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Mikroben in der Pferdehaltung

Effektive Mikroorganismen – ein Allheilmittel?

Die Heuqualität verbessern, Gerüche und Fliegen im Stall reduzieren, das Immunsystem stärken. Das und noch viel mehr sollen Effektive Mikroorganismen können. Sind sie die Heinzelmännchen in der Pferdehaltung oder zu vielseitig, um wahr zu sein?

In der Box versprüht tragen Effektive Mikroorganismen zu einem verbesserten Stallklima und einem verminderten Fliegenbefall bei.

Mikroorganismen sind keine Neuerfindung des Lebens. Man findet sie überall. In der Erde, der Luft, im Wasser und im Organismus selbst. Dort stellen die kleinen Lebewesen, zu denen Bakterien und Pilze zählen, die Funktionen des Körpers sicher. Auch bei der Käse-, Brot- oder Weinherstellung macht man sie sich zunutze. Doch was können die Winzlinge in der Pferdehaltung? Seit 18 Jahren verwendet die Tierhomöopathin und Hufpflegerin Melany Clahsen die kleinen Helferlein in verschiedenen Bereichen im Stall. Gut einsetzen lassen sich die Effektiven Mikroorganismen, um Mist- und Ammoniakgerüche zu reduzieren. „Auch den Fliegenbefall kann man so um etwa 80 bis 90 Prozent mindern“, nennt die Expertin einen weiteren Vorteil. Die Anwendung ist simpel: Mit einer Hand- oder Rückenspritze sprüht man die Mikroorganismen auf Boxenwände, Einstreu, Pinkelplätze und Auslaufflächen.

Effektive Mikroorganismen können einen hohen Befall mit Fliegen mindern.

In den 80er Jahren entwickelte der japanische Agrarwissenschaftler Professor Teruo Higa eine spezielle Mischung von Mikroben, die sogenannten „Effektiven Mikroorganismen“ (EM). „Dabei handelt es sich um ein Multi-Mikrobenprodukt, also eine Mischung aus Kleinstlebewesen in flüssiger Form“, weiß Clahsen. Die wichtigsten Gruppen sind Photosynthese- und Milchsäurebakterien, Hefen sowie verschiedene Pilzarten. Unter ihnen sind aerobe und anaerobe Mikroorganismen, also solche, für die Sauerstoff zum Leben notwendig, beziehungsweise Gift ist. Zusammen haben sie eine aufbauende und regenerative Wirkung. Das Besondere: Mit Hilfe der Mikroorganismen lässt sich das Milieu positiv beeinflussen. Das passiert nach dem Verdrängungsprinzip. Dazu muss man wissen, dass es neben den „guten“ Bakterien noch zwei andere Gruppen gibt: Nämlich die „schlechten“ mit abbauenden und degenerativen Eigenschaften sowie eine Gruppe der sogenannten Opportunisten. Sie sind neutral und machen erst einmal gar nichts. „Sobald eine Gruppe überwiegt, schließen sie sich an und werden zum Beispiel auch positiv“, erklärt Clahsen das Prinzip. Und wenn das Milieu erst einmal von aufbauenden Bakterien geprägt ist, haben es Fäulnis- und Krankheitserreger schwer.

Ursprünglich hat man die Mikroorganismen nur zur Bodenaufbereitung in der Landwirtschaft genutzt. Heute findet die EM-Technologie auch in vielen anderen Bereichen Anwendung: Im Gartenbau, im Haushalt, bei der Wasseraufbereitung und eben auch in der Tierhaltung. Bei der ersten Anwendung rät Clahsen, die Mikroben unverdünnt zu versprühen. Dafür eignet sich die sogenannte Urlösung, auch EM1 genannt. In ihr befinden sich die Mikroorganismen in inaktiver Form. Bringt man sie auf, werden sie aktiv.

Herstellung von EMa

Für Pferdepensionsbetriebe, die größere Mengen benötigen, ist es kostengünstiger, die Mikroorganismen selbst herzustellen. Denn aus einem Liter Urlösung kann man circa 33 Liter des sogenannten EMa, also EM aktiv, gewinnen. Dabei handelt es sich um die aktivierte Form der Urlösung, in der die Mikroorganismen bereits „wach“ sind. Der Unterschied liegt in der Haltbarkeit. Ein Liter Urlösung kostet etwa 27 Euro.

Für die Herstellung von EMa setzt man Wasser, Zuckerrohrmelasse und Urlösung in einem Plastikkanister, dem Fermenter, an. Die Melasse dient als Nahrung für die Mikroben. Für die Vermehrung der Mikroorganismen ist eine Temperatur zwischen 25 und 37 Grad ideal. Dafür sorgt ein Heizstab im Deckel des Fermenters. Wegen der anaeroben Bakterien gelingt die Vermehrung außerdem nur unter Sauerstoffabschluss. Wie bei einer alkoholischen Gärung entsteht nach einiger Zeit ein Überdruck. Durch einfaches Öffnen des Deckels entweicht dieser. Nach sieben bis zehn Tagen ist der Prozess abgeschlossen und das EMa einsatzbereit.

Wohin mit den Mikroorganismen?

Lagerung: „Die Effektiven Mikroorganismen sollten bei Zimmertemperatur oder etwas kühler lagern. Bei Kühlschranktemperatur sind sie nicht aktiv“, weiß Melany Clahsen. Außerdem müssen sie an einem dunklen Ort stehen, so die Expertin. Dafür eignet sich zum Beispiel die Sattelkammer. Der Behälter sollte luftdicht verschlossen sein. „Gelangt Sauerstoff hinein, beeinträchtigt das die Haltbarkeit des Produktes“, begründet Clahsen. Auch ungünstig: Ein fast leerer Kanister, in dem viel Luft steht. Besser ist es, den Inhalt dann in eine kleine Flasche umzufüllen.

Haltbarkeit: Urlösung (EM1): sehr lange haltbar; man kann sie auch geöffnet ein Jahr im Schrank stehen lassen, da die Mikroorganismen inaktiv sind.

EMa: Aktivierte Form der Urlösung muss innerhalb von 14 Tagen aufgebraucht werden, weil die Mikroorganismen dann ihre Nahrungsgrundlage (Melasse) „aufgegessen“ haben. Sie fangen dann an, sich gegenseitig aufzufressen, dadurch verliert das EMa langsam seine Wirkung.

Verdünnung von EM und Wasser: Innerhalb von zwei bis drei Tagen aufbrauchen, weil das Wasser keine Nahrung für die Mikroorganismen enthält. Sie sterben ab und das Gemisch wird schlecht.

Die Wiederholung macht den Unterschied

Entscheidend für die Besserung des Bakterienmilieus im Stall ist nicht die ausgebrachte Menge, sondern die Anzahl der Wiederholungen. „Im ersten Monat sollte man die Mikroorganismen daher zwei oder dreimal in einer Verdünnung mit Wasser von 1:15 auf die Oberflächen im Stall sprühen“, empfiehlt Clahsen. Danach reicht eine wöchentliche Anwendung mit einer Verdünnung von 1:50. Einmal im Jahr steht wieder eine Reinigung mit unverdünnter Lösung an. Neben der Behandlung der Oberflächen im Stall ist auch das Besprühen von Heu möglich. Davon können besonders Heu- und Stauballergiker profitieren.

„Die Mikroben binden Staub und wirken positiv gegen Schimmelpilze und Sporen, auf die Pferde allergisch reagieren“, erklärt Clahsen.

Für eine verbesserte Futterqualität bringen einige Pferdebetriebe die Mikroorganismen vor der Heu- und Strohernte direkt mit ein, wie Fachtierarzt Dr. Malte Harland von der Pferdeklinik in Mühlen weiß. „Unser größter Kunde hat 60 Pferde und jedes Jahr eine sehr gute, angenehm duftende Heuqualität und wenig Probleme mit Kolik oder Kotwasser und Atemwegsproblemen.“

Immunsystem auf Zack

Als Futterzusatz sollen die Effektiven Mikroorganismen das Immunsystem von innen stärken. Da im Darm 80 Prozent aller Immunglobulin-produzierenden Zellen angesiedelt sind, macht er die Hauptarbeit des Immunsystems aus. Melany Clahsen erklärt, wie die Mikroorganismen im Darm wirken: „Wie im Stall beeinflussen die Mikroben das Darmmilieu positiv.“ Das Ganze hat noch einen entscheidenden Vorteil: Ist die Darmflora in Ordnung, stimmt auch die Verdauung. Der Einsatz von Effektiven Mikroorganismen als Futterzusatz hat ebenso einen positiven Einfluss auf die Haut des Pferdes. Denn: „Sie ist der Spiegel des Darms“, erklärt die Pferdetherapeutin. Dr. Harland hat in der Pferdeklinik ebenfalls positive Erfahrungen mit der Fütterung von Effektiven Mikroorganismen gemacht: „Unsere Pferde bekommen nach einer Operation ein Futterzusatzmittel mit Effektiven Mikroorganismen prophylaktisch über die Zeit des Klinikaufenthalts.“

Die Verabreichung der Mikroorganismen in flüssiger Form kann täglich oder als Kur erfolgen. Beispielsweise während des Fellwechsels oder zu Beginn der Weidezeit. Zur Fütterung eignen sich entweder die Urlösung, EMa oder Fertigprodukte aus dem Handel, die zum Teil noch fermentierte Kräuter enthalten. Neben der Flüssigform gibt es auch das sogenannte Bokashi, ein mit Effektiven Mikroorganismen versetztes kleiehaltiges Fermentgetreide. „Das ist eine richtige Vitaminbombe“, sagt Clahsen. „Denn es beinhaltet die Stoffwechselprodukte der Mikroben, also Vitamine, Spurenelemente und Antioxidantien. Die Mikroorganismen produzieren sie beim Verdauen der Kleie.“ Das Bokashi kann zwei oder dreimal jährlich als Kur gefüttert werden. Eine besonders positive Wirkung hat es bei schwerfuttrigen Pferden.

Bokashi muss sich zu einem Ball zusammenpressen lassen und auf "Fingerstupsen" auseinanderfallen.

Für kleine Wehwehchen

Positive Erfahrungen hat Melany Clahsen auch mit der äußerlichen Anwendung von Effektiven Mikroorganismen wie bei Hautpilz, Milben und Strahlfäule gemacht. Bei kleinen oberflächlichen Wunden verwendet die Expertin gerne eine selbstgemachte Wund- und Heilsalbe auf der Basis von EM-Keramikpulver. Das Pulver, in das die Mikroben eingebrannt sind, wird mit 20 Milliliter Urlösung oder EMa und Leitungswasser zu einer Paste verrührt. Dazu gibt Clahsen meist noch ein wenig Ringelblumentinktur, da diese entzündungshemmend und antiseptisch wirkt. Pur würde die Expertin die Lösung aufgrund des relativ niedrigen pH-Werts nicht anwenden. „Das kann brennen“, betont sie.

Mögliche Risiken

Bei allen positiven Eigenschaften stellt sich die Frage nach den möglichen Risiken. „Bis dato haben wir keine negativen Erfahrungen sammeln können“, berichtet Dr. Harland. „Nur wenn die Mikroorganismen in der Fütterung überdosiert werden, kann es zu Durchfall kommen.“ Clahsen rät daher anfangs mit einem Schnapsglas voll zu beginnen und die Menge nur langsam zu erhöhen. Vorsicht ist bei mit Wasser verdünnten EM-Lösungen geboten, denn das Gemisch kann schnell verderben.

Stellt man EMa selbst her, sollte man einiges beachten: „Die Hersteller von EM-Produkten weisen zurecht darauf hin, dass man bei der Produktion von EMa mit Bakterienkulturen arbeitet“, sagt Clahsen. Die Sorge sei aber nicht, dass es schaden könne, sondern „dass man am Ende kein wirksames Produkt erhält“, so die Expertin. Fehlerquellen sind eine falsche Temperatureinstellung oder ein vorher unzureichend gereinigter Fermenter. Wer auf Nummer sicher gehen möchte, sollte sich an einen Fachberater wenden oder auf Fertigprodukte aus dem Handel zurückgreifen. Bei der Anwendung auf Wunden gibt Dr. Harland allerdings eines zu bedenken: „Mikroorganismen haben ein gewisses Eigenleben. Je nachdem, auf welche Keimflora sie in der Wunde treffen, kann man nicht ausschließen, dass es zu negativen Reaktionen kommt.“

Effektive Mikroorganismen können sich im Stall als nützliche Helferlein erweisen und die Selbstheilung anregen. Eines ist jedoch ganz wichtig: „Die Mikroorganismen sind nicht dafür da, eine schlechte Haltung zu kompensieren. Man sollte daher nicht die Symptome bekämpfen, sondern in erster Linie die Ursache des Problems“, mahnt Clahsen.