlehre. Beispielsweise verzichten die Verfechter auf die Dehnungshaltung und das Leichttraben, sie nutzen häufig keinen 20-mal-40-Meter-Raum für ihr Training, verlangsamen das Tempo in allen Gangarten so, dass kein Schwung entsteht. Auffällig ist die hohe Kopf-Hals-Haltung der Pferde und der Fokus auf Seitengänge und halbe Tritte.

Verschiedene Videoausschnitte auf Facebook zeigen neben diesen Merkmalen allerdings vor allem eines: teils taktunreine, verspannte Pferde, mit weggedrückten Rücken und gestressten Gesichtsausdrücken.

Da Videosequenzen oder gar Fotos oft nur die halbe Wahrheit offenbaren und man sich anhand solcher Momentaufnahmen nur schwerlich ein Urteil bilden kann, haben wir uns in der Redaktion in der Themenkonferenz folgende Frage gestellt: Wie können wir uns der vertikalen Reitweise neutral nähern und einen realistischen Blick auf die Kritikpunkte werfen?

Zwei erfahrene Redakteurinnen fuhren daraufhin zu den Oliveira Stables. Sie ließen sich die Reitweise zeigen und erklären, stellten Fragen und tauschten sich im Nachhinein über die Beobachtungen und Begründungen aus. Sie kamen allerdings zu dem Ergebnis, dass sich ihnen vor Ort das gleiche Bild bot, das die Videosequenzen im Netz von der vertikalen Reitweise zeigen. Und auch die Erklärungen ließen Fragen offen, so zum Beispiel, dass das Leichttraben das Pferd aus der Balance bringen soll.

Den ganzen Artikel mit Einschätzung einiger Ausbildungspunkte der vertikalen Reitweise von Experten der klassischen Reitlehre finden Sie in der August-Ausgabe der Reiter Revue. Hier können Sie das Print-Magazin versandkostenfrei bestellen oder die Digital-Ausgabe direkt beziehen.

An dieser Stelle – und im journalistisch korrekten Format eines persönlichen Kommentars – ist es Zeit, die Kritik deutlich anzusprechen:

Die biomechanischen Zusammenhänge in Bewegungsabläufen zwischen Pferd und Reiter zu verstehen, ist elementar, um ein Pferd gesund zu trainieren. Das unter den Schwerpunkt fußende Hinterbein, der sich aufwölbende Rücken und die positive Körperspannung, mit der sich das Brustbein hebt, damit sich das Pferd in Balance an die Reiterhand herandehnen kann, sind Fixpunkte, die wir Reiter immer vor Augen haben sollten, um ein zufriedenes Pferd unter dem Sattel zu haben. Machen wir etwas verkehrt – und das passiert uns allen immer wieder – senden unsere Pferde uns Signale, die wir verstehen müssen. Sie drücken den Rücken weg, sie verspannen die Kiefermuskulatur, sie blicken gestresst, schlagen mit dem Schweif, legen die Ohren an. Verhaltensexperten wie Andrea Kutsch gehen sogar so weit, dass schon kleinste Veränderungen an Nüstern, Augen oder Ohren klare Schlüsse auf das Wohlbefinden des Pferdes zulassen. Es liegt an uns, diese wahrzunehmen und zu analysieren, wo das Problem besteht – und daraufhin nicht die Symptome zu lindern, sondern die Ursache zu beheben.

Als Beispiel: Wenn ein Reiter die Trabbewegung seines Pferdes nicht sitzen kann, weil es noch nicht reell im Rücken schwingt, ist die Lösung nicht, das Tempo so zu reduzieren, dass die Hinterhand nicht mehr unter den Schwerpunkt fußen kann. Dann kann der Reiter zwar sitzen, der Rücken des Pferdes bleibt aber steif und verspannt. Vielmehr sollte er an der Losgelassenheit des Pferdes arbeiten.

Bei der vertikalen Reitweise steht laut Aussagen der Oliveira Stables „die optimale Gymnastizierung mit dem Ziel von Mobilität, Flexibilität und als Endergebnis Balance“ im Vordergrund. Doch dieses Ergebnis und auch den nachvollziehbaren Weg dorthin konnten wir vor Ort nicht erkennen.

Dass die klassische Reitlehre oftmals falsch umgesetzt wird, ist ein vielfach thematisiertes Problem. Doch ihr Grundsatz bietet dem Reiter eigentlich alles, was er für ein zufriedenes Pferd unter dem Sattel benötigt. Die Punkte der Skala der Ausbildung „Takt, Losgelassenheit, Anlehnung, Schwung, Geraderichtung und Versammlung“ greifen wie Zahnräder ineinander. Wer sich immer wieder auf sie besinnt, benötigt keinen anderen Weg.