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Deutschlands beste Reitvereine

Moglis Erbe

Mit dem Dschungelbuch fing alles an. Da schrieb ein kleiner Reitverein Geschichte und machte ein beschauliches Dorf zur Musical-Hochburg.

Auf dem Sprung für ihren Verein: Christian Rosenbohm, Simona Brune, Marina van Dongen, Antje Döhnert, Leara Martens.

Wir suchen Deutschlands beste Reitvereine.

Oppendorf in Westfalen, ein Reitvereinsgebäude am Ortsrand, leicht in die Jahre gekommen. Das Zuhause des Reit- und Fahrvereins Wehdem-Oppendorf. In der Reiterklause kommt langsam Leben in die Bude. Immer wieder schwingt die braune Holztür auf, nach wenigen Minuten sitzen rund 20 Vereinsmitglieder um einen großen Tisch, lachen, plaudern und erzählen uns von jener Idee, die ihren Reitverein zu etwas Besonderem macht. Weil seitdem der Zusammenhalt stärker denn je ist, zwischen Kleinen und Großen, Voltigierern und Reitern, erfahrenen Sportlern und Einsteigern, Aktiven und Eltern. So stark, dass sie es in manchen Situationen selbst kaum glauben können und einfach nur zutiefst gerührt sind. Die Idee entstand vor 13 Jahren. Eine der Verantwortlichen ist Antje Döhnert. „Wir wollten den Kindern in den Sommerferien mal etwas Anderes als Zelten oder Pizzaabend bieten“, erzählt sie. Es war ein Workshop, in dem die Kinder und Jugendlichen ein Musical auf die Beine stellten und am Ende der Woche aufführten.

Geht nicht, gibt‘s nicht

Das Dschungelbuch machte den Anfang. „Wir saßen damals zu sechst zusammen, entwickelten das Musical, 30 Kinder nahmen an dem Workshop teil. Die Kostüme nähten wir aus Stoffresten zusammen, die uns Stoffläden aus der Umgebung spendeten“, erinnert sich Antje Döhnert an die Aktion im Sommer 2007. Der Workshop sollte eine einmalige Sache sein. Eigentlich.

Im Reiterstübchen erzählen uns die Vereinsmitglieder ihre Musical-Geschichten.

Doch der Workshop und das Musical übertrafen alle Erwartungen und am Ende war klar: „Das wollen wir nochmal machen!“ Auf das Dschungelbuch folgten Aladdin, Peter Pan, Arielle, Pocahontas … Von Jahr zu Jahr wurde das Team professioneller und strukturierter in der Planung, das Projekt immer größer. Mittlerweile machen jedes Jahr um die 80 Kinder und Jugendliche mit. Anfragen kommen auch von außerhalb, aber es bleibt ein Workshop für Vereinsmitglieder. Wer Teil der Show ist, ist meist zwischen fünf und 18 Jahre alt, auch ein vierjähriger Zwerg spielte hier in der Reithalle schon mal die Rolle seines Lebens.

Bis die Bühne bebt

Die Erwachsenen sind im Hintergrund eingespannt. Wie die Männer, die jetzt am Ende des Tisches zusammensitzen. Alles Väter. Sie sind für den Bühnenbau zuständig. Während der Workshop-Woche wird für sie die Reithalle zur Spielwiese. Bohrmaschine, Stichsäge, schweres Gerät – da hüpft das Männerherz. „Meistens läuft das bei uns so“, plaudert Manuela Wittenbrink aus dem Nähkästchen: „Wir wünschen uns was und die Männer machen dicke Backen und sagen: ‚Nä. Funktioniert nicht‘. Und am Ende klappt es doch.“ Das liegt daran, dass die Männer nach den dicken Backen einen immensen Ehrgeiz entwickeln und überaus erfinderisch sind, mit wenig monetären Mitteln und aus herumliegenden Holzresten Bühnenbilder der Extraklasse bauen. „Die Pyramide war das abgefahrenste“, sind sich alle einig. „Die ging bis knapp unters Hallendach. Der Wahnsinn!“

Sobald die Idee für ein Musical steht, liest Antje Döhnert das Buch. Pro Musical plant sie mit dem Orga-Team 17 bis 18 Szenen. Alle Teilnehmer des Workshops werden in Teams eingeteilt. Antje Dönert zeigt auf eine weiße Mappe, die sie nun aufschlägt. Eine Tabelle mit vielen Namen und bunten Feldern. „Die farbliche Gruppierung ist für die kleinen Kinder, die ja noch nicht lesen können.“ Am Workshop-Montag kommen alle Teilnehmer zusammen und gucken gemeinsam den Film zum Musical, dann teilen sie sich in ihre Gruppen auf. Jedes Team hat einen Trainer und probt mit ihm die Show-Acts: Quadrillen, Handpuppenspiele, Tänze, Akrobatik auf dem Boden und dem Pferderücken. Im Hintergrund wird gehämmert, gesägt, gemalt, genäht und für etwa 100 Leute gekocht. Auf dem Parkplatz vor dem weißen Reitvereins-Gebäude steht das Verpflegungszelt, dort finden alle Platz, um sich zu stärken. Die Reiterklause wird zum Nähstübchen, die 20 mal 40 Meter-Reithalle zur Show-Halle. Fenster werden mit schwarzen Stoffen abgehängt, die Tribüne für 300 Zuschauer zusammengezimmert, die Tonanlage wird aufgebaut und Lichter angebracht. „Das macht Dieter. Der kommt, macht alles fertig und geht wieder. Den müssen wir gar nicht fragen, der weiß schon Bescheid.“ Am Dienstag kommt die Stoppuhr ins Spiel, alle Szenen werden zeitlich gemessen, damit Simona Brune die passende Musik schneiden kann. In der Gemeinde werden eigens gestaltete Plakate aufgehängt und Flyer verteilt.

Am Freitagnachmittag steigt das Lampenfieber, am Abend ist Premiere. Zwei weitere Vorstellungen folgen am Samstag. Dann nimmt die „Stimme“ des Musicals Norbert Schmelz auf seinem Stuhl Platz und erzählt in sonorem Tonfall die Musical-Geschichte. Erst am Samstagabend fällt die Anspannung der Woche ab. Alle sitzen glücklich zusammen, Essen die Reste, die die Pommes- und Bratwurstbude über hat, lassen erschöpft die Tage Revue passieren. Genießen das Gefühl, es gemeinsam gepackt zu haben, über sich hinausgewachsen zu sein. Und manchmal entsteht noch in diesen Stunden die Idee fürs nächste Musical. „Nachts um zwei“, sagt Manuela Wittenbrink mit einem Augenzwinkern. „2019 führen wir Mary Poppins auf.“ Premiere ist am 23. August.

Der Musical-Workshop ist zu einer Institution geworden. Vor allem im Reitverein selbst. Wenn die Erwachsenen zu Beginn des Jahres ihren Urlaub planen, lautet die erste Frage: „Wann ist der Workshop?“ Denn auf Mallorca möchte hier keiner sein, wenn in Oppendorf die Bühne bebt. Vielmehr wird genau dafür Urlaub eingereicht.

Reit- und Fahrverein Wehdem-Oppendorf · Gegründet: 1925 · Mitglieder: 350 · Stärke: Kinder- und Jugendabteilung · Besondere Idee: Musical-Workshop · www.reitundfahrverein-wehdemoppendorf.de