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Die Kolumne über die Tücken des Ausreitens

Der Wald und seine Geister

Reiten im Gelände ist doch immer wieder ein Spaß. Wenn man die Gegebenheiten akzeptiert und keinen Zeitdruck hat, wie unsere Kolumne zeigt.

Symbolbild

Er hat etwas gesehen! Einen Vogel im Busch vielleicht, ein Eichhörnchen auf dem Baum oder den Spaziergänger, der gleich hinter der Kurve seine Schnürsenkel zubindet. Der muss keine Angst haben, dass ihn auf einmal ein großer, schwarzer Wallach überrennt, denn wir stecken fest. Vier Pferdebeine stehen wie Betonpfeiler auf dem Waldboden. Der Rest des Tieres gleicht einer Statue. Kopf erhoben, Ohren gespitzt, Nüstern gebläht. Es bewegt sich nichts unter mir. Nur der Herzschlag verrät, dass dieses Pferd lebt. Daran kann auch ein anfangs vorsichtiges, später heftigeres Schnalzen nichts ändern. Kein vermehrter Schenkeldruck, kein aufmunterndes Klopfen am Hals, nicht einmal der auffordernde Klaps mit der Gerte. Wenn’s mal wieder länger dauert ... so ein Snickers wäre jetzt nicht schlecht! Da können nämlich gut und gerne zehn Minuten ins Land gehen, bis die Luft nach Angaben der Schnupflöcher meines Wallachs wieder rein ist.

Manchmal hat man Glück und jemanden im Schlepptau. Zwar verfällt auch Pferd Nummer zwei gerne in die Erwartungs-Starre, doch ein Fortkommen innerhalb der nächsten zehn Minuten ist nicht ganz so aussichtslos. Das läuft dann ab wie bei diesen Plastik-Pferderennen in Jahrmarkt-Buden. Sie kennen die? Jeder Teilnehmer muss Bälle in einen Korb werfen. Ein Treffer, und sein Pferd darf einen Schritt vorziehen. Wie beim Würfelspiel. Im wahren Leben können Bälle in Körben nichts ausrichten. Da punktet nur die Überredungskunst – und der Zugzwang. Ein Pferd geht zwei Schritte vor, dann zieht das andere todesmutig ein Stück weiter. Immer eine Halslänge vor dem Kollegen. Es ist ein langsames, aber beständiges Fortbewegen. Es sei denn, der Spaziergänger hinter der Kurve kommt unerwartet auf einmal hervor. Dann wird auch schnell mal der Notschalter mit eingebautem Rodeosystem ausgelöst. Rückwärts klappt besser als vorwärts.

Bevor hier nun aber der Eindruck entsteht, ich hielte mein Pferd für einen Angst-Hypochonder, möchte ich etwas klarstellen: Wir sind im Wald schon so einigen beängstigenden Gestalten begegnet. Einer Ziege zum Beispiel, die allein auf Tour war und sich so einsam fühlte, dass sie sich uns kurzerhand anschloss. Je schneller wir wurden, desto schneller wurde auch die Ziege. Und als wir im Rekordtempo unseren Stall erreichten, stellte sie sich wie selbstverständlich mit auf die Weide. Wie ein Tourist, der sich bei Einheimischen gemütlich mit an den Mittagstisch setzt. Wenn er eingeladen ist, kann dies ja sehr nett sein. Doch die Ziege war nicht eingeladen.

Ein anderes Mal begegneten wir im Wald einem älteren Herrn, der meinen Rappen schon von Weitem in Augenschein nahm und mich dann allen Ernstes fragte, ob der sich schwarz geärgert habe.

Kürzlich gerieten wir in eine Waldrallye, bei der – wenn ich es richtig gedeutet habe – Läufer mitten im Unterholz verschiedene Markierungspunkte erreichen mussten. Mal kam jemand von rechts aus dem Gebüsch, mal von links, mal von vorne, mal von hinten. Die Variante „Salzsäule“ war an diesem Tag einmal keine Option. Stattdessen nahm unser Pirouetten-Training auf dem Teller gedrehte Züge an. Als es plötzlich raschelte und ich vergebens auf das Eichhörnchen zwischen den Tannenzweigen hoffte, sprangen zeitgleich vier Läufer aus allen Richtungen auf uns zu. Wir hatten den Markierungspunkt wohl unwissentlich als erste erreicht. Wenn Pferde blass werden könnten, ich wette, ich hätte plötzlich einen Schimmel gehabt. Wir haben die Flucht ergriffen – und uns später gemeinsam schwarz geärgert.