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Aktuelle Meldungen

Reaktionen auf den offenen Brief einer Tierärztin zu den Bundeschampionaten 2015

Dr. Kirsten Tönnies schildert darin ihre kritischen Beobachtungen. Sie war Mitglied der Jury, die Reiter für den Tierschutzpreis des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) vorschlug. Reiter Revue International hat Dr. Andreas Franzky, ebenfalls Jurymitglied, nach seiner Einschätzung gefragt.

Warendorf – In ihrem Brief berichtet Dr. Kirsten Tönnies von zu eng verschnallten Reithalftern, die bereits Schwellungen an den Köpfen der Pferde verursacht haben sollen, abenteuerlichen Gebisskonstruktionen in den Pferdemäulern sowie extrem eingerollten Pferden während des Abreitens. Weiter sagt Dr. Tönnies, dass keiner der dafür zuständigen Personen sich darum gekümmert habe, diese Missstände zu beseitigen.

Besonders Springreiterin Eva Bitter wurde von ihr als schlechtes Beispiel genannt, da sie bei ihrem Pferd einen Zungenstrecker benutzt und es außerdem sehr eng geritten haben soll. Die Tierärztin stand als Mitglied der Jury des BMEL Tierschutzpreises, der besonders pferdegerechtes Reiten und Handeln belohnen soll, am Abreiteplatz der Dressurponys und -pferde.
 
Auch Amtstierarzt Dr. Andreas Franzky, erster stellvertretender Vorsitzender sowie Leiter des Arbeitskreises Pferd der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz e.V., war als Jurymitglied vor Ort. Er hat sich allerdings hauptsächlich am  Springabreiteplatz aufgehalten, weil er für die Nominierungen der Springreiter zuständig war.

Dr. Franzky sagt: "Wie auf jedem Turnier gibt es auch beim Bundeschampionat Kritikpunkte, wie z.B. schlechtes Reiten, nicht korrekt verschnallte Reithalfter oder unangemessene Ausrüstungsgegenstände zu sehen. Handelt es sich dabei um Verstöße gegen das Tierschutzgesetz, müssen sie beim zuständigen Veterinäramt angezeigt werden. Sind Verstöße gegen die LPO festzustellen, muss das kritisch mit der FN diskutiert werden. Die Auslobung eines  'Tierschutzpreises' ist eine gute und zielführende Sache, wenn es gelingt die kritischen Feststellungen der Jury-Mitglieder aufzuarbeiten und in einem kontinuierlichen Verbesserungsprozess weiter zu entwickeln. Dazu ist es aber notwendig, alle Beteiligten, wie Reiter, Richter, Stewards, Tierärzte und Offizielle 'mitzunehmen' und keine unüberwindbaren Fronten aufzubauen. Der jetzt veröffentlichte Brief dient meines Erachtens nur einer persönlichen Selbstdarstellung und ist für die Sache nicht hilfreich. Schade, wenn dadurch vielleicht eine grundlegende Chance, etwas beim Tierschutz im Pferdesport wirklich zu verbessern, leichtfertig vertan wird."   
 
Springreiterin Eva Bitter, die in dem Brief direkt kritisiert wird, äußerte sich gegenüber Reiter Revue International: „Als ich mit meinem Pferd auf dem Abreiteplatz war, wurde ich von der Tierärztin Dr. Elke Zimmermann gebeten, mein Reithalfter nach meinem Ritt kontrollieren zu lassen. Bereitwillig habe ich mein Pferd bei Frau Dr. Kirsten Tönnies vorgestellt. Sie überprüfte die Einstellung des Reithalfters und entdeckte dabei den Zungenstrecker, bei dem es sich laut LPO um einen regelkonformen und erlaubten Ausrüstungsgegenstand handelt. Sie behauptete, so etwas noch nie gesehen zu haben. Ich habe den Zungenstrecker benutzt, um mein Pferd im Maul etwas zu beruhigen. Auch handelte es sich dabei nicht, wie von Frau Tönnies beschrieben, um einen dünnen Draht, sondern um ein handelsübliches Modell. Ich habe daran auch nichts mit Klebeband umwickelt, wie Frau Tönnies es beschreibt.“ Zum Vorwurf des Abreitens in Rollkur sagt Eva Bitter: „Dieses Pferd ist sehr leicht im Genick und kommt schnell hinter die Senkrechte.“ Dies sei aber keine von ihr provozierte Halseinstellung gewesen, so Bitter. „Ich will nicht behaupten, dass ich immer alles richtig mache, aber ich gebe mir die größte Mühe, meine Pferde immer fair zu behandeln.“
 
Die Deutsche Reiterliche Vereinigung plant, ebenfalls eine Stellungnahme zu den Vorwürfen zu veröffentlichen. -schn/kia-
 
Hier lesen Sie den Brief im Wortlaut:

Sehr geehrte Damen und Herren der Reiterlichen Vereinigung,

vom 04.09. abends bis 06.09.2015 nahm ich im Rahmen der Verleihung des BMEL Tierschutzpreises als Jurymitglied an Ihrer sehr schönen Veranstaltung teil. Für die hervorragende Unterbringung und die Bewirtung möchte ich Ihnen an dieser Stelle meinen ausdrücklichen Dank aussprechen. 

Leider muss ich in diesem Brief aber Probleme ansprechen, die m. E. dringend einer Änderung bedürfen.

Erläuterung: ich war für die Dressurponys- und –pferde eingeteilt und fast den kompletten Samstag und Sonntag während der Prüfungen am Abreiteplatz zugegen.

Dabei musste ich feststellen, dass die für die Kontrollen der Pferde Zuständige zunächst nicht wissend und im Laufe der weiteren Veranstaltung nicht Willens war, den Sitz der Reithalfter korrekt zu überprüfen. Obwohl am Begrüßungsabend noch eindeutig kommuniziert wurde, WIE der korrekte Sitz des/der Nasenriemen zu erfolgen hat, weigerte sie sich konsequent es nach diesen Vorgaben durchzuführen; auch nachdem wir ein Gespräch mit Demonstration dazu hatten.

Es gab sichtbar etliche Pferde und Ponys, die eine deutlich zu enge Verschnallung mit den Folgen von Schwellungen und Blutgefäßstau aufwiesen. Im Laufe der zwei Tage hatte ich mit dem uns zugeteilten Herrn Wassmann mehrfach Gespräche dazu, warum der korrekte Sitz der Reithalfter so wichtig ist. Weil, im Ggs. zum Gebiss, die Druckwirkung der Riemen ununterbrochen, unabhängig von einem gewünschten Verhalten des Pferdes, auf das Tier einwirken. Diese Wahrnehmung der Einwirkung ist, je nach Stärke des Anzugs der Riemen zwischen gar keiner über unangenehme Wahrnehmung, je nach weiteren, ablenkenden äußeren Einwirkungen, bis hin zu Schmerz anzusiedeln; ein Sachverhalt, der jedem Beteiligten auf dieser hochkarätigen Veranstaltung bekannt sein sollte.

Die FN betont in ihrem Reglement ausdrücklich:

„Unsere Richter und Ausbilder stellen sicher, dass auf Turnieren, aber auch in den Vereinen und Pferdebetrieben die Bedürfnisse der Pferde beachtet und eingehalten werden. Sollte dies im Einzelfall einmal nicht so sein, kümmern wir uns um eine pferdegerechte Lösung – zusammen mit allen Beteiligten.“

Dass sogar auf dieser Veranstaltung mit dem Anspruch des höchsten, fachlichen Niveaus, die sich noch dazu mit den JUNGEN Tieren beschäftigt, solche Fehlleistungen zum Nachteil der Pferde erbracht werden, ist erschreckend! Hier braucht es dringend Nachschulungen. Es erklärt natürlich gleichzeitig die diesbezüglichen schlechten Bilder, die landauf- landab auf Turnieren zu sehen sind.

Dass es ausdrücklich um Nachwuchspferde geht, macht die Angelegenheit besonders wichtig und rückt einen weiteren von mir beobachteten Sachverhalt in den Fokus. Am Samstagnachmittag war mir das während des gesamten Abreitens aufgerollte Pferd von Eva Bitter, das einen leidend-duldenden Eindruck machte, aufgefallen. Deshalb bat ich die anwesenden Platzrichter um die Möglichkeit einer Überprüfung des Reithalfters. Während der Mann überrascht aber hilfsbereit und freundlich reagierte, ist die Reaktion der anwesenden Tierärztin, nach meinen Informationen Frau Dr. Zimmer (?) vorsichtig als abweisend zu bezeichnen. Man erklärte mir, dass man Eva Bitter auf der Liste der für den BMEL Tierschutzpreis auszuzeichnenden Reiterinnen und Reiter führen würde, weil sie durch besonders überlegtes Vor- und nachbereiten einer Prüfung während der gesamten Woche aufgefallen wäre. Ich bekannte, dass ich nur dieses eine, dafür komplette und auffallend schlechte Abreiten beurteilen könne. Unwillig wurde von der Tierärztin die Reiterin Frau Bitter nach dem Ritt zur Überprüfung an das Zelt geholt. Dabei konnte ich feststellen, dass das Pferd einen Zungenstrecker der Art trug, der mit einem separaten Riemen hinter den Ohren fixiert wird. Die äußeren, schwarz umklebten Metallenden drückten gegen die Jochbeine, die Maulwinkel wurden zwischen dem 5 mm starkem Draht noch zusätzlich zum Gebiss ca. 2-3 cm hochgezogen und dabei gedrückt. Das erklärte auch die unwillige Maultätigkeit des Pferdes.

Hierzu 2 Bemerkungen:

– selbst wenn in S-Springen an Gebisskonstruktionen praktisch alles erlaubt ist, so sollten auch im Sinne einer Öffentlichkeitswirkung Überlegungen angestellt werden, ob auf einer Nachwuchssichtung junger Tiere, die zu den zukünftig Besten der Welt zählen sollen, solche, vermutlich als Tierschutz relevant einzustufenden  Ausrüstungsgegenstände, zugelassen werden müssen
– die anwesende Tierärztin verhielt sich weiterhin besonders unfreundlich und reagierte auf meinen Hinweis auf den falschen Druck durch die Metallenden nicht, sondern betonte im Ggt. danach noch einmal das in ihren Augen untadelige Verhalten der Reiterin.
Am Sonntag wurde ich zum wiederholten Mal von dem am Dressurplatz uns zugeteilten Herrn Wassmann scharf angegangen, nachdem ich die Preisträgerin für die Dressurponys ausgewählt hatte. Bei der Formulierung für die spätere Bekanntgabe drohte er mir, mich von der Veranstaltung entfernen zu lassen, wenn wir bei der Formulierung langer oder hingegebener Zügel nicht die Formulierung „langer Zügel“ benützen würden, weil „hingegebener Zügel“ die Veranstaltung lächerlich machen würde. Dabei äußerte Herr Wassmann u. a., dass beide Zügelmaße gleichermaßen auf das Maul einwirken würden; meine Erläuterungen, warum das physikalisch verkehrt sei, verbot er.

Diese Preisträgerin war von denen von mir Beobachteten die Einzige, die ihr Tier konsequent von der ersten bis zur letzten Minute vorbildlich behandelte. Bei dem Preisträger der Reitpferde am Samstag und am Sonntag setzte Herr Wassmann mehrfach seine favorisierten Kandidaten durch, u. a. mit der Bemerkung, dass der von mir favorisierte Kandidat am Samstag  „zu brav“ geritten sei.

Abschließend: die Idee der Vergabe eines Tierschutzpreises durch das Bundesministerium ist ein schöner, lobenswerter und dabei freiwilliger, möglicher Weg, Verbesserungen für Tiere in Menschenhand herbei zu führen. Nach Freiwilligkeit können Vorschriften kommen. Die FN wird über diesen Brief nicht erfreut sein: Sie sollte aber zur Kenntnis nehmen, dass ich nur der Überbringer der schlechten Nachrichten bin, nicht deren Auslöser. Nach einem blutenden Pferdemaul in Aachen mit z. T. peinlichen oder gar keinen Erklärungen, haben die Aufmerksamkeit und der Unwillen der Öffentlichkeit wieder sprunghaft zugenommen. Die Reiterliche Vereinigung hat sicherlich das Problem der internationalen Einbindung: trotzdem können wir als führende Nation im Reitsport tonangebend im Tierschutz sein; das muss verstärkt genutzt werden. Da vermutlich alle Beteiligten Pferde lieben, sollten sie diese Möglichkeit der Richtungsweisung nutzen und eine sofortige Änderung im Umgang mit Überprüfungen am Abreiteplatz angehen. Für weitere Rückfragen stehe ich selbstverständlich gerne zur Verfügung,

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Kirsten Tönnies