Zum Inhalt springen

Drücken Sie Öffnen / Eingabe / Enter / Return um die Suche zu starten

Schockdiagnose Sehnenschaden

Sehnenschaden, was nun? Was die Diagnose für das Pferd bedeutet, wie lange die Regeneration dauert und wie es überhaupt zu der Verletzung kommen kann, erklärt Dr. Michael Dahlkamp, Fachtierarzt für Pferde aus Selm, im Interview.

Ein Tierarzt muss das Bein bei einer Schwellung der Sehne untersuchen. Er kann feststellen, welche Sehne geschädigt ist.

Dr. Michael Dahlkamp ist Fachtierarzt für Pferde und betreibt mit seiner Familie eine Tierarztpraxis in Selm in Westfalen. Im Interview erklärt er, was Pferdehalter tun sollten, wenn sie vermuten, dass ihr Pferd einen Sehnenschaden hat und macht deutlich, warum Boxenruhe ein absolutes No-Go ist.

Die wichtigste Frage zuerst: Woran kann ich als Laie einen Sehnenschaden erkennen?

Den klassischen Sehnenschaden können Laien gut erkennen. Man sieht dann eine Entzündung und eine Verdickung in Form einer Banane auf der oberflächlichen Beugesehne. Jene läuft im Normalfall ganz gerade herunter. Darüber hinaus ist es für den Laien schwierig, direkt einen Sehnenschaden zu erkennen. Daher sollte er stets einen Tierarzt rufen, denn auch ein Hufgeschwür kann eine Schwellung an der Sehne auslösen. So ruft auch ein Einschuss oder eine Phlegmone eine Schwellung hervor, die vom Laien mit einem Sehnenschaden verwechselt werden kann.

Welche weiteren Symptome gibt es?

Die Variation ist sehr groß. Es gibt Sehnenschäden ohne Lahmheit. Manche Pferde schonen nur geringfügig in Wendungen im Trab. Das ist für den Laien kaum zu erkennen. Nach einer akuten Verletzung kann es sein, dass das Pferd keinen Schritt mehr gehen möchte. Dann spricht man von einer schweren, akuten Lahmheit.

Manchmal reißt eine Sehne auch fast komplett durch, das habe ich leider auch schon gesehen. So etwas kann im Parcours passieren, aber auch auf der Weide. Zum Beispiel, wenn Vorschädigungen vorliegen oder die Pferde älter sind und plötzlich auf der Weide Gas geben. Einen Sehnenschaden kann sich ein Pferd leider quasi immer und überall zuziehen.

Die Sehnenschäden, die ich zu sehen bekomme, basieren häufig auf einer Mikroverletzung, mit der das Pferd weitergelaufen ist. Aufgrund der Belastung hat sich die kleine Verletzung weiter ausgebreitet und es kommt zum großflächigen Schaden an der Sehne und der Lahmheit. Im Nachhinein ist das schwer zu eruieren. Wenn das Pferd plötzlich lahm geht, muss man sich fragen, ob es sein kann, dass das Pferd schon vorher kleine Mikroverletzungen hatte.

Wie kann es denn zu solchen Mikroverletzungen an der Sehne kommen?

Sie können durch kleine Fehltritte entstehen. Das ist ähnlich wie bei uns Menschen, wenn man eine Stufe nicht richtig erwischt oder umknickt. Dadurch entstehen kleine Verletzungen der Sehnenstruktur. Natürlicherweise werden diese innerhalb weniger Tage repariert, ohne dass der Mensch oder das Tier es bemerkt. Wenn Tier immer weiter gefordert wird, kann daraus eine schlimmere Verletzung resultieren.

Begünstigen ungünstige Bodenverhältnisse Sehnenverletzungen?

Auf jeden Fall! Das ist der entscheidende Punkt. In der Regel haben wir hervorragende Böden – auch auf den Turnieren. Die Sandplätze sind gleichmäßig gewässert und geschleppt. Allerdings ist dies nicht nur von Vorteil. Denn durch die guten Plätze werden die Beine immer relativ gleichmäßig belastet. Dann lernt das Pferd keine andere Belastung kennen und die inneren Strukturen passen sich genau dieser Belastung an. Das ist so als ob Menschen nur auf der Tartanbahn laufen würden. Wäre dies der Fall, würden sie im Wald auch schnell ins Stolpern kommen. So ist es beim Pferd auch. Daher ist es wichtig auf unterschiedlichen Plätzen zu reiten und in das Gelände zu gehen.

Ist es wichtig, die Belastung langsam zu steigern, so dass das Pferd auch die Chance hat, sich langsam an die ungewohnten Gegebenheiten zu gewöhnen?

Unbedingt. Das muss mit gesundem Menschenverstand gemacht werden. Wenn ich als Mensch kaum über einen unebenen Boden laufen kann, darf ich mein Pferd auch nicht lange auf diesem Boden reiten. Dann ist die Belastung zu hoch und ein Sehnenschaden kann die Folge sein.

Aber es sind nicht nur die Böden, die zu gesundheitlichen Problemen führen können, sondern auch viele Faktoren, die das Pferd bedingt. Wie zum Beispiel der Stand der Ausbildung, das Alter und auch der Huf des Pferdes. Ein besonders flacher Huf stellt im Gegensatz zum Bockhuf oder einem normal gewachsenen Huf ganz andere Anforderungen an die Sehnen. Ist das Pferd beschlagen, wie lang ist die Zehe? – das schaue ich mir immer genau an. Denn in vielen Fällen liegt hier der Auslöser der Verletzung. Wenn der Beschlag acht Wochen alt ist und die Zehe recht lang, ist der Druck auf die Beugesehne viel zu groß. Der akute Sehnenschaden kann die Folge sein.

Wie lange dauert die Behandlung?

Es dauert in der Regel ein Jahr bis das Pferd wieder in Arbeit genommen werden kann. Die Zeitspanne variiert natürlich von Pferd zu Pferd, aber mit einem Jahr ist bei einem Schaden grob zu rechnen.

Sollte das Pferd in dieser Zeit auf der Weide stehen?

Dr. Weide ist nicht sofort richtig, sollte aber langfristig das Ziel sein. Initial muss man jeden Einzelfall beachten. Wo kommt der Schaden her? Wie steht das Pferd und wie ist das Ausmaß der Verletzung? Dementsprechend muss ich als Tierarzt entscheiden, ob das Pferd Boxenruhe braucht. Manche – wirklich schwerwiegende – Fälle muss man sogar eingipsen. Das ist aber die Ausnahme. Generell gilt, dass das Pferd anfangs nur Schritt geführt werden darf. Erst nach einiger Zeit folgt der freie Auslauf auf dem Paddock. Jener darf erst mit der Zeit immer größer werden. Und das muss im wöchentlichen Rhythmus mit dem Besitzer besprochen werden. Die Pferde sollen früh wieder an eine Belastung gewöhnt werden, aber eben nicht zu früh. Die entsprechende Belastung auf hartem Boden ist auch als physiotherapeutische Maßnahme zu verstehen, da sich die Strukturen der Sehne so wieder der Belastung anpassen. Nach ein paar Wochen dürfen die Pferde oftmals auch schon wieder an die Longe oder auf die Weide.

Ein Jahr ist vergangen. Das Pferd hat sich gut regeneriert. Kann es die gleichen sportlichen Leistungen bringen oder ist das Risiko für einen erneuten Sehnenschaden erhöht?

Sowohl als auch. Es gibt Pferde, die nach einem Sehnenschaden noch jahrelang erfolgreich im Sport sind, da sollte man die Hoffnung nicht zu früh aufgeben. Wichtig ist, dass die Ursache des Sehnenschadens bekannt ist. Wenn er aufgrund einer plötzlichen Überlastung entstanden ist, gilt es, diese Situation zu vermeiden. Dann ist die Chance groß, das Pferd noch lange reiten zu können.

Das Pferd mit dem mein Bruder Deutscher Meister der Junioren in der Vielseitigkeit wurde, hatte beispielsweise kurze Zeit später einen Sehnenschaden. Er kehrte auskuriert in den Sport zurück, die beiden wurden Deutsche Meister der Jungen Reiter in der Vielseitigkeit, ehe er sich einen erneuten Sehnenschaden zuzog. Nach der Regeneration lief er jahrelang erfolgreich S-Springen. Das war überhaupt kein Problem.

Das richtige Management ist also das Entscheidende. Was darf man auf keinen Fall machen, wenn man vermutet, dass das Pferd einen Sehnenschaden hat?

Die Symptome zu ignorieren. Das sehen wir leider immer wieder. Es muss aber eine Diagnose gestellt werden und es muss auch klar sein, welche Sehne betroffen ist. Dafür bedarf es eines Tierarztes. Ein No-Go ist, ein Pferd monatelang in der Box einzusperren. Das führt zu einer Fehlentwicklung der Sehne. Die Sehnenfasern wachsen so nicht der natürlich zu erwartenden Belastung entsprechend. Vielmehr wachsen die Fasern in alle Richtungen, die Sehne wird dadurch dick, aber nicht belastungsfähig. Moderate Bewegung ist bei einem Sehnenschaden immens wichtig.

Die langsame Wiederaufnahme des Trainings ist demnach das A und O.

Genau. Man muss früh wieder mit der Belastung anfangen, aber begleitet und sehr durchdacht. Initial werden in der Regel die richtigen Maßnahmen ergriffen, wenn der Tierarzt gerufen, der Beschlag geändert und umgedacht wird.

Dann sind meist die ersten zwei bis sechs Wochen vorbei. An diesem Punkt ist es grundfalsch, wenn der Tierarzt die Behandlung nicht weiter begleitet. Eine Zusammenarbeit mit dem Tierarzt und dem Hufschmied ist zu diesem Zeitpunkt unabdingbar. Nur sie können abschätzen, wie hoch die Belastung sein darf.

Gibt es neue Behandlungsmöglichkeiten, die sehr erfolgsversprechend sind?

In meinen Augen nicht. Es werden immer wieder neue Methoden beworben, jedoch bringen diese meiner Erfahrung nach auch keinen besseren Erfolg. Die Geduld und das richtige Management sind entscheidend.

Eine möglichst schnelle Regeneration ist das eine, das eigentliche Ziel sollte aber doch sein, dass das Pferd sich so regeneriert, dass es lange fit bleibt.

Entsprechende Futtermittel und Physiotherapie sind durchaus sinnvoll. Alles, was mit Wärme und Kälte zu tun hat, ist förderlich. Dadurch wird der Stoffwechsel angeregt. Ob ich Blutegel oder Stoßwellen oder bestimmte Gamaschen einsetze, ist letztendlich Geschmachssache. Die Folge ist bei allem, dass der Stoffwechsel in der Zelle angeregt wird. Das hat de facto einen positiven Effekt. Das Allerwichtigste ist aber, dass ich das Pferd mit adäquater Bewegung in Gang halte.