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Gut im Futter statt gut eingedeckt

Heu bis zum Abwinken, kaum Decken und viel Bewegung. Diese Stichworte umreißen das Haltungskonzept von Uta Gräf und Stefan Schneider. Warum sie darauf schwören und was sie vom Scheren halten, erklären die Dressurreiterin und der Working Equitation-Experte im exklusiven Interview.

Uta Gräf beim Reiter Revue-Seminar. Die Dressurreiterin betreibt mit ihrem Mann Stefan Schneider einen Ausbildungsstall für Pferde, das Gut Rothenkircherhof.

Wie halten Sie Ihre Pferde?

Stefan Schneider: Bei uns entscheiden das die Besitzer. Wir haben große Einzelboxen mit Paddock. Dort stehen in der Regel die Hengste oder auch bei Stuten kann es sinnvoll sein. In unserer Gruppenhaltung können rund 30 Wallache stehen. Sie haben einen großen, befestigten Winterauslauf, der ganzjährig nutzbar ist. Außerdem können unsere Pferde ganztägig Heu fressen. Es steht ihnen in großen Raufen zur freien Verfügung. Sie können draußen toben, fressen und sich auslassen. Das genießen sie. Wir können den Besitzern diese Haltung aber nur anbieten. Die Entscheidung liegt letztendlich nicht bei uns.

Seit wann halten Sie Ihre Pferde so?

Stefan Schneider: Seitdem ich Pferde habe. Ich bin Tierarzt und war mit meiner eigenen Praxis stets viel beschäftigt. Wenn ich reiten wollte, ging es meistens nicht. Ich habe das Pferd eine halbe Stunde geputzt, dann kam der Notfall und ich musste weg. Dann hatte ich ein schlechtes Gewissen, weil das Pferd zu wenig Bewegung hatte. Meine Pferde sollten daher immer möglichst viel Auslauf haben, selbst wenn ich keine Zeit hatte. Das war mir schon immer wichtig.

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Frau Gräf, welche positiven Effekte hat diese Haltung auf Ihre Pferde? Welche Unterschiede konnten Sie schon feststellen?

Uta Gräf: Ich habe mein Pferd früher im normalen Reitverein gehabt. Im Sommer kam es ein bis zwei Stunden raus und im Winter auch schon einmal gar nicht. So habe ich es gekannt, ehe ich meinen Mann Stefan kennengelernt habe. Seitdem habe ich seine Haltung übernommen und es gibt ganz viele positive Effekte. Einer davon ist, dass die Pferde viel ausgeglichener sind. Wenn ich Lehrgänge gebe und aufgrund eines Geräusches plötzlich alle Pferde abgehen wie Raketen, dann erinnere ich mich erst wieder daran, dass das früher bei mir auch so war (lacht). Das habe ich schon fast vergessen, weil unsere auch im Winter andauernd draußen und dadurch so ausgeglichen sind.

Wie viel Zeit brauchen Pferde bis sie sich bei Ihnen eingelebt haben?

Stefan Schneider: Je älter ein Pferd ist und je länger es in einer reinen Boxenhaltung gelebt hat, desto länger dauert auch die Umstellung. Eine Praktikantin hat mal ein altes Schulpferd mitgebracht, das sie retten wollte und bei uns auf die Koppel gestellt. Nun stand das Pferd auf der Weide, hatte aber ständig Stress. Es konnte sich nicht entspannen. Wenn wir ein anderes Pferd von der Weide geholt haben, ist das Pferd aus dem Stand hinterher gesprungen. Es stand so lange in der Box, dass ihm die Weide nicht geheuer war. Das war aber auch der einzige Fall dieser Art.

Am liebsten sind mir die jungen Pferde, die direkt aus der Herde kommen. Sie muss man nicht umgewöhnen. Sie kommen in den neuen Herdenverband auf der Weide und werden zwischendurch geritten. Das ist ideal.

Empfehlen Sie, die Haltung Schritt für Schritt umzustellen? Das Pferd also langsam an den immer länger werdenden Aufenthalt auf der Weide zu gewöhnen?

Stefan Schneider: In jedem Fall muss man sich diese Arbeit machen. Man kann das Pferd nicht plötzlich zwölf Stunden auf der Weide lassen. Besser ist es mit einer oder zwei Stunden anzufangen und die Dauer langsam zu steigern. Einfach immer zehn Minuten länger draußen lassen.

Sind Ihre Pferde robuster als andere?

Uta Gräf: Das glaube ich schon. Früher bin ich parallel in einem anderen Stall geritten, in dem die Pferde nicht so viel Auslauf hatten. Jene waren geräuschempfindlicher, haben öfter mal einen Satz gemacht und hatten auch mehr Verletzungen als unsere.

Gäbe es weniger Verletzungen, wenn mehr Pferde so viel Zeit auf der Weide verbringen dürften?

Stefan Schneider: Das Verletzungsrisiko ist auf der Weide generell höher. Da dürfen wir uns nichts vormachen. Für mich ist das entscheidende aber etwas Anderes. Schauen wir uns Le Noir an: Er ist heute noch genauso frisch auf den Beinen wie zu seinen besten Sportzeiten. Einfach, weil er den ganzen Tag draußen ist. Die Pferde rosten in der Box ein. Sie werden stocksteif. Der Gelenkknorpel wird nämlich nur durch Diffusion ernährt. Je mehr Bewegung desto mehr Diffusion. Der Gelenkknorpel wird demnach nur entsprechend ernährt, wenn das Pferd ausreichend bewegt wird. So erhalten wir die Pferde gesund.

Was macht ein Pferd denn in der Natur? Es läuft und frisst Raufutter. Je mehr wir das ändern wollen und das Pferd zum Sportgerät degradieren, desto anfälliger werden unsere Pferde. Sie bekommen Magengeschwüre, werden steif und kurztrittig.

Bei Ihnen bekommen die Pferde Heu ad libitum. Stört es Sie, wenn die Pferde mal einen kleinen Heubauch haben?

Uta Gräf: Mich stört es nicht, aber meine Umwelt ab und zu. Im Vet Check habe ich bei Le Noir öfters zu hören bekommen, dass er schon ein wenig Bauch hätte. Da habe ich immer gesagt: „Ein dickes Pferd macht den Reiter schlank!“

Stefan Schneider: Es ist eine Typfrage, ob die Pferde dadurch etwas unförmig werden. Bei uns sind e zwei. Jene sind lang im Mittelstück und neigen zum Bauchansatz. Wenn der Besitzer sagt, dass ihm das nicht gefällt, kann man überlegen, das Heu zu rationieren. Mir persönlich gefällt das gar nicht, da dadurch das Risiko für Magengeschwüre steigt.

Das Gute an einem Pferd mit etwas mehr auf den Rippen ist, dass es einen mehrtägigen Turnieraufenthalt, bei dem es weniger frisst und mehr arbeitet, sehr gut wegsteckt. Es hat dann genau die richtige Figur. Ein so oder so schon hageres Pferd sieht auf dem Turnier schnell eingefallen und leer aus. Das hasse ich wie die Pest.

Stefan Schneider mit Le Noir, der dank viel Bewegung heute noch genauso fit auf den Beinen ist, wie zu seinen besten Sportzeiten.

Fehlt Ihren Pferden auf dem Turnier die freie Bewegung auf der Weide?

Stefan Schneider: Das Gute am Turnier ist, dass wir vor Ort viel Zeit für das Pferd haben. Das ist anders als Zuhause, wo uns jeden Tag 50 bis 60 Pferde fordern. Auf dem Turnier nehmen wir uns viel Zeit zum Longieren oder wir gehen mit Ihnen spazieren. Es ist eine Frage des Managements.

Sieht die Lösungsphase auf dem Turnier denn anders aus?

Uta Gräf: Ich reite länger Schritt, weil die Pferde sich noch nicht auf der Weide bewegen konnten. Das macht einen Unterschied. Lange Schritt zu reiten, kann ich daher nur empfehlen. Die Lösungsphase an sich empfinde ich nach wenigen Turniertagen nicht anders. Nach einer Woche in einer anderen Haltung könnte sich das wiederum anders anfühlen.

Glauben Sie, dass ein Umdenken in der Reiterwelt stattfindet? Wächst das Bewusstsein für eine artgerechte Haltung?

Stefan Schneider: Ganz gewiss. Heute lässt sich kaum noch eine Box ohne Paddock vermieten. Der Trend ist da. Die Pferde bekommen mehr frische Luft, mehr Bewegung und mehr Licht.

Uta Gräf: Es wird zunehmend wichtiger. Wer die Haltung seines Pferdes einmal umgestellt hat, will nicht mehr zurück. Einfach weil er merkt, wie gut es dem Pferd tut.

Scheren Sie Ihre Pferde?

Uta Gräf: Ich versuche es zu vermeiden. Ich empfinde es als sehr umständlich. Das fängt schon beim Schritt reiten mit einer Decke an. Daher mache ich nur eine Ausnahme, wenn wir zu einem großen Turnier fahren und das Pferd dort in der warmen Halle gehen muss.

Wie viele Decken hat denn jedes Pferd bei Ihnen?

Stefan Schneider: Die Pferde in der Gruppenhaltung werden nicht eingedeckt. Da ist das Verletzungsrisiko einfach viel zu groß. Die Pferde können steigen und vorne in der Decke eines anderen Pferdes hängenbleiben. Daher trägt dort kein Pferd mehr eine Decke.

Ich gehe mehr und mehr dazu über, die Pferde gar nicht mehr einzudecken. Unsere Ställe sind hoch mit Stroh eingestreut. Da kuscheln sie sich ein. Und die Pferde können unsere winterlichen Temperaturen in der Regel problemlos regulieren. Wenn sie draußen sind, bekommen sie das Fell, das sie brauchen. Entscheidend für diese Haltung ist, dass sie in einem guten Futterzustand sind. Sie können kein mageres Pferd ohne Decke rausstellen. Dann sehen sie die Pferde mit einem Katzenbuckel draußen stehen. Das geht nicht.

Ich beobachte unsere Pferde gerne im Winter, wenn es kalt ist. Wenn es kälter oder zugiger wird, bewegen sich die Pferde. Sie laufen mehr und sorgen so dafür, dass sie nicht auskühlen.

Ihr Stall ist sehr luftig. Kommt auch das der Natur des Pferdes entgegen?

Stefan Schneider: Absolut. Viele fragen mich, ob es nicht zieht. Das tut es nicht, wenn die Temperatur innen und außen gleich ist. Schwierig wird es, wenn es drinnen warm ist und ein kalter Wind hereinzieht. Kein Mensch weiß, wann ein Pferd friert. Daher rate ich dazu, gar nicht mehr einzudecken, sondern nur gut zu füttern und die Haltung zu optimieren.

Wir Menschen frieren schneller als die Pferde. Wie halten Sie sich denn im Winter warm?

Uta Gräf: Ich habe alles, was man nur anziehen kann. Ich gebe viele Lehrgänge und da sitze ich stundenlang, daher bin ich immer richtig dick angezogen.

Stefan Schneider: Die Uta ist extrem. Die hat ein Heizkissen, wenn sie unterrichtet. Meine Taktik: Immer in Bewegung bleiben. Das ist gut für die Figur und ich friere nicht so schnell.

Vor einigen Jahren haben wir Uta Gräf auf dem Gut Rothenkircherhof besucht. Ihre besten Tipps gegen Frust bei Frost: