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Interview mit Dr. Monica Venner über Tierschutz im Galoppsport​

„Der Austausch mit allen Kritikern ist wichtig“​

Dr. Monica Venner ist Pferde-Fachtierärztin und unterstützt den Dachverband Deutscher Galopp in Tierschutzfragen. Sie hatte Respekt vor dieser Aufgabe und wurde teils überrascht. Ein Gespräch über einen Traditionssport, der sich dem Zeitgeist stellen muss, über Doping, Haltung und den frühen Start der Pferde in den Sport.​​

Symbolbild. Der Galopprennsport muss sich wie der gesamte Pferdesport mit Tierschutzfragen auseinandersetzen.

Frau Venner, seit August 2020 stehen Sie dem Dachverband Deutscher Galopp beratend in Tierschutzfragen zur Seite – eine Aufgabe, die es vorher nicht gab. Eine Herausforderung?

Das war völlig neues Land und sicherlich habe ich mich vor großen Herausforderungen gesehen, so dachte ich zumindest am Anfang. Aber mein ursprünglicher Gedanke war, einiges mit Deutscher Galopp im Sinne der Pferde zu verbessern. Erst eine To-Do-Liste und die erklärte starke Unterstützung durch den Vorstand von Deutscher Galopp, hat mich überzeugt, dass ich für die anstehenden Aufgaben unterstützend tätig werden kann.

Hatten Sie für sich gewisse Rahmenbedingungen festgelegt?

Für mich war klar, dass wir, Deutscher Galopp und ich den Weg nur zusammen gehen können. Gegen unüberwindbare Widerstände wäre es für mich unsinnig gewesen. Weil der Galopprennsport bereit war und ist, wirklich energisch bereit ist, Dinge zu ändern, sah ich, dass ich mich einbringen konnte.

Welche Herausforderungen haben Sie innerhalb der Galopperszene kommen sehen?

Es standen für die Trainer und die Besitzer zahlreiche Änderungen an, unter anderem das Einführen von umfangreichen tierärztlichen Untersuchungen der jungen Rennpferde vor Trainingsbeginn und vor dem ersten Start oder die Anpassung der Haltungsbedingungen, die als störend empfunden werden. Auch wenn wir vorher schon ein Rennpferd hatten, bin ich ja kein Insider und deshalb gewissermaßen artfremd in der „Szene“, konnte ich nicht einschätzen, wie energisch der Widerstand sein würde. Tatsächlich hätte ich mehr Widerstand erwartet, das war gar nicht der Fall und das war eine recht erfreuliche Situation.

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Und außerhalb der Szene?

Es war abzusehen, dass bei Ansprachen oder Anfeindungen zum Thema Tierschutz im Rennsport, ich um Stellungnahme von Deutscher Galopp gebeten werde. Hierbei sind einige Tierschutzorganisationen besonders sichtbar und laut. Der Austausch ist mit allen Kritikern sehr wichtig, um die Punkte von mehreren Seiten zu beleuchten und Verständnis aller Seiten für einander zu erreichen. In dieser spannungsvollen Situation habe ich bereits einige Erfahrung. In der Vergangenheit habe ich einige Studien zum Einsatz von Impfstoffen für Fohlen durchgeführt und dabei erlebt, wie einige Tierschutzorganisationen extrem stark die allgemeine Bevölkerung gegen eine Studie aufbringen können. Dabei ist klar geworden, dass die Diskussion bedauerlicherweise häufig nicht auf einer sachlichen Ebene geführt wird, sondern viel mehr auf Vorurteil-gestützten und falschen Gegebenheiten basiert. Deshalb habe ich erwartet, dass Organisationen wie beispielsweise PETA unangemessen auftreten könnten. Das hat sich auch bewahrheitet, weil PETA aktiv gegen den Rennsport ist. Aus meiner Sicht passiert dies aber teilweise auf einer sachlichen Ebene, was eine gute Grundlage, um sich über den Rennsport auszutauschen und evtl. Gegebenheiten anzupassen.

Was hat sich seither getan?

Ich habe Änderungen von Deutscher Galopp erlebt, die im Sinne der Rennpferde positiv sind.

Welche Änderungen meinen Sie?

Die Hauptaufgaben für Deutsche Galopp in puncto Tierschutz sind 2020 in Absprachen mit dem Bundesministerium für Ernährung Landwirtschaft (BMEL) vereinbart worden. Sie sind in den neuen Leitlinien über den Umgang mit dem Pferd im Sport fixiert, die im September 2020 veröffentlicht wurden. Beim Erstellen dieser Leitlinien hieß es zunächst, dass wie bei den Reitpferden, auch junge Rennpferde nicht vor dem Alter von 30 Monaten geritten werden dürfen. Da haben Deutscher Galopp e.V. und der Trabverband widersprochen. Daraufhin ist für die Galopp-Rennpferde eine Zeitklammer von fünf Jahren, praktisch eine zeitlich begrenzte Ausnahme vereinbart worden. In diesem Zeitraum von fünf Jahren soll eine Wissenschaftsgruppe ermitteln, ob die frühe Arbeit eine psychische und eine physische Überbelastung für die Pferde bedeutet. Hierzu wurde das Projekt „HorseWatch“ vom BMEL bewilligt und Deutscher Galopp sollte dies unterstützen. Mein Auftrag war, diese Studie als externe Expertin zu begleiten.

Welchen Aufgaben haben Sie sich noch angenommen?

Ein Punkt der auch in den Leitlinien steht: Dass junge Pferde, die vor dem Alter von 30 Monaten trainiert werden, also Vollblüter, eingehend tierärztlich vor Trainingsbeginn und vor dem ersten Start untersucht werden müssen. Und zwar auf psychische und physische Belastbarkeit. Dafür musste ein Untersuchungsbogen erstellt werden, den es vorher nicht gab. Ein riesiger Akt! Es gab schon immer eine physische Untersuchung vor dem ersten Start bei jungen Rennpferden, die sogenannte „Renntauglichkeit“ und es gab auch dafür eine Untersuchungsschablone, die als Grundlage für den neuen Untersuchungsbogen diente und erweitert wurde.

Gab es eine solche Vorlage auch für die psychische Belastbarkeit der Pferde?

Nein, hierfür gab es keine Vorlage und das war auch der schwierigere Teil der Aufgabe. Hierfür wurde einige Studien an jungen Rennpferden verwendet. Der neue Untersuchungsbogen für beide Untersuchungsschritte wurde dann mit der Veterinärkommission von Deutscher Galopp er-stellt. Seit September 2020 ist es amtlich: Jedes Pferd wird vor Trainingsbeginn und vor dem ersten Start aufwendig untersucht und die Tierärzte, die diese Untersuchung durchführen, müssen zuvor hierfür geschult werden.

Welche Tierärzte führen die Untersuchungen durch – müssen es Fachtierärzte für Pferde sein, oder steht mehr im Vordergrund, dass sie entsprechend auf diese Untersuchungen geschult sind?

Hier gab es durchaus ein bisschen Diskussion. Es wurde sich mit der Bundestierärztekammer auf das zweite geeinigt. Denn es gibt nicht genügend Fachtierärzte für Pferde in Deutschland, die mit Rennpferden vertraut sind. Man kann ein Rennpferd nicht mit einem Warmblutpferd, einem Isländer oder einem Trabrennpferd vergleichen.

Wie viele Tierärzte gibt es, die diese Untersuchungen an jungen Rennpferden durchführen?

Es sind nahezu 60 Tierärzte, die jedes Jahr an einer Fortbildung über Rennpferdemedizin teilnehmen müssen, auch über das Verhalten von Pferden. Dieses Thema ist immer dabei, damit wir Tierärzte auf dem aktuellsten Stand in der Thematik der Verhaltenskunde bleiben.

Sie stehen aber auch in enger Kommunikation mit Kritikern auf der einen Seite und den Trainern auf der anderen Seite – wie muss ich mir das genau vorstellen?

Das ist meine Aufgabe, Anfragen von außen zu beantworten. Ein Beispiel: Einem Zuschauer fällt ein Rennpferd mit einem extremen Senkrücken auf oder ein anderer kritisiert den Reitstil eines Jockeys und beide bewerten die Situation als tierschutzrelevant. Hier ist sachlich zu prüfen, ob die Gegebenheiten wirklich im Sinne des Tierschutzes bedenklich sind. In beiden Fällen schaue ich mir Filme der Rennen der entsprechenden Pferden an, spreche mit dem Trainer, mit dem betreuenden Tierarzt, mit dem Physiotherapeuten und sammele noch weitere Informationen über Pferde mit Senkrücken oder Reitweisen im In- und Ausland. Und dann gebe ich den Anfragenden eine sachlich basierte Antwort.

Die Haltung von Galopprennpferden wird nach wie vor stark kritisiert – stand sie auch auf Ihrem Aufgabenzettel?

Allerdings. Es ging darum, die Trainer darüber zu informieren, dass das es hierzu Angaben in den Leitlinien gibt und dass die Haltung von Rennpferden in einzelnen Fällen zu überdenken ist. Das war eine Aufgabe, die auch sehr zeitintensiv war, weil ich viele Trainer einzeln besucht habe und mir einen groben Überblick gemacht über die aktuelle Haltungsform. Ich kannte sie vorher nicht und habe jetzt ein besseres Bild.

Wie ist ihr Eindruck?

Das Thema Pferdehaltung ist noch nicht abgeschlossen. Wir sind noch nicht da, wo Deutscher Galopp gerne wäre. Aber ich merke, dass der Verband und viele Trainer die Haltung verbessern wollen und es auch tun. Dass Rennpferde 23 Stunden in der dunklen Box gehalten werden, habe ich so, mit seltenen Ausnahmen, nicht mehr festgestellt. Nichtsdestotrotz gibt es viele Punkte, die noch zu verbessern sind.

Was sind aus Ihrer Sicht die richtigen Haltungsbedingungen für ein Rennpferd?

Die Boxenhaltung ist bei Galopprennpferden schon richtig, aber unbedingt mit täglich mehrstündiger freier Bewegung. Die Boxenhaltung muss in großen Boxen mit großen Fenster, viel Luft und Sozialkontakt zu ihren Artgenossen stattfinden. Rennpferde müssen täglich auf den Auslauf oder die Koppel. Sie müssen zusammen mit einem Nachbarn stehen. Und da ist Deutschland im Vergleich zu Frankreich und England absoluter Vorreiter, was die Galopprennpferde betrifft.

Dennoch gibt es Trainer mit Stallungen, in denen zwar die Boxen groß und die Einstreu üppig ist und dennoch nur kleine Fenster in den alten Gebäuden eingebaut sind. Und bei über 80 Pferden im Betrieb stellt sich die Frage, ob der Auslauf wirklich gewährleistet wird.

Was Sie beschreiben ist sicherlich hier und da ein Problem. Nichtsdestotrotz verbessern sich jedes Jahr bei vielen Trainern die Haltungsbedingungen für die Rennpferde. Hannover ist ein Beispiel: Dort sind 2021 in zwei weiteren Stallungen große Fenster in die Boxen reingesetzt worden und es wurden Ausläufe gebaut, die die dortigen Trainer täglich nutzen. Aber es gibt auch Trainer, bei denen noch einiges zu verbessern ist.

Vor welchen Herausforderungen stehen Rennvereine, wenn es um das Thema Pferdehaltung geht?

Ein Thema ist der Denkmalschutz. In Dresden und in Hoppegarten etwa stehen einige Rennställe unter Denkmalschutz, weshalb der Einbau von Fenstern nach außen nicht ohne weiteres erlaubt ist. Hier gibt es unter Umständen entgegengesetzte amtliche Vorgaben, die es für einige Rennvereine oder Trainer, wenn er selber Besitzer ist, den Umbau erschweren.

Was die Ausläufe angeht, denkt jeder zunächst an Köln. Der Kölner Rennverein ist Pächter des Rennbahngeländes und die Stadt ist Besitzer. Auf dem Gelände sind relativ große Bereiche Naturschutzgebiet. Dort gab es auch Konflikte mit der Bevölkerung, weil viele Einwohner die Grünflächen um die Galopprennbahn auch zum täglichen Spaziergang mit dem Hund bisher genutzt haben. Andererseits birgt genau dies aber die Gefahr, dass die Spaziergänger zu nah an die Rennpferde rangehen, dass sich die Pferde erschrecken, wenn zum Beispiel Kinder herumspielen oder einen Ball im Auslauf verlieren sollten. Das sind Szenarien, die Trainer, Besitzer und der Rennverein verständlicherweise vermeiden wollen. Deshalb muss zunächst eine sichere Struktur geschaffen werden. In Köln gibt es konkrete Pläne, um die Ausläufe dort zu gestalten.

Ein Kritikpunkt, der Tierschutzorganisationen aufs Tableau ruft, sind Unfälle mit tödlichem Ausgang. Wie gucken Sie darauf?

Ich sehe das auch sehr kritisch, aber ich schaue auch sehr analytisch auf die Situation und ziehe Vergleiche. In meiner Funktion als FEI-Tierärztin und als praktizierende Pferdetierärztin ist mir ein Einblick in den Warmblutsport und zum Umgang und Haltung von Freizeit- und Turnierpferde gegeben und erlebe die Bandbreite der Risiken der Haltung und des sportlichen Einsatz von Reitpferden. Ja, es gibt schwere Verletzungen im Galopprennsport.

Man muss allerdings sagen, dass die Anzahl an Verletzungen in Flachrennen in Deutschland extrem gering ist. Nichtdestotrotz erschüttert jeder tödliche Fall Trainer, Besitzer, Team und Rennverein. Aber wir sprechen letztes Jahr von insgesamt sechs Rennpferde, die aufgrund einer schweren Verletzung auf dem Geläuf eingeschläfert werden mussten.

Was die deutschen Rennvereine sehr konkret machen und angepasst haben, ist beispielsweise die Qualität des Geläufes. Bad Harzburg etwa hat den Schlussbogen verbessert. Zuvor gab es erheblich mehr schwere Rennverletzungen. Die Qualität vom Geläuf ist auf den meisten Rennbahnen heutzutage oberste Priorität. Dies ist extrem wichtig, dennoch wird man nie verhindern können, dass nicht doch Wühlmäuse ein Loch im Boden gemacht haben, wo ein Pferd dann doch reintritt.

Das Geläuf ist nicht der einzige Treiber für tödlich Unfälle, Stürze und schwere Verletzungen. Was ist mit Doping, falschem Training, falscher Haltung?

Sie sprechen die Hauptfaktoren an. Ja, das Training ist sicherlich ein Kernfaktor. Ein Trainer, der seine Pferde zu schnell, zu früh trainiert, wird mehr Verletzungen und entsprechend Trainingsausfälle erleben. Die Trainer sind aber bedacht, die Pferde im Training zu behalten. Die Trainer und ihre Teams geben sich viel Mühe, frühe Warnsignale bei den Pferden zu erkennen.

Zwei Beispiele hierzu: Wenn ein Pferd vom Kopf oder von der körperlichen Leistung überfordert ist, sinkt sein Appetit. Frist ein Pferd weniger, so registrieren dies die Pfleger sofort und ein guter Trainer fährt sofort das Training über einige Tage herunter. Das zweite Beispiel ist das tägliche Abtasten der Vorderbeine. Sie werden beansprucht, aber durch Ertasten von Wärme wird relativ früh ein Hinweis auf Überbelastung registriert und es wird durch Trainingspause eine Verletzung vorgebeugt.

Und Doping?

In diesem Punkt ist Deutschland, so wie ich das erkenne, Vorreiter. Hier gilt die Null-Doping-Lösung. Das heißt, es darf am Renntag nichts im Blut oder Urin aufgefunden werden. Gar nichts. Kein GastroGard, kein Regumate, keine Augensalbe. Es gibt strenge und regelmäßige Kontrollen sowohl am Renntag als auch im Training. Ein engmaschiges Netz an Kontrollen stellt sicher, dass die Pferde sauber und gesund an den Start gehen. Diese Kontrollen umfassen nicht nur stichprobenartige Tests, sondern auch routinemäßige Untersuchungen durch Tierärzte und Dopingexperten. Am Renntag selbst werden Blut- und Urinproben entnommen, um sicherzustellen, dass kein Pferd mit verbotenen Substanzen antritt. Und dies gilt seit vielen Jahren. Das ist meiner Ansicht nach eine sehr effektive Maßnahme im Sinne des Tierschutzes.

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Dr. Venner.