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Kommentar

Ignorieren ist die schlechteste Option

Bilder von zusammengezogenen Dressurpferden erhitzen wieder einmal die Gemüter. Sie wurden aufgenommen auf dem Abreiteplatz in Aachen. Es wird Zeit, sich dem Dialog zu stellen.

Wie eng ist schlicht zu eng? Ein Thema, dass die Gemüter auch weiterhin erhitzt.

Aachen – Waren es Momentaufnahmen, die teils auf Disziplinierungsmaßnahmen zurückzuführen sind? Maßnahmen, die ein von der Atmosphäre aufgeheiztes Pferd zur Vernunft rufen? Oder war es Tierquälerei? Viel zu oft gehen die Meinungen darüber auseinander und teilen die Reitsportszene in zwei Lager, die sich gegenseitig beschuldigen. Mit pauschalen Urteilen von der einen Seite, dass Leistungssportler Erfolge über pferdegerechtes Reiten stellen, und ebenso von der anderen Seite, dass die Kritiker ausschließlich ahnungslose Pferdefreunde seien, die mehr führen als reiten. Doch genau dieses Schwarz-Weiß-Denken beider Seiten setzt schon innerhalb der Reitsportszene fatale Zeichen. Die Signale nach außen, die aggressive Tierschützer auf den Plan rufen, könnten dauerhaft dafür sorgen, dass wir uns immer mehr dafür entschuldigen müssen, überhaupt dem Reiten zugetan zu sein. Und das wäre der „Worst Case“ für alle, die wissen, wie besonders unser Sport ist, ihr Geld damit verdienen oder sich in ihrer Freizeit nichts Schöneres vorstellen können, als in den Sattel zu steigen.

Wo muss man also anfangen, um die Risse im Image des Reitsports langsam aber stetig zu kitten und jedem Zuschauer, der in Aachen oder auf einem anderen Turnier ist, das sichere Gefühl zu geben, dass das, was er sieht, mit dem Tierschutz zu vereinbaren ist?

Die Profis müssen sich ihrer Vorbildfunktion bewusst sein. Sie sind die Zielscheibe der Kritik und sollten ihr Handeln umso sensibler hinterfragen. Aber um das Verständnis für gutes Abreiten wirklich bei jedem, der noch ein anderes Empfinden für richtig und falsch hat, in die richtigen Bahnen zu lenken, braucht es ein eindeutiges Reglement, das den Stewards vorgibt, was akzeptabel ist und wo sie einzugreifen haben. Denn die Regeln, die der Weltreiterverband aufgestellt hat, hinken an gewissen Stellen einfach. Allein die Zehn-Minuten-Regel ist ein fauler Kompromiss verschiedener Parteien, die unterschiedlicher Ansicht über das extrem enge Einstellen des Halses sind. Eigentlich lässt die Skala der Ausbildung in ihrem Aufbau gar nicht zu, dass ein auf die Brust gezogenes Pferd als korrekt geritten bezeichnet werden kann. Doch solange diese Regeln genau dies über einen gewissen Zeitraum – natürlich in Kombination mit einem ansonsten zufrieden wirkenden Pferd – akzeptieren, wird die klassische Reitlehre unnötig gedehnt. Die Frage, ob es pferderecht ist, kann man nämlich eigentlich klar mit „Nein“ beantworten.

Auch im Fall der aktuellen Facebook-Diskussion bezieht sich die Kritikerin auf große Ausbilder wie Fritz Tempelmann oder Harry Boldt, die sie korrektes Reiten gelehrt haben. Wir haben Reitmeister Harry Boldt auf dem CHIO getroffen und ihn direkt gefragt: „War früher wirklich alles besser?“ Seine Antwort: „Ja! Die Richter haben mehr darauf geachtet, dass die Nase vor der Senkrechten ist. Das ist vielen heute egal.“ Auch da müssen sich die Aktiven in den Richterhäuschen einmal mehr hinterfragen. Sie haben die Möglichkeit, mit ihren Noten Veränderungen in der Wahrnehmung mancher Reiter hervorzurufen und sind da schon auf einem guten Weg. Denn Boldts Aussage bezieht sich sicher nicht auf Reiter, die stetig daran arbeiten, dass sie ihr Pferd reell vor sich haben, es den Rücken aufwölbt und zufrieden an die Hand herantritt, auch wenn es laut Winkelmesser die Stirn-Nasenlinie nicht perfekt vor der Senkrechten hat. Hier geht es um die, die noch immer davon überzeugt sind, dass ein Pferd dauerhaft deutlich zu eng sein darf, der Rücken durchhängt und das Hinterbein nicht unter den Schwerpunkt tritt.

Natürlich müssen auch die Medien ihren Teil dazu beitragen, objektiv aufzuklären. Um Transparenz zu schaffen, die pauschalen Anschuldigungen den Wind aus den Segeln nehmen kann und hilft, tatsächliche Missstände richtig einzuordnen.

Es wird Zeit, dass wir uns alle dem Dialog stellen, Kritikern Aufmerksamkeit schenken und sie nicht als unwissend abtun. Denn es ist schade für unseren tollen Sport, wenn die vielen schönen Bilder, die es in Aachen zu sehen gab, in der Außenwirkung einer nie reell geführten Diskussion zum Opfer fallen.

Sarah Schnieder
Stellvertretende Chefredakteurin