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Die Kolumne über die Tante-Emma-Läden unter den Reitsportgeschäften

Wenn die Ladenglocke läutet ...

Alte Reitsportgeschäfte wecken Erinnerungen: an die eigenen Reitanfänge, die erste Reithose, das erste Schulpony. Auch wenn all das schon mehrere Jahrzehnte zurückliegt. Eine Reise in die Vergangenheit zwischen dunklen Gängen und Lederduft.

Die Tante-Emma-Läden unter den Reitsportgeschäften haben ihren eigenen Charme.

Wenn die Ladenglocke läutet, ist es, als wäre man in eine Zeitkapsel gestiegen. Ja, es gibt sie noch, die traditionellen Reitsportläden, die sich in Zeiten von Online-Shopping-Weeks und Megastores am Autohof über Wasser halten. Man muss sie mittlerweile suchen, aber versteckt in ländlichen Ortschaften oder manchmal sogar in der Stadt stößt man auf einen, der Kindheitserinnerungen weckt. Die Tür fällt ins Schloss und es erstrecken sich leicht abgedunkelte Gänge zwischen Regalen voller Stiefelkartons an deren Anfang ein Elefantenfuß – heute auch gerne Rollhocker genannt – sowohl als Sitzfläche für das Anziehen der Stiefel als auch als Treppchen zum Erreichen der oberen Regale dient. In einer Ecke hängen Sättel bis unter die Decke. Nicht immer nur die neuesten. Hier warten auch umgepolsterte Stücke auf ihre Besitzer, denn hinter der Verkaufsfläche führt eine Tür meistens in die Sattlerei. Bevor man sich zwischen die Regale drängt, nimmt man erst einmal einen tiefen Atemzug des unbeschreiblichen Duftes von neuem Leder, der den Raum erfüllt.

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Schon sprechen einen die nette Dame oder der nette Herr hinter dem Kassentresen an. Ich sei auf der Suche nach einer neuen Reithose, sage ich und schaue mich um. „Moment“, sagt mein Gegenüber, mustert mich prüfend, nickt ohne nach meiner Größe zu fragen und geht voraus durchs Regallabyrinth. Kurz werde ich nach der gewünschten Farbe, nach Voll- oder Kniebesatz und nach der Grip-Art gefragt, was mich doch vorübergehend aus meiner Reise in die Vergangenheit in die Gegenwart zurückholt. Denn die Antwort ist nicht so leicht wie damals. Als ich mit sieben Jahren meine erste Reithose bekam, gab es die Auswahl zwischen Beige, Grau und Schwarz und für Kinder nur Kniebesatz. Das ist nun gut und gerne 30 Jahre her. Die Farbauswahl ist ebenso üppig wie die glitzernden Applikationen. Aber der geschulte Blick des Verkäufers macht lange Erklärungen unnötig. Die Erfahrung sagt, zu welcher Kategorie Reiter ich gehören muss. Drei zur Auswahl, alle passen, nach kurzer Modeberatung ist die Hose in der Tüte. Dazu gibt es einen Beutel Leckerlis gratis. Die mit Karotten-Geschmack. So wie früher.

Ich genieße durchaus die Vorteile des Online-Shoppings und halte gelegentlich am Autohof auf dem Rückweg vom Büro, zum Beispiel um noch schnell einen Sattelgurt eine Nummer größer zu besorgen – ganztägiger Weidegang formt bei Pferden nun mal eine andere Art von Sommer-Figur. Dort vermisse ich weder die Ladenglocke noch den Ledergeruch. Aber das Halbdunkel der Regale, in denen sich hinter den Stiefeln massenweise Stalldecken stapeln und man mit etwas Glück noch auf die gesteppten Wolldecken der 80er Jahre stößt, weckt diese gewisse Sentimentalität, die einen gelegentlich überkommt, wenn man an seine Reitanfänge denkt. Meine erste Reithose war schwarz. Ich wollte eigentlich eine in beige, weil ich es mädchenhafter fand. Aber meine Mutter hatte schneller verstanden, dass Pferde Dreck bedeuteten. Heute stimme ich ihr voll zu und trage auch lieber die Farben, die Flecken länger kaschieren. Erstaunlich, woran man so denkt, hier vor den Regalen, zwischen denen der Ledergeruch besonders intensiv ist.

Dieser Text ist erstmals erschienen in Reiter Revue 11/2020.