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Die Kolumne über Reiter als Mitbewohner

WG-Casting: Ein Reiter? Ja, nein, vielleicht!

Die Vorstellung von einem Reiter als Mitbewohner ist romantisch: Mal mit zum Pferd fahren und streicheln – super! Dass Reiter nie Zuhause sind, kann man noch so oder so sehen. Dass sie aber kaum Zeit zum Putzen der Küche haben, ist Fakt. Schließlich muss zuerst die Box sauber sein. Und manchmal hängt auch noch etwas Stroh an den Socken.

Die Vorstellung vieler Nicht-Reiter ist romantisch, was das Reiten angeht, aber auch bezüglich der Zeiteinteilung von Reitern.

Münster – Sie denken ein Vorstellungsgespräch bei einem potenziellen Arbeitgeber sei nervenaufreibend? Dann waren Sie noch nie bei einem WG-Casting! Das spielt sich meist in einer rumpeligen, bis oben hin vollgestellten WG-Küche ab. Auf der einen Seite des Tisches sitzt die bereits bestehende WG-Konstellation, auf der anderen Seite der Bewerber. Das Zeitfenster ist knapp. Maximal eine halbe Stunde bleibt, um die eigenen Mitbewohner-Qualitäten bestmöglich zu verkaufen. Kleiner Tipp am Rande: Wer ein eigenes Auto hat, steigt in der WG-Gunst. Wer Trompete oder Schlagzeug spielt nicht unbedingt.

Eigentlich müsste das auch für Reiter gelten. Nur wissen viele WGs auf Mitbewohnersuche das nicht. „Das Pferd zieht ja nicht mit ein“, geben sie sich verständnisvoll, wenn der Reiter sein Hobby offenbart. Doch dann kommt der Tag, an dem sie sich einen Reiter ins Haus holen und dieser dann jegliche WG-Gesetze auf den Kopf stellt. So herrscht in WG-Kühlschränken generell das Recht des Stärkeren. Besonders kritisch ist die Situation im Eisfach. Im Supermarkt heißt es pokern. Denn beim Kauf der Tiefkühlpizza ist noch nicht klar, ob sie auch ins Eisfach passt. Der reitende WG-Bewohner macht’s nicht besser. Schließlich wollen die Gel-Einlagen der Kühlgamaschen immer auf ihren nächsten Einsatz vorbereitet sein.

Irgendwann wird auch der Tag kommen, an dem die nicht-reitenden Mitbewohner sich über verdächtige Haare an ihren frisch gewaschenen Socken wundern. Was sie nicht wissen: Der reitende Part der WG hat das letzte sturmfreie Wochenende für einen exzessiven Schabracken-Waschtag mit der WG-eigenen Waschmaschine genutzt. Das erinnert ein bisschen an Teenager-Tage, als man seiner Freundin aufgeregt mitteilte: „Meine Eltern sind Samstag nicht da, wir können bei mir Schabracken waschen!“

Doch sind die mit Pferdehaaren kontaminierten Socken Unbeteiligter erst der Anfang. Plötzlich finden sich an den unterschiedlichsten Orten kleine Mitbringsel aus dem Reitstall wieder. Ein bisschen Heu in der Küche, ein wenig Stroh im Bad und natürlich Unmengen Sand im Flur. Der Reiter kann die Beschwerden seiner Mitbewohner nicht verstehen. Schließlich hat er den Großteil davon bereits in seinem Auto gelassen.

Stallgeruch mit all seinen Nuancen

Spätestens im Winter wird der Stallgeruch in all seinen Nuancen in die WG einziehen. So eine Reitjacke wäscht man halt nicht jeden Tag. Und bei nasskaltem Wetter scheint der Pferdeduft aus unerklärlichen Gründen noch intensiver in die Klamotten zu ziehen. Da man aber irgendwo hin muss mit seiner Jacke, hängt sie wie die an-deren auch an der Garderobe im Wohnungsflur und gibt ihr „Eau de Cheval“ zuverlässig an ihre Umgebung ab. Gute Luft macht gute Laune! Dazu gesellt sich ein Hauch von Lederaroma. Die Reitstiefel sind schließlich viel zu wertvoll, um sie auch nur eine Minute unbeaufsichtigt im Hausflur stehen zu lassen.

Und hier noch ein kleiner Tipp für Reiter mit nicht-reitenden Mitbewohnern: Wer seinem Pferd abends noch die tägliche Mineralfutterration in eine Plastikdose füllt und auf die Küchentheke stellt, um diese direkt am nächsten Morgen beim Pferd vorbeizubringen, sollte besagte Dose unbedingt beschriften. Es soll tatsächlich schon vorgekommen sein, dass ein schlaftrunkener Mitbewohner das Zeug nichtsahnend als Müsli zum Frühstück gefuttert hat ... Aber bevor hier ein falsches Bild entsteht. Eigentlich sind Reiter ganz fabelhafte Mitbewohner: Denn meistens haben sie ein Auto.

Die Kolumne ist in der Dezemberausgabe 2018 der Reiter Revue erschienen.

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