Zum Inhalt springen

Drücken Sie Öffnen / Eingabe / Enter / Return um die Suche zu starten

Serie an schweren Kutschenunfällen

Ein ruhiger Ausflug sollte es werden, doch dann endet die Fahrt für Kutscher und Mitfahrer im Krankenhaus. In den vergangenen Wochen häufen sich Unfälle. Eine Tierrechtsorganisation fordert bereits ein Kutschenverbot. Wie gefährlich ist das Fahren?

In den vergangenen Wochen kam es immer wieder zu teils schweren Kutschunfällen. Die abgebildeten Pferde stehen in keinem Zusammenhang dazu.

Münster - Sieben verletzte Menschen und ein totes Pferd nach einem Kutschenunfall im sächsischen Mülsen, ein toter Kutscher nach einem Unfall in Berlin, 13 Verletzte bei einer Planwagenfahrt im Landkreis Harburg, einen Tag später verletzten sich 18 Personen in Schneverdingen als eine Kutsche umfiel. In den ersten beiden Augustwochen häufen sich die Kutschenunfälle in Deutschland. Es ist Fahrsaison, keine Frage. Aber wie lässt sich erklären, dass aktuell so viele Menschen bei Ausfahrten zu Schaden kommen? Ist der Fahrsport zu gefährlich?

Der ehemalige Disziplintrainer der deutschen Pony-Zwei- und Vierspänner, Peter Tischer, verneint dies klar. „Meines Erachtens passieren die meisten dieser Unfälle, weil Fahrer oder Pferde keine Grund­ausbildung genossen haben oder wenn sich ein ge­wisser Schlendrian eingeschlichen hat.“ In vielen Fällen sind es tatsächlich Hobbyfahrer, deren Pferde sich erschrecken und durchgehen. Im Vergleich zum Reitsport wird auf der Kutsche nämlich oft eines ver­gessen: „Während ein Reitpferd, das durchgeht, meistens nach einigen Metern stehen bleibt, hat ein Kutschpferd die treibende Hilfe immer hinter sich“, fasst Peter Tischer zusammen. Ein Pferd vor der Kut­sche wird von einer unkontrollierten Kutsche also zusätzlich getrieben. „Es rennt dann solange bis es knallt“, so Tischer. Bei den eingangs beschriebenen Unfällen saßen laut Medienberichten aber erfahrene Fahrer auf dem Kutschbock. Ein unglücklicher Zufall?

Für die Tierrechtsorganisation PETA sind die Ereignisse der vergangenen Wochen Anlass genug, um ein Kutschenverbot im Landkreis Zwickau von Landrat Dr. Christoph Scheurer zu fordern. „Die Risiken bei Kutschfahrten sind unkontrollierbar. Pferde sind Fluchttiere und können selbst bei geringen Störungen leicht in Panik geraten“, so Jana Hoger, Fachreferentin bei PETA. „Die einzige Lösung zum Schutz von Mensch und Tier ist ein Verbot von Pferdekutschen.“ Ein radikaler Weg. Peter Tischer mahnt vielmehr zur erhöhten Wachsamkeit auf dem Kutschbock.

Stets wachsam sein

Die Aufmerksamkeit die ganze Zeit bei den Pferden und der äußeren Umgebung zu haben, ist das A und O. Verheerend kann schon der nachlässige Start zu einem Ausflug werden. Die Fahrgäste haben es sich auf der Kutsche gemütlich gemacht, der Kutscher steht neben ihnen und hält die Leinen seiner Pferde locker in der Hand. Die erschrecken sich plötzlich und stürmen los. Für den Kutscher vom Boden aus nicht mehr kontrollierbar.

„Ein Kutscher hat die Kutsche nicht zu verlassen, solange die Pferde angespannt sind“, macht Peter Tischer deutlich. Beim An- und Abspannen ist es wi­ederum äußerst gefährlich, wenn Personen bereits oder noch auf dem Wagen sitzen. Fahrlässig ist es auch, bei einer Ausfahrt keine Begleitperson mit auf dem Wagen zu haben. „Diese muss aber auch tat­sächlich auf dem gleichen Wissensstand des Fahrers sein und nicht nur neben ihm auf der Kutsche sit­zen“, mahnt der Fahrsport-Profi. „Denn im Ernstfall muss sie einschreiten können.“

Entscheidend für die Sicherheit ist auch, dass das Equipment und die Bremsen vor jeder Fahrt überprüft werden: Ist alles funktionstüchtig? Sitzt alles korrekt? Zeigt das Material keine Verschleißspuren? Bei dem Unfall mit 13 Verletzten in der Nähe Egestorf soll beispielsweise ein gerissenes Bremsseil am Unfall Schuld sein.


Fünf Regeln für sichereres Fahren

1. Kutscher auf dem Bock!

Kutschen-Gäste aufgepasst: Der Kutscher sitzt als Erster auf dem Bock und verlässt diesen bis zum Abspannen nicht! Viele Unfälle passieren, wenn die Kutsche führungslos ist und die Mitfahrer sich selbst überlassen sind.

2. Nicht ohne Beifahrer!

Es gehört immer ein Beifahrer auf die Kutsche, der sich ebenso mit der Materie auskennt wie der Kutscher und diesem im Notfall zu Hilfe kommen kann.

3. Regelmäßige Bremsen­kontrolle!

Wenn die Bremsen versagen, rollt der Wagen den Pferden buchstäblich in die Hacken. Kein Wunder, wenn sie die Flucht ergreifen.

4. Passende Ausrüstung!

Zu lange Stränge, schlecht sit­zende Kopfstücke – wenn die Ausrüstung nur halbherzig an­gepasst wird, sind Unfälle vor­programmiert.

5. Vorausschauend fahren!

Am langen Zügel dahinrollen, macht solange Spaß, bis die Pferde sich erschrecken. Eine dauerhafte Verbindung zu den Pferdemäulern ist ebenso wich­tig, wie die Umgebung im Blick zu behalten! Denn nur so er­kennt der Fahrer Gefahrenstel­len und kann entsprechend vor­ausschauend reagieren.


Promille-Grenze für Kutscher

Bei all diesen Vorkommnissen stellt sich die Frage, wer im Falle eines Unfalls eigentlich haftet? „Das ist immer eine Frage des Einzelfalles und kann nicht pauschal beantwortet werden“, sagt Rechtsanwältin Anna Vorspohl. Handelt es sich bei dem Kutschfah­rer um den Halter der angespannten Pferde und be­ruht der eingetretene Schaden auf der Tiergefahr, die von den Pferden ausgeht, so ist er als Tierhalter zum Schadensersatz verpflichtet, ohne dass es auf ein Verschulden des Kutschers ankäme. Eine Schadens­ersatzpflicht des Kutschers könnte außerdem eintre­ten, wenn er fahrlässig oder vorsätzlich einen Fahrfehler begangen hat, der zu dem Schaden ge­führt hat. „So kann das Verlassen des Kutschbocks ohne ausreichende Sicherheitsvorkehrungen sicher­lich als ein solcher Fahrfehler bewertet werden“, sagt Vorspohl.

Wenn der Kutscher alkoholisiert ist, kann dies sogar als Straftat oder Ordnungswidrigkeit ausgelegt werden. Das Oberlandesgericht Oldenburg hat 2014 die Grenze für eine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit des Kutschers auf 1,1 Promille festgesetzt und dies damit begründet, dass die vom Kutscher zu leistende Aufmerksamkeit im Straßen­verkehr durchaus mit der eines Autofahrers zu ver­gleichen sei. Damit konnten die hierfür geltenden Promillegrenzwerte herangezogen werden. „Fährt der Kutscher unter Alkoholeinfluss, so kommt die Verwirklichung einer Ordnungswidrigkeit oder gar einer Straftat in Betracht“, erklärt Anna Vorspohl. „Aus zivilrechtlicher Sicht stellt eine Kutschfahrt unter Alkoholeinfluss sicherlich einen Fahrfehler dar. Dieser Fahrfehler muss aber ursächlich für den eingetretenen Schaden gewesen sein.“

Schneller denken als das Pferd

Da Trunkenheit strafrechtlich geahndet wird, ist ein solches Vergehen von keiner Versicherung abge­deckt. Generell kann der Kutscher das Risiko von Schäden an Dritten an eine Kutschenhaftpflichtver­sicherung abgeben. Wie Anja Tylkowski von der Agentur pferd-versichert.de allerdings zu bedenken gibt, sei diese für einen privaten Fahrsportler unnö­tig, solange er als Pferdehalter eine Pferdehaftpflicht inklusive des privaten Kutschrisikos abgeschlossen habe. „Wichtig ist die Kutschenhaftpflicht vorrangig für Fahrer, die gewerbliche Kutschentouren anbie­ten.“ Sowohl für die private Pferdehaftpflicht als auch für die gewerbliche Kutschenhaftpflicht gilt, dass Schäden an Dritten, zum Beispiel durch das Fal­len eines Fahrgastes von der Kutsche oder auch durch eine über den Fuß gefahrene Kutsche, sowie durchgegangene Pferde übernommen werden. „Selbst grobe Fahrlässigkeit, also auch Schäden auf­grund der Trunkenheit des Kutschers, ist mitversi­chert“, sagt Tylkowski. Lediglich vorsätzliches Han­deln wird von der Versicherung ausgeschlossen.

Damit es gar nicht erst zu einem Unfall kommt, sollte jeder Fahrer einige Punkte berücksichtigen: „Wichtig um das Unfallrisiko zu minimieren, ist, dass der Fahrer bei der Sache ist und Situationen vor­ausschauend beurteilt: Der Reiter fühlt, der Fahrer sieht“, gibt Peter Tischer zu bedenken. „Viele Dinge, beispielsweise eine für die Pferde bedrohliche Kuh-Herde, muss man schon im Vorfeld erkennen, um nicht von der Reaktion der Pferde überrascht zu wer­den. Dann muss der Fahrer konsequent entscheiden, ob er halten, umdrehen und wegfahren will oder dran vorbei. Und dementsprechend muss auch das konsequente Signal an die Pferde gegeben werden. Oft neigen Hobbyfahrer dazu, zu vorsichtig zu agie­ren und den Pferden zu wenig Sicherheit zu vermit­teln.“

Eine passende und auf ihre Funktionsfähigkeit ge­prüfte Ausrüstung ist ebenso Pflicht. „Wenn die Deichsel beispielsweise zu kurz ist und die Stränge zu lang sind, ist ein Unfall vorprogrammiert“, mahnt Tischer. „Genickstücke müssen fest sitzen, auch wenn sich Pferde aufgrund von Schweiß oder Flie­gen schubbern. Denn wenn sich das Pferd sein Ge­nickstück erst einmal über die Ohren gezogen hat, ist es zu spät.“ Grundausgebildete Fahrpferde, die an der Straße geduldig stehen bleiben, sind Vorausset­zung für unfallfreie Kutsch-Touren.