Leseprobe: Üben für die Sinne
Tipps und Übungen: Ergotherapie für Pferde
Nein, Sie sind nicht im Spieleparadies gelandet. Hier geht es um die Sinne Ihres Pferdes. Genauer um seine drei Basissinne, die es noch vor seiner Geburt im Mutterleib entwickelt. Erstens: Das taktile System, das über die Haut die Oberflächensensibilität sichert – die Rezeptoren in der Pferdehaut reagieren auf Druck, Berührung, Temperatur, die Körpergrenzen werden spürbar. Zweitens: Das vestibuläre System, besser bekannt als der Gleichgewichtssinn. Es hält den Körper aufrecht, schafft Orientierung im Raum, verarbeitet Beschleunigung, Richtungswechsel, Schwerkraft. Drittens: Mit dem propriozeptiven System wird die Tiefensensibilität angesprochen. Es registriert die Stellung der Körperteile, nimmt Kraft, Bewegung und Haltung wahr. Die Ergotherapie spricht diese drei Basissinne an. Seit über einem Jahrhundert am Menschen – und dank der gelernten Ergotherapeutin Yvonne Katzenberger und ihrer Schwester Ruth nun auch am Pferd.
Durch die Ergotherapie soll das Pferd seinen Körper besser spüren lernen – es entstehen neue Verknüpfungen im Gehirn, Koordination, Balance und Durchlässigkeit werden gefördert. Jedes Reitpferd kann von solchen Übungen profitieren. Aber noch mehr profitieren jene Pferde, deren Basissinne aus irgendeinem Grund vernachlässigt sind – oft zeigt sich das in Unarten, Schreckhaftigkeit, Rittigkeitsproblemen, häufigem Stolpern. Im Interview mit Reiter Revue verrät Yvonne Katzenberger, was hinter der Pferde-Ergotherapie steckt und zeigt Ihnen drei Übungen, die Sie direkt mit Ihrem Pferd machen können.
Frau Katzenberger, ich habe Ihr Buch „Mehr Körpergefühl für mein Pferd“ vor mir liegen. Muss mein Pferd jetzt täglich ins Bällebad?
Nein, um Gottes Willen! Aber wenn man zwei- bis dreimal die Woche Übungen von zehn oder 20 Minuten einbauen würde, könnte man schon tolle Effekte für ein besseres Körpergefühl erzielen.
Im Gegensatz zu Ihrem Fachbuch für angehende Pferde-Ergotherapeuten ist dieses Buch für Therapie-Laien geschrieben – kann wirklich jeder diese Übungen machen?
Ja, der Pferdebesitzer soll alles selbst ausprobieren können. Wichtig ist, dass man diese Arbeit in seinen Alltag integriert. Was wir nicht wollen, ist, dass man vehement und verbissen auf etwas hinarbeitet. Wenn man ehrlich ist, hat man nicht unendlich Zeit für sein Pferd. Es wäre schön, aber man hat ja noch andere Verpflichtungen. Die Übungen sind genau erklärt, es gibt Tipps, wenn das Pferd etwas nicht macht. Man kann wirklich nichts kaputt machen.
Andersherum gefragt, sind diese Übungen dann überhaupt wirksam?
Auf jeden Fall! Wenn man wirklich sagt, ich baue das zwei, drei Mal die Woche mit ein. Es reichen ja diese kurzen Sequenzen.
Viel hilft in diesem Fall nicht viel?
Es ist ja so, dass bei dieser Basiswahrnehmung die ganzen Informationen im Hirnstamm erst mal eingeordnet, sortiert und dann weitergeleitet werden. Es geht also um neurologische Prozesse. Da ist es durchaus sinnvoll, solche Übungen „nur“ über eine Viertelstunde zu machen, weil ich das Pferd so nicht überfordern kann. Der ausgebildete Pferde-Ergotherapeut arbeitet 45 bis 60 Minuten am Pferd, baut aber für das Pferd sinnvolle Pausen ein. Das ist im Humanbereich genauso. Diese Pausen sind so wichtig, damit ich nicht irgendein System überreize.