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Die Kolumne über die Rückkehr in die Reitstunde

Gnadenlose Realitätskonfrontation

Manchmal macht man eben ein paar Jahre Reitstundenpause. Na und, denkt man sich. Man ist ja erfahren. Aber wer meint, er könne reiten, wird auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt, wenn er seine Fähigkeiten mit einem Reitlehrer wieder etwas aufpolieren will.

Schick bandagiert, bereit für die Dressurstunde.

Mit grenzenloser Motivation und Vorfreude habe ich mein Pony gesattelt. Einen Tag vorher habe ich sogar den Schweif gewaschen und ihn mit Glanzspray in einen fluffigen Traum in schwarzbraun verwandelt. Sogar die Mähne habe ich auf eine dressurmäßig akzeptable Länge gekürzt. „Wenn man nichts kann, muss man wenigstens gut aussehen“, hatte ich noch gewitzelt. Nicht wissend, dass der Plan gar nicht so abwegig war.

Sattel, Trense und Stiefel glänzten. Alle, die mich auf der Stallgasse waschen, polieren und putzen sahen, fragten ungläubig: „Hast du morgen ein Turnier?“ Nein, ich habe morgen meine erste Dressurstunde! Dazu muss man wissen: Die letzte ist gut zweieinhalb Jahre her ... Dass meine Abstinenz sich in irgendeiner Weise negativ auf meine reiterlichen Fähigkeiten hätte auswirken können, daran dachte ich nicht im Traum. Kaum zu glauben, was in zweieinhalb Jahren so alles passieren kann. Am Tag vor meiner ersten Dressurstunde bin ich glücklich vom Pferd gestiegen. Fest davon überzeugt, dass die Trainingseinheit fantastisch war. „Gut gemacht“, habe ich zu meinem Pony gesagt, als ich ihm den Hals kraulte. Könnte es sprechen, hätte es vermutlich entgegnet: „Wenn du wüsstest ...“

Ja, hätte ich vorher gewusst, dass der Takt meines Ponys unter mir in etwa so gleichmäßig war wie das Morse-Alphabet, die Anlehnung so beständig wie die Ehen von Lothar Matthäus und ich mit meinem Sitz jedem Affen auf 'nem Schleifstein hätte Konkurrenz machen können, ja vielleicht wäre ich dann ein wenig bescheidener in meine erste Dressurstunde gegangen. Bin ich aber nicht. „Oberkörper zurück, Hände aufrecht, Zügel kürzer, Bein zurück, treiben“, waren die ersten Worte, die ich von meiner Reitlehrerin hörte, nachdem ich eine halbe Runde im Leichttraben zurückgelegt hatte. Waaas?! Die „My Little Pony“-Welt, in der mein Pony und ich bisher fröhlich über Regenbögen galoppierten, brach im Hinblick dieser Realitätskonfrontation vor meinem inneren Auge zusammen. Nicht dass jetzt jemand denkt, ich würde zu jener Spezies Reiter gehören, die einfach nur an gnadenloser Selbstüberschätzung leidet und sich jeden Tag aufs Neue wundert, warum einfach keiner ihr Talent entdeckt – außer sie selbst natürlich. Aber was sich bei mir anscheinend in den vergangenen Jahren so alles eingeschlichen hat, gab mir doch sehr zu denken.

So dachte ich beispielsweise bislang immer, an meiner Schenkellage gäbe es nicht viel auszusetzen. Nun ja, Spiegel lügen nicht und die Worte meiner Reitlehrerin hallten in mir nach. Ganz ehrlich: Ich hätte meinem Pony auch mit der Fußspitze in der Nase popeln können. Schock verdauen, Bein zurück. Den Oberkörper auch. In diesem Moment ahnte ich, was mich am nächsten Morgen erwarten würde. Schmerzvolles Erwachen, Muskeln spüren, von denen man vorher nicht einmal wusste, dass es sie gibt und ein Gangbild abgeben, mit dem man als Pferd durch keinen Vet-Check dieses Universums gekommen wäre. „Fit to compete“ sieht definitiv anders aus. „Aussitzen!“ Diese Aufforderung holte mich zurück in die Realität und konfrontierte mich gnadenlos mit selbiger. Die Liste der reiterlichen Baustellen nahm in meinem Kopf gigantische Ausmaße an. „Ich glaub‘, ich such’ mir ein neues Hobby ...“

Schweißgebadet und ernüchtert stieg ich nach der Dressurstunde vom Pferd. Tennis soll ja auch ein schöner Sport sein. Am nächsten Morgen spielte ich mit dem Gedanken, mich krankschreiben zu lassen. Ich hatte keinen Plan, wie ich aus dem Bett kommen sollte.

Gnadenlose Realitätskonfrontationen tun weh. Und damit meine ich nicht nur den Muskelkater am nächsten Tag. Doch sie lohnen sich. Denn nach jedem dieser Vollbäder in Selbstzweifeln ist man irgendwie auch ein besserer Reiter. Also – auf ein Neues!