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Schilddrüsenerkrankungen beim Pferd

Wer beim Pferd unterhalb der Kehle eine Beule so groß wie einen Tennisball feststellt, sollte dringend die Schilddrüse kontrollieren lassen. Wir erklären, welche Aufgabe die Schilddrüse beim Pferd hat, wie Erkrankungen entstehen und was man dagegen tun kann.

Die Schilddrüse sitzt beim Pferd unterhalb des Kehlkopfes und wiegt nur etwa 40 Gramm.

Stellen Sie sich vor, Ihre Gliedmaßen sind schwer wie Blei und sie würden am liebsten den ganzen Tag im Bett liegen bleiben. Sie frieren häufig und schwitzen kaum. Außerdem fühlen Sie sich rast- und ruhelos und können sich nur schwer konzentrieren. Genauso ergeht es einem Menschen, der an einer Schilddrüsenerkrankung leidet. Die Symptome sind vielfältig. „Genau darin liegt das Problem vieler Pferdehalter“, sagt Veterinärin Dr. Carolin Götz von der Tierarztpraxis für Pferde aus Beutelsbach. „Sie übertragen die allgemein-typischen Symptome des Menschen auf das Pferd und machen die Schilddrüse schnell für ein körperliches Leiden verantwortlich.“ Hat das Pferd stumpfes Fell, schläft viel und nimmt ab, wird prompt die Schilddrüse als Auslöser für körperliche Veränderungen gesehen. Dabei werden Erkrankungen der Schilddrüse, die aufgrund von Hormonstörungen entstehen, generell sehr selten diagnostiziert.

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Die Schilddrüse ist ein Organ, das aus zwei Bindegewebslappen besteht und von der Form her an zwei Walnüsse erinnert. Beim Pferd sitzt die Schilddrüse unterhalb des Kehlkopfes. Sie ist etwa 2,5 Zentimeter lang und hoch, etwa fünf Zentimeter tief und kann mit etwas Druck sogar mit den Fingern ertastet werden. Würde man die Drüse wiegen, brächte sie nur etwa 40 Gramm auf die Waage. Dieses kleine, unscheinbare Organ ist jedoch eine wichtige Schaltzentrale im Pferdekörper. Wie ein Musikmischpult sorgt die Schilddrüse dafür, dass bestimmte Regler im Körper hoch- und runtergefahren werden.

Der Hormonproduzent

Optimal läuft es, wenn genügend Schilddrüsenhormone vorhanden sind. „Damit diese gebildet werden, nimmt die Schilddrüse Jod aus dem Blut auf und produziert daraus die zwei Hormone Trijodthyronin (T 3) und Thyroxin (T 4)“, erklärt Götz. Diese zwei Botenstoffe treiben den ganzen Stoffwechsel an und beeinflussen so das gesamte Herz-Kreislauf-System des Pferdes. Sie sorgen für Wachstum und Stoffwechsel, beschleunigen den Herzschlag, steuern die Schweißdrüsen der Haut und beeinflussen sogar die Darmtätigkeit. Und noch ein Hormon ist für die Schilddrüse wichtig: Die Hirnanhangdrüse bildet Thyreotropin (TSH), das auch an der Produktion der beiden Schilddrüsenhormone beteiligt ist.

Täglicher Jodbedarf (pro 100 kg Körpergewicht)
Erwachsenes Pferd: 0,3 mg/Tag
Absetzer (bis 200 kg Körpergewicht) 0,25 mg/Tag
Trächtige Stuten 0,5 mg/Tag

„Jede hormonelle Erkrankung, gerade die bei Tieren, ist sehr schwer festzustellen“, sagt Professor Gerald Fritz Schusser von der Veterinärmedizinischen Universität in Leipzig. „Leider gibt es keine spezifischen Tests für diese Erkankungen. Viele orientieren sich an der Humanmedizin“, so Schusser, der Publikationen zu den Schilddrüsenfunktionsstörungen beim Pferd herausgegeben hat. Für Untersuchungen wird häufig Blut auf seinen Gehalt an Schilddrüsenhormonen untersucht. „Die Methode ist jedoch sehr unzuverlässig, die Konzentration wird beeinflusst durch Alter und Geschlecht, Jahreszeit, Fütterung und Leistung und hängt nicht zuletzt von der Messmethodik ab“, sagt Dr. Katja Roscher vom Klinikum für Veterinärmedizin an der Universität Gießen.

Funktionsstörungen der Schilddrüse liegen vor, wenn diese zu wenig oder zu viele Hormone produziert. „Eine Unterfunktion der Schilddrüse ist beim erwachsenen Pferd klinisch von nur geringer Bedeutung – betroffene Pferde können durch Lethargie, Appetitlosigkeit und struppiges Haarkleid auffallen – Symptome, welche jedoch auch bei sehr vielen anderen und wesentlich häufiger vorkommenden Erkrankungen auftreten“, erklärt Katja Roscher als Spezialistin für Innere Medizin.

Der ganze Stoffwechsel des Körpers laufe langsamer. „Viele dieser Symptome können aber auch zur Diagnose der Stoffwechselerkrankungen Equines Metabolisches Symptom (EMS) oder Cushing Syndrom (ECS) führen“, erläutert Fachtierärztin Prof. Dr. Ellen Kienzle aus München.

Seltene Erkrankung

Eine Überfunktion der Schilddrüse, die Hyperthyreose, ist nur aus wenigen Einzelfallbeschreibungen weltweit bekannt, sind sich die befragten Experten einig. Die Schilddrüse produziert in diesem Fall zu viele Schilddrüsenhormone. Gerald Fritz Schusser vermutet, dass diese Erkankung vor allem bei älteren Pferden auftreten könne. Symptome sind dann Herzrasen, Gewichtsverlust trotz gesteigerten Hungers und Widersetzlichkeit. Wie man die beschriebenen Erkrankungen feststellt? „Bei Verdacht einer Schilddrüsenerkrankung sollte zunächst immer eine Ultraschalluntersuchung der Schilddrüse gemacht werden, um abzuklären, ob es sich vielleicht eher um eine Verdickung einer Vene handelt“, so Schilddrüsen-Experte Schusser.

Sorgen machen sollten sich hingegen Pferdehalter, wenn die Schilddrüse ihres Vierbeiners schlagartig dicker wird und sich ein Kropf, auch Struma genannt, bildet, beschreibt Tierärztin Katja Roscher: „Der Begriff Struma deutet lediglich auf eine Vergrößerung der Schilddrüse hin und lässt keinerlei Rückschlüsse auf die Funktion zu. Bei älteren Pferden wird diese Vergrößerung unter anderem durch einen Tumor verursacht. Einzige Therapie wäre hier die vollständige Entfernung der betroffenen Schilddrüse. Dies sollte in Erwägung gezogen werden, wenn es durch die Umfangsvermehrung zu Atem- oder Schluckbeschwerden kommt“, so der Experten-Rat.

Auch aufgrund von Jodmangel kann sich die Schilddrüse verändern. „Eine Vergrößerung der Schilddrüse diagnostiziere ich häufiger beim Pferd“, sagt Carolin Götz, die vor allem vierbeinige Patienten in Süddeutschland betreut. „In den meisten Fällen liegt es an der falschen Jod-Fütterung“, erklärt die Fachfrau, die über die Jodversorgung beim Pferd ihre Doktorarbeit geschrieben hat.

Bekommt mein Pferd zu viel Jod?
Der Jodgehalt im Urin spiegelt die tägliche Jodaufnahme wieder. Jod, das nicht zur Bildung von Schilddrüsenhormonen benötigt wird, wird über den Urin ausgeschieden. Leider gibt es keine Urin-Teststreifen für Pferde. „Es bleibt nur die genaue Rationsberechnung“, sagt Tierärztin Katja Roscher.

Denn das Spurenelement Jod ist ein Bestandteil der Schilddrüsenhormone. Für die Bildung der Schilddrüsen-hormone ist deshalb eine optimale Jod-Zufuhr nötig. Das Pferd nimmt Jod über das Grünfutter auf, das regional einen unterschiedlichen Jodgehalt hat. Das Bundesland Bayern hat auf seinen Grünflächen einen geringeren Jodgehalt als küstennahe Gebiete, weiß Tierärztin Götz. Denn Jod kehrt aus dem Meer durch Niederschläge auf die Erde zurück. „Oftmals ist die Jodversorgung aber über das Mineralfutter abgedeckt.“

Bei der Jodversorgung sollte man die Finger von Seealgenprodukten lassen, die aus dem Meer stammen, mahnt die Fachtierärztin für Tierernährung Ellen Kienzle von der Universität München. „Bei diesen Produkten greift das Futtermittelrecht nicht. Die Inhaltsstoffe müssen nicht genau deklariert werden. So erfährt der Halter nicht, wie viel Jod er mit diesem Zusatzmittel dem Pferd zuführt.“ Kienzle rät deshalb zum gängigen Mineralfutter, das auf dem Etikett den genauen Gehalt an Spurenelementen und Jod ausweist.

Das erwachsene Pferd benötigt etwa 0,3 Milligramm Jod pro 100 Kilogramm Körpergewicht. Daraus ergibt sich bei einem 500 Kilogramm-Pferd ein Jodverbrauch von 1,5 bis 2,5 Milligramm am Tag. „Bei leichter Arbeit braucht ein erwachsenes Pferd etwa 1,75 Milligramm Jod täglich“, so Kienzle. „Zu beachten ist, dass der Bedarf von wachsenden Jungtieren besonders im ersten Lebensjahr deutlich niedriger ist – bei Absetzern bis 200 Kilogramm liegt der Bedarf bei circa 0,5 Milligramm täglich“, fügt Tierärztin Katja Roscher an.

Erhält das Pferd jedoch täglich über mehrere Zusatzfuttermittel Jod, summiert sich die Jodversorgung schnell. „Vergiftungserscheinungen sind bereits ab 26 Milligramm täglich erkennbar“, so Götz, die deshalb davor warnt, dem Pferd jodiertes Salz über das Futter zu streuen. Sie empfiehlt Pferdehaltern vor allem, die Inhaltsstoffe von Zusatzfuttermitteln penibel zu studieren.

Einen höheren Jodbedarf haben trächtige Stuten. 0,5 Milligramm pro 100 Kilogramm Lebendgewicht ist bei diesen Tieren der Richtwert. „Eine Unterfunktion der Schilddrüse kann bei Pferden auftreten, die an einem Jodmangel leiden, oder bei Fohlen, deren Mütter mit Jod unter- oder überversorgt sind“, räumt Kienzle ein, die diese Fälle aber für sehr selten hält. Da Jod für Wachstumsprozesse wichtig ist, sind im Falle einer Unterversorgung orthopädische Probleme bei den Fohlen die Folge. Viele zeigen Fehlstellungen der Gliedmaßen.

Dicke Drüse

Durch eine Über- oder Unterversorgung an Jod wird die Bildung von Schilddrüsenhormonen gehemmt. Ein Kropf kann sich bilden. Ein Struma als Folge von Jodmangel tritt vor allem bei Fohlen auf wegen Unterversorgung oder wenn die Mutterstute währen der Trächtigkeit zu viel Jod erhält. Die Schilddrüse kompensiert dann eine nicht bedarfsgerechte Jodversorgung durch vermehrte Gewebeproduktion. „Für eine Diagnose muss dann geprüft werden, ob die Schilddrüsenwerte verändert sind. Diese können nämlich auch durch Medikamentengabe wie Antibiotika oder Schmerzmittel verändert sein. Gleichzeitig sollten die Futtermittel analysiert werden. Rapsschrot und Nitrate wirken auch kropffördernd“, erklärt Carolin Götz. Schilddrüsenhormone werden nämlich im Blut zu 99 Prozent über Proteine transportiert. Und da andere Substanzen wie Medikamente auch über Proteine befördert werden, kann dies dazu führen, dass sich die Schilddrüsenhormonwerte verändern.

Ein Kropf kann mit bedarfsgerechter Jodgabe behandelt werden. Allerdings braucht der Pferdebesitzer Geduld. „Es kann Monate dauern, bis sich der Kropf zurückbildet“, meint Tierärztin Götz. Ein Problem bleibt: Aus dem Kropf kann eine Schilddrüsenüberfunktion entstehen. Diese entwickelt sich jedoch über Jahre hinweg und möglicherweise erst bei Pferden, die über 18 Jahre alt sind. Doch diese Fälle sind zum Glück sehr sehr selten.

Dieser Artikel ist erstmals erschienen in Reiter Revue 11/2014