„Nicht alle beschäftigen sich aus Leidenschaft mit Pferden!“
Dr. Andreas Franzky ist Tierarzt und Vorsitzender der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz. Im Interview erklärt er, was Zivilcourage im Stall auszeichnet und wann Stallbetreiber oder Reitkollegen gefragt sind, einzugreifen.
Wann fängt beim Reiten tierquälerisches Handeln an?
Dr. Andreas Franzky: Das ist natürlich nicht ganz einfach, da eine Grenze zu ziehen. Aber immer dann, wenn es sich um Tätigkeiten handelt, die längerfristig, wiederholt und vorsätzlich praktiziert werden, sollte man als Außenstehender einschreiten. Man muss unterscheiden, ob es eine Momentaufnahme ist, oder ob der Reiter oder Pferdehalter immer wieder die Geduld und Beherrschung verliert. Dann muss man auch unterscheiden können, ob grundsätzlich korrekt geritten wird, und lediglich ein unerwünschtes Verhalten korrigiert wird oder ob das Pferd zusammenhanglos drangsaliert wird. Aber die Grenzen, zwischen dem, was noch okay ist und was nicht mehr mit dem Tierschutz vereinbar ist, können fließend sein.
Wie kann ich denn als Außenstehender unterscheiden, ob es sich um eine angebrachte Strafe handelt oder um Tierquälerei?
Man muss immer davon ausgehen, dass ein Pferd durch positive Verstärkung ausgebildet wird, das Pferd also seinen Job gerne und zufrieden macht. Ist das Training durch Härte und Strafe geprägt, wird das nicht zum gewünschten Erfolg führen. Erziehung muss sicher sein und kann auch mal dazu führen, als Reiter durchgreifen zu müssen, aber diese Momente dürfen nicht die Grundeinstellung sein.
Ist das „Loch im Fell“ Grund genug, den Reiter in Frage zu stellen?
Das „Loch im Fell“ ist grundsätzlich schon ein Überschreiten der Grenze. Sporen sind Hilfsmittel, genauso wie die Gerte und Hilfszügel eben keine Strafinstrumente sind. Strafen zu exerzieren muss somit grundsätzlich hinterfragt werden. Und ganz wichtig, wenn es tatsächlich mal nötig sein sollte, dass ein Pferd gestraft wird, muss das so geschehen, dass es die Strafe auch versteht. Es hat zum Beispiel überhaupt keinen Sinn, nach einer schlechten Runde im Parcours oder im Viereck noch mal auf den Abreiteplatz zu gehen und dort das Pferd zu strafen. Das kann das Pferd dann nicht mit einigen Minuten zurückliegenden Ereignissen in Zusammenhang bringen.
Wie sollte man sich verhalten, wenn man mitbekommt, dass ein Stallkollege sich wiederholt nicht im Griff hat?
Ich denke, es ist ganz wichtig, mit diesem Stallkollegen ins Gespräch zu kommen. Idealerweise möchte man es ja schaffen, nicht nur die kurzfristigen Maßnahmen zu stoppen, sondern die Grundeinstellung eines aggressiven Reiters zu verändern. Meiner Meinung nach sollten auch schon einmalige Ausraster angesprochen werden, denn auch die sollten nicht passieren. Wiederholen sie sich jedoch, würde das sogar die Grundlage zur Anzeige liefern. Wichtig ist, dass man nicht den Eindruck entstehen lässt, dass man von Neid oder Missgunst getrieben wird, oder den Reiter zu persönlich angeht. Und es ist natürlich Voraussetzung, die Situationen gut zu beobachten und richtig einzuordnen. Ich halte es auch für richtig, sich mit den anderen Stallkollegen zu unterhalten, um seine eigene Einschätzung und Meinung zu formen. Aber ich denke, dass es für ein Konfliktmanagement von Vorteil sein kann, externe Experten hinzuzuziehen. Ein Außenstehender, der eine neutrale Meinung hat, kann durchaus hilfreich sein. Das kann zum Beispiel ein erfahrener Reiter, Ausbilder oder ein Tierarzt sein. Wichtig ist dabei eigene Emotionen und Befindlichkeiten nicht in den Vordergrund zu stellen, denn damit kann eine tierschutzrechtliche Relevanz nicht begründet werden.
Muss ich mich als Stallkollege oder -betreiber überhaupt einmischen?
Der Stallbetreiber trägt tatsächlich eine Mitverantwortung, denn als Halter des Pferdes kann er mit zur Rechenschaft gezogen werden.
Warum kommt es Ihrer Meinung nach dazu, dass sich Reiter im Training an Pferden vergreifen?
Leider ist es oft zu beobachten, dass reiterliches Unvermögen mit aggressivem, harten Reiten eng in Verbindung steht. Es gibt dazu viele Missverständnisse und viel Unwissen darüber, wie Pferde wirklich lernen und verstehen können. Daraus resultiert oft ein falscher Umgang. Wenn Pferde nicht gehorchen, geschieht das in der Regel ja nicht aus Boshaftigkeit oder Vorsatz, sie verstehen einfach nicht, was der Reiter von ihnen will oder sie sind mit der Situation überfordert. Ganz oft ist es sogar so, dass Pferde aus Angst Fehler machen und dem dann noch mit Strafe zu begegnen, ist natürlich völlig kontraproduktiv.
Ist es nicht paradox, Pferde zu lieben und sie dann zu quälen?
Nicht alle beschäftigen sich aus Leidenschaft mit dem Pferd. Es gibt nun mal viele, für die die Existenz davon abhängt und so entsteht schnell Druck. Diese wirtschaftlichen Zwänge verkennen oft die individuelle Eignung. Ich sage mal so: Es gibt viele Menschen, die gut Klavier spielen können, aber eben nur wenige erfolgreiche Pianisten. Das gilt es auch beim Pferd zu erkennen und zu respektieren.
Das Interview wurde erstmals in der Juli-Ausgabe 2014 der Reiter Revue International veröffentlicht.
Gefahren erkennen, Unfallrisiken minimieren Einer von fünf Reitern verletzt sich in seiner Reitkarriere schwer. So hieß es vor einigen Jahren in einer Studie. Übertrieben oder Tatsache? Eines zeigt sich immer wieder: Viele Unfälle, an denen Pferde beteiligt sind, lassen sich verhindern.Wie gefährlich ist der Reitsport?